Gespaltene Union

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Tschechien weiterhin gegen feste Flüchtlingsquote

16. 9. 2015 - Text: Ivan DramlitschText: Ivan Dramlitsch; Foto: S. Welzel

Auch die größten Optimisten haben vor dem Treffen der EU-Innenminister am Montag in Brüssel nicht mit einem Durchbruch gerechnet. Doch das, was nach der Sitzung präsentiert wurde, war weniger eine „grundsätzliche Einigung“, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) feststellte, sondern ein Beleg des Scheiterns. Die unverbindliche Verständigung darauf, 40.000 Flüchtlinge zu verteilen, und später vielleicht weitere 120.000, erscheint angesichts der sich zuspitzenden Lage mehr als bescheiden. Zumal selbst der Minimalkonsens keinen einstimmigen Rückhalt fand. „Einige Staaten fühlen sich einer solidarischen Lösung nicht verpflichtet“, so de Maizière. Damit meint de Maizière auch Tschechien.

Innenminister Milan Chovanec (Sozialdemokraten) hatte vor dem Treffen zu verstehen gegeben, dass Prag den Kommissionsplänen nicht zustimmen werde, da man die geplante Verteilung als eine Bekräftigung von verpflichtenden Quoten verstehe. „Das ist für uns inakzeptabel“, so Chovanec, der gleichzeitig zugestand, dass nur noch „sehr wenige Länder“ diese Haltung teilten. Namentlich sind das vor allem die Slowakei und Ungarn, sodass der Nachrichtenserver „echo24.cz“ von einer „Anti-Quoten-Achse Prag – Bratislava – Budapest“ sprach.

Tschechiens Position in Bezug auf Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen scheint zementiert: Seit Wochen pochen Regierungsmitglieder gebetsmühlenartig auf „Freiwilligkeit“, verbindliche Vorgaben lehnen sie strikt ab.

Bekräftigt wurde diese Haltung am Freitag vergangener Woche, als sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Prag mit seinen Amtskollegen aus den Visegrád-Staaten (Tschechien, Slowakei, Polen, Ungarn) traf.
„Dies ist vielleicht die größte Herausforderung in der Geschichte der Europäischen Union. Wir sind auf die europäische Solidarität angewiesen“, appellierte Steinmeier an die Ostmitteleuropäer. Vergebens. „Wir müssen die Kontrolle darüber behalten, wer und wie viele Menschen zu uns kommen“, beschied Tschechiens Außenminister Lubomír Zaorálek (Sozialdemokraten). Vorwürfe, die V4-Staaten verhielten sich unsolidarisch, wies der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák (parteilos) zurück – das Verhalten sei nicht unsolidarisch, sondern „verantwortungsvoll“.

Zusätzliche Polizisten
Dass Deutschland am Montag wieder Grenzkontrollen einführte, nahmen Politiker in Tschechien und der Slowakei hingegen mit Genugtuung wahr. Prag und Bratislava sehen darin eine Bestätigung ihrer Forderung nach einer besseren Sicherung des Schengen-Raums, an der sie sich ebenfalls beteiligen wollen: „Wir haben die Grenzkontrollen verstärkt und 200 zusätzliche Polizisten an die Übergänge geschickt“, ließ Innenminister Milan Chovanec verlauten.

Statt Quoten, die „dem gesunden Menschenverstand widersprechen“ (Chovanec), fordern die Ostmitteleuropäer unter anderem, die Herkunftsländer zu stabilisieren, härter gegen Schleuser vorzugehen und die EU-Außengrenzen zu sichern. Die EU habe es toleriert, dass die Länder mit EU-Außengrenzen „nicht in der Lage waren, ihre Pflichten zu erfüllen“ – auch das sei eine Ursache der jetzigen Probleme. Dass Staaten wie Deutschland nun den Druck auf die Osteuropäer immer weiter erhöhen – die Bundesregierung schlug am Dienstag EU-Mittelkürzungen für „Quotenverweigerer“ vor –, sorgt in Tschechien mittlerweile für Verärgerung. Und auch der Ton wird schärfer: „Das aktuell größte Problem bei der Lösung der Migrationskrise ist die nicht konsistente Politik Deutschlands. Davon können auch keine Muskelspiele ablenken“, reagierte Innenminister Chovanec per Twitter auf die deutsche Forderung nach Geldkürzungen. Außenminister Zaorálek machte seinem Ärger am Dienstag in der Tageszeitung „Hospodářské noviny“ Luft: „Wie ist es möglich, dass die EU so weich gegenüber den Staaten an der Frontlinie ist, die ihre Pflichten nicht erfüllen? Stattdessen wendet sich Herr Juncker mit seinem Hauptthema Flüchtlingsverteilung gegen uns. Ich wünsche mir die Bereitschaft mit uns zu sprechen, die Bereitschaft zum Kompromiss und die Bereitschaft, die osteuropäischen Länder zu respektieren.“

Angst und Ablehnung
Wenn Zaorálek „Respekt“ einfordert, dann meint er damit auch den Respekt vor den Befindlichkeiten der tschechischen Bevölkerung. Die stehen nämlich im deutlichen Kontrast zur sprichwörtlich gewordenen deutschen Willkommenskultur. Repräsentative Umfragen zeigen, dass eine deutliche Mehrheit die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnt. Zu einer Anti-Islam-Demonstration in Prag kamen am Wochenende etwa 400 Teilnehmer, zur selben Zeit versammelten sich etwas weniger Menschen, um ihrer Solidarität mit Flüchtlingen Ausdruck zu verleihen. Die Stimmung in der Gesellschaft ist von Ablehnung, Skepsis und Angst geprägt. In den sozialen Netzwerken bestimmen obskure Anti-Islam-Gruppen den Ton, die eine Atmosphäre verbreiten, als würde morgen in Tschechien die Scharia eingeführt. Wortmeldungen prominenter Politiker wie die von Präsident Miloš Zeman („Niemand hat sie eingeladen“) oder Ex-Präsident Václav Klaus, der eine Anti-Flüchtlings-Petition initiiert hat, verstärken diese Tendenz. „Wir hinter dem Eisernen Vorhang waren 40 Jahre nicht daran gewöhnt, mit Ausländern zusammenzuleben. Daran gewöhnen sich die Tschechen heute nur sehr schwer“, bietet Zaorálek eine mögliche Erklärung an.

Doch es gibt auch in Tschechien Gegenstimmen, die sich für Flüchtlingen starkmachen. Liberale Kommentatoren wie Luboš Palata („MF Dnes“) oder Jaroslav Spurný („Respekt“) kritisieren die abwehrende Haltung der Regierung, bekannte Wissenschaftler haben bereits im August in einem offenen Brief die „verbreitete Toleranz gegenüber Fremdenfeindlichkeit“ kritisiert und Hilfe und Solidarität für Flüchtlinge eingefordert. Und auch die ehemalige Olympiasiegerin im Turnen, Věra Čáslavská, sowie der tschechische PEN-Club haben kürzlich in öffentlichen Erklärungen die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge kritisiert und ein Zeichen der Solidarität gefordert. Die breite Bevölkerung und die meisten Politiker haben sie damit aber nicht erreicht.