Gastkommentar: Keine Ewiggestrigen

Gastkommentar: Keine Ewiggestrigen

Gedanken zum 65. Sudetendeutschen Tag in Augsburg

11. 6. 2014 - Text: Jaroslav ŠonkaText: Jaroslav Šonka; Foto: Bernd Posselt/APZ

 

Zu Pfingsten wurde in Augsburg die Tradition der Sudetendeutschen Treffen fortgesetzt. Seit Jahren versucht der Sprecher der Volksgruppe Bernd Posselt das Profil der Landsmannschaft zukunftsfähig zu machen. Er war es, der den Weg für Besuche bayerischer Politiker in Prag ebnete und dazu beitrug, dass der damalige tschechische Ministerpräsident Nečas nach München kam und vor dem Bayerischen Landtag sprach. Die Annäherung ist immer noch schwer, auch wenn derzeit an partnerschaftlichen Museumsprojekten in München und Aussig (Ústí nad Labem) gearbeitet wird, auch wenn die ehemaligen Bewohner Städtepartnerschaften schließen und in die Erneuerung der Städte in der alten Heimat investieren.

Die Sudetendeutschen hatten es im Westdeutschland der Nachkriegszeit nicht leicht. Das Dritte Reich hatten sie erst seit 1938 erlebt. Die Begeisterung und Enttäuschung durch Hitler machten sie im Zeitraffer durch. Viele sind fanatische Nazis geworden und haben die Spaltung zwischen Deutschen und Tschechen forciert. Andere haben Verfolgte des Nazi-Regimes aufgenommen und sind dann mit ihnen weiter geflüchtet oder in die Konzentrationslager deportiert worden – die ersten Opfer der Nazis, die nicht aus Deutschland stammten, waren sudetendeutsche Kommunisten, Sozialdemokraten, Priester, Ordensschwestern. Auch diese Geschichte ist beim Pfingsttreffen dargestellt worden. Zum Schluss hatten sie alles verloren und sind aus ihrer Heimat, die sie jahrhundertelang mit den Tschechen teilten, vertrieben worden.

Mit ihren Traditionen und Fähigkeiten aus den Industriegebieten ihrer Heimat haben sie der Entwicklung Bayerns, damals recht zurückgeblieben, starke Impulse verliehen. In ihrer Eichstätter Erklärung von 1949 formulierten sie unter anderem ihren Verzicht auf Rache und Vergeltung, die Versöhnung mit dem tschechischen Volk und den Aufbau eines freien Europas. Die Rückkehr in die Heimat erklärten sie dennoch zum Ziel.

In Süddeutschland, generell traditionsbewusst, haben die Sudetendeutschen eine weitere Traditionslinie hinzugefügt. Mit den Augen eines Achtundsechzigers gesehen, stehen sie als ewiggestrige Trachtenträgerda. Diese atavistische Perspektive ignoriert die Tatsache, dass diese Vertriebenen zunächst praktisch alles verloren haben und deshalb bemüht waren, die einstige Lebenswelt wiederherzustellen. Das Kulturleben der Gruppe entwickelte sich jedoch. Die Kunstpreise der Landsmannschaft zeichnen die nächsten Generationen aus und die Preisträger sind im Leben Deutschlands fest verankert. Schon längst trägt nicht jeder mehr eine Tracht.

Sudetendeutsche waren teilweise sicher Revanchisten, aber vielfach auch Prediger der Versöhnung. Heute sind sie die besten „Tschechen-Versteher“. Zusammen mit tschechischen Menschenrechtlern versuchen sie die gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten. Das zeigt auch der Preis Karls IV., den die Landsmannschaft seit 1958 vergibt. Neben politischen Nominierungen – wie Erika Steinbach und Horst Seehofer – wurden viele interessante „Landsleute“ ausgezeichnet: Richard Coudenhove-Kalergi, böhmischer Graf und Gründer der Paneuropa-Union, Petr Uhl, Dissident in der sozialistischen Tschechoslowakei und Unterzeichner der Charta 77, Max Mannheimer, Vorsitzender des internationalen Dachau-Komitees. Diesmal ist Milan Horáček ausgezeichnet worden, Exil-Tscheche, Aktivist in der Gründungsriege der Grünen, später Mitglied des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlamentes. Für ihn sind Menschenrechte unteilbar und gelten also auch für Sudetendeutsche.

Das Aushängeschild der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, hat bei den Europawahlen seinen Sitz im Parlament verloren, sicher nicht zuletzt wegen der CSU-Kampagne, für deren Stil Horst Seehofer verantwortlich ist. Viele haben mit Bedauern darauf reagiert, auch der Vorsitzende des Europaparlaments Martin Schulz. Beim Pfingsttreffen wurde darüber diskutiert, ob der Verlust des Mandats die Sudetendeutschen schwächt. Es sieht jedoch eher so aus, als ob alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um Posselt als Nachrücker wieder ins Europaparlament zu bringen. Vielen fehlt er dort, da er für seine Agenda der Menschenrechte unter der Überschrift „Volksgruppenschutz“ auch für heutige Fälle eintritt – und dort seine Stimme erhebt, wo Minderheiten durch die Mehrheitsgesellschaft unterdrückt werden. Seine Auftritte bei den Beitrittsverhandlungen osteuropäischer Staaten sind legendär. Diese Perspektive verbindet ihn übrigens mit Milan Horáček, dem diesjährigen Karlspreisträger.

 

Der Autor ist Politologe und Publizist mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen. 1968 emigrierte er in die Bundesrepublik Deutschland und kehrte nach der politischen Wende in seine Heimat zurück.