„Heute verlangen sie viel“

Tomáš Václavík im Interview über die Bio-Szene in Tschechien

17. 5. 2012 - Text: Ina VolkhardtText: Ina Volkhardt;

Der Arbeitskreisleiter der tschechischen Vereinigung für Biohändler PRO-BIO, (www.pro-bio.cz), Tomáš Václavík, zugleich Schreiber für die Internetplattform www.bio-markt.info, Mitglied des tschechischen „Organic Action Plan“-Teams und Präsident der internationalen Organic Retailers Association (www.o-r-a.org) und „Green Marketing“, kennt sich mit Bio-Produkten, ihrem Vertrieb und Konsum in der tschechischen Republik bestens aus. Als Kenner der Bio-Szene spricht er mit PZ-Redakteurin Ina Volkhardt über die Gründe für das Wachstum, die Konkurrenz Bauernmärkte und die zunehmende Verunsicherung der Verbraucher.


Herr Václavík, in vielen europäischen Ländern zeichnet sich seit einigen Jahren der Trend hin zu biologisch erzeugten Lebensmitteln und Produkten ab. Gleichzeitig verursacht jedoch die Wirtschaftskrise nicht zu vernachlässigende Einschnitte, von denen sich auch die Lebensmittelbranche betroffen sieht. Wie zeigt sich die Situation in Tschechien?

Tomáš Václavík: In den letzten zwei Jahren können wir ein Reifen des tschechischen Marktes für Bio-Lebensmittel beobachten. Nach einem sehr steilen Anstieg in den Jahren 2005 bis 2007, stagnierte der Markt ab dem folgenden Jahr. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einerseits ist da die Finanzkrise – Konsumenten, die einige Jahre zuvor begonnen hatten, sporadisch auch Bio-Produkte zu kaufen, griffen mit Hinsicht auf ihre geringere Kaufkraft wieder auf günstigere Optionen zurück. Andererseits jedoch haben die überzeugten Bio-Konsumenten, der harte Kern der auch 80% des Gesamtumsatzes generiert, ihr Einkaufsverhalten nie geändert und bleiben ihren Überzeugungen treu.

Welche Veränderungen zeigen sich noch?

Tomáš Václavík: Was sich grundlegend verändert hat: Heute verlangen sie hohe Qualität, idealerweise Lebensmittel aus der Region, und weisen das Angebot der „billigen“ Bio-Marken der Supermarktketten zurück. Daher haben Supermärkte in letzter Zeit Schwierigkeiten beim Absatz biologisch erzeugter Produkte – sie haben sich nur auf den Preis konzentriert (was konnten wir ohnehin anderes erwarten) und nicht auf Qualität. Und die Kunden haben das schnell realisiert und und ihnen den Rücken zugewandt. Daraufhin haben die Supermärkte genauso reagiert, wie wir es von ihnen erwarten konnten – sie haben die Preise gar noch mehr gesenkt! Da der Marktanteil recht hoch ist, bedeutet das eine Stagnation des Gesamtumsatzes. Sogar, wenn die Konsumenten quantitativ sogar mehr als 2008 gekauft haben.

In den letzten Jahren zeigt sich ein Anstieg an Bauernmärkte in der tschechischen Republik, allein in Prag gibt es mittlerweile fast ein Dutzend. Hängt diese Entwicklung mit dem Bio-Trend zusammen?

Tomáš Václavík: Ja, tatsächlich. Dieses amüsante Verhalten der Supermärkte während der vergangenen zwei Jahre resultierte in dem Fakt, dass der Anteil organisch erzeugter Produkte, die in den Supermärkten gekauft werden, gesunken ist. Das zu Gunsten der Bio-Läden und der Direktverkäufer auf Bauernhöfen oder Bauernmärkten. Dort kann man als Konsument organische Produkte mit Geschichte und einem Gesicht dahinter kaufen. [Anm. d. Red.: Allerdings nicht ein Bauernmarkt selten ein reiner Bio-Markt. Biologisch erzeugte Lebensmittel werden dort einzeln gekennzeichnet]

Erwarten Sie für die kommenden Jahre einen Anstieg der Anzahl biologischen Erzeuger innerhalb der tschechischen Republik?

Tomáš Václavík: Ab dem Jahr 2013 entschied das tschechische Agrarministerium, neuen biologischen Erzeugern keine Subventionen mehr zu zahlen. Daher erwarte ich eine Stagnation bei der Zahl der Bauern, die auf ökologischen Anbau setzen.

Können Sie uns genaue Daten über die ökologische Produktion in Tschechien geben?

Tomáš Václavík: Nach der letzten Analyse im Jahr 2010 beträgt das Marktvolumen der biologisch erzeugten Produkte 1,7 Milliarden CZK. Einige der Marktführer berichten von einem sehr gesunden Wachstum 2011 und auch in den bisherigen Monaten von 2012, die Steigerung von Jahr zu Jahr beträgt etwa 10 Prozent.

Gerade die günstigen Bio-Varianten aus den Supermarktregalen stammen weniger aus regionalem Anbau, sondern haben oft kilometerweite Transportstrecken hinter sich. Wirkt sich die Erzeugung biologischer Lebensmittel tatsächlich positiv auf die Umwelt aus?

Tomáš Václavík: Zunächst einmal sind biologisch Erzeugnisse ohne Zweifel umweltverträglicher als herkömmliche Produkte. Das scheint offensichtlich, bedenkt man die Menge an Pestiziden und Nitrat-Düngern, beide auf Grundlage von Öl, die auf den Feldern konventionellen Landbaus zum Einsatz kommen. Außerdem nutzen Bio-Bauern Tier- und Umwelt-freundliche Techniken als ihre konventionellen Kollegen. Sogar, wenn man organisch produzierte Lebensmittel über weite Strecken transportiert, bleiben die biologischen Erzeugnisse die umweltfreundlichere Alternative. Denn der größte Schaden entsteht nicht durch den Transport, sondern bei der Produktion.

Natürlich zeigt es sich für die Umwelt am besten, wie viele Studien zeigen, biologische Produkte aus der Region zu kaufen, am besten unter Berücksichtigung saisonalen Anbaus und mit möglichst hoher Frische. Idealerweise bevorzugt man dann noch Erzeugnisse pflanzlichen, nicht tierischen Ursprungs.

Zuletzt: Glauben Sie selbst, dass biologische Lebensmittel im gesundheitlichen Kontext Vorteile gegenüber anderen Produkten mit sich bringen?

Tomáš Václavík: Ja, ich denke durchaus, dass biologisch erzeugte Lebensmittel gesünder als konventionelle Produkte sind. Einfach aufgrund der bloßen Abwesenheit von jeglichen Pestiziden oder Rückständen wie Antibiotika [Anm. d. Red.: während Antibiotika in biologischer Tierhaltung nicht eingesetzt werden, ist die Gabe an Tiere aus konventioneller Landwirtschaft sehr gebräuchlich. Oftmals wird bei Erkrankung eines Tiere die gesamte Herde prophylaktisch und freizügig mit dem Medikament behandelt. Obwohl bis zum Verzehr Rückstände nicht mehr nachweisbar sein sollten, gab es in der Vergangenheit immer wieder Fälle von Überschreitung der Grenzwerte bei Kontrollen]