„Für mich ist Liberec der Favorit!“

„Für mich ist Liberec der Favorit!“

Freiburgs Trainer Christian Streich: Nie in Tschechien, aber viel Erfahrung mit Tschechen

18. 9. 2013 - Text: Klaus Hanisch, Foto: Steven Schaap, CC BY-SA 4.0

Seine Antworten sind wohlüberlegt, und sein Respekt gegenüber Tschechien ist darin unüberhörbar. Im Gespräch mit der „Prager Zeitung“ äußert sich Christian Streich zum Spiel gegen Slovan Liberec am Donnerstag und über „seine“ Tschechen im Kader. Streich ist derzeit der auffälligste Charakter unter den Bundesliga-Trainern. Er hat Abstiegskandidat Freiburg in die Europa League geführt und den Verein durch sein manchmal kauziges, aber stets authentisch wirkendes Auftreten wieder zu einem Verein mit Profil gemacht. Streich ist Kult, auch weil er mit dem Fahrrad zum Training kommt und nicht mit einem teuren Auto, wie seine Profis und viele Kollegen. Und der 48–Jährige gilt als „Jugend-Versteher“: 16 Jahre lang trainierte Streich höchst erfolgreich Nachwuchsmannschaften des SC Freiburg und gewann mit ihnen die Deutsche A-Jugend-Meisterschaft (2008) sowie drei DFB-Juniorenpokale. Seit Dezember 2011 ist er Cheftrainer des Bundesliga-Kaders.

Sie wissen, dass tschechische Fußball-Fans – gerade nach den beiden Niederlagen in der WM-Qualifikation – große Hoffnung in Ihre Arbeit setzen, Herr Streich?

Christian Streich: Ach so? Wegen Darida?

Sie haben mit ihm und Václav Pilař zwei der größten Hoffnungsträger für den tschechischen Fußball unter Ihrer Obhut. Für Vladimír Darida zahlten Sie vier Millionen Euro an Viktoria Pilsen, der teuerste Transfer in der Freiburger Vereinsgeschichte. Warum ist er Ihnen so viel wert?

Streich: Die Ablösesumme kann ich nicht bestätigen. Wir haben Darida beobachtet und fanden ihn über einen längeren Zeitraum sehr interessant, deshalb haben wir ihn verpflichtet.

Darida war beim verlorenen Qualifikationsspiel in Italien einer der besten Tschechen auf dem Platz. Ihr Sportdirektor Klemens Hartenbach sagte, dass er ein „typischer Freiburg-Spieler“ sei. Was bedeutet das genau?

Streich: Er ist sehr laufstark, will immer den Ball, beteiligt sich ständig am Spiel und beweist stets Präsenz.

Die Freiburger machten unter dem Begriff „Breisgau-Brasilianer“ in den neunziger Jahren Furore. Sie ließen Ihre Mannschaft zuletzt ein sehr anspruchsvolles und erfolgreiches System mit viel Ballbesitz, Gegenpressing und Positionswechseln spielen. Wie wird sich Darida darin – auch zum Wohle der Nationalelf – weiterentwickeln?

Streich: Oh, das kann ich Ihnen im Moment nicht sagen. Wir haben letztes Jahr so gespielt, weil wir eingespielt waren. Das hat sich natürlich jetzt verändert (Freiburg verließen nach Saisonende fünf Stammspieler, dafür kamen neun Neuzugänge, Anm. d. Red.).

Vladimír kann sehr viele Positionen im Mittelfeld spielen, wir werden ihn dort einsetzen, wo wir ihn brauchen.Und wie kann er sich dort weiterentwickeln?

Streich: Schon deshalb, weil er jedes Wochenende in der Bundesliga spielt. Das ist eine wichtige Herausforderung, weil er Woche für Woche auf sehr starke Gegner trifft. Manchmal sogar auf überragende wie Bayern oder Dortmund. Und wenn nicht auf überragende Gegner, dann eben auf sehr starke. Das sind auch Augsburg oder Nürnberg.

Wann wird Václav Pilař dabei überhaupt einmal auftauchen, nach seiner schweren Knieverletzung?

Streich: Es geht im Augenblick nur um seine Gesundheit! Er ist im Aufbautraining; ich hoffe, dass er in ein paar Wochen dabei sein wird. Doch zuerst muss er gesund werden, alles andere interessiert im Moment nicht. Er macht gute Fortschritte, doch wir wollen nichts übers Knie brechen. Wir wollen alles richtig machen und nichts gefährden, damit er hoffentlich den Belastungen von Bundesligaspielen standhalten kann. Das ist unser Wunsch.

Viele Beobachter hat überrascht, dass Sie mit Pilař einen Spieler verpflichteten, der schon seit einem Jahr nicht mehr auf die Beine kommt. Spielte dabei Ihre Erinnerung an Pilařs tolle EM 2012 die entscheidende Rolle?

Streich: Klar, ganz klar. Solch einen Spieler bekommen wir nicht, wenn er nicht eine Verletzung hat, weil er sonst nicht für Freiburg bezahlbar ist. Weil er auch nicht nach Freiburg gehen würde, weil er so viel Qualität hat. Solch ein Spieler kommt nur mit einem Handicap zu uns. Das spricht jetzt aber nicht gegen Vác­lav, er ist ein toller Kerl!

Ein anderer Tscheche, Pavel Krmaš, kam schon vor sechs Jahren vom FK Teplice nach Freiburg. Immer wieder wurde über seinen Abschied spekuliert, doch stets auch sein Vertrag verlängert. Was machte ihn für Freiburg über all die Jahre so wichtig?

Streich: Seine Zuverlässigkeit! Leider kann er nicht immer das volle Trainingsprogramm absolvieren. Er hat eine wahnsinnig gute Einstellung, ist ein sehr intelligenter Spieler und identifiziert sich total mit dem Verein. Und er ist auch neben dem Platz eine ganz wichtige Figur, weil wir mit vielen jungen Spielern aus dem eigenen Internat spielen – und er lebt ihnen par excellence vor, was Profi-Fußball bedeutet. Und auch, was guter Umgang mit anderen bedeutet.

Krmaš ist schon 33 Jahre alt, Sie setzten ihn in den ersten Saisonspielen kaum noch ein. Stattdessen standen beim 1:1 gegen Bayern kürzlich acht Spieler aus dem Freiburger Nachwuchs auf dem Platz. Im Sommer läuft Krmašs Vertrag aus; geht seine Zeit in Freiburg jetzt doch zu Ende?

Streich: Pavel hat nicht gespielt, weil er verletzt war. Wenn er gesund ist, kann er uns immer helfen, in jedem Spiel. Aber er muss gesund sein. Wir hoffen, dass wir ihn bald auf die Bank setzen und zumindest mal einwechseln können. Es kann sein, dass er auch nächstes Jahr noch bei uns ist, weil er eben all diese Vorzüge verkörpert, die ich geschildert habe.

Ihr Klub startete schwach in die Saison, knöpfte aber ausgerechnet Bayern München die ersten Punkte ab. Wie sah Ihre Vorbereitung für das Spiel gegen Slovan Liberec zum Auftakt der Europa League aus?

Streich: Ich habe mir die Spiele von Liberec gegen Zürich und Udine angesehen, auch gegen Jablonec. Man sieht eine sehr erfahrene Mannschaft, sehr abgebrüht. Sie schlägt immer im richtigen Moment zu, ist Europapokal-erfahren. Ein ganz ganz schwerer Brocken für uns, zumal wir ja im totalen Umbruch sind und man unsere Mannschaft nicht mehr mit der im letzten Jahr vergleichen kann.

Sie sprechen stets davon, dass die Europa League für Freiburg ein Abenteuer und eine große Herausforderung ist. Gegen Liberec haben Sie am Donnerstag ein Heimspiel. Ist Slovan, immerhin schon dreimal tschechischer Meister, daher trotzdem für Sie der Favorit?

Streich: Ja, Liberec ist für mich der Favorit! Aufgrund ihrer Erfahrung und unseres Umbruchs.

Obwohl auch Liberec wie Freiburg einen Kader mit vielen jungen Spielern hat?

Streich: Das ist uns aufgefallen, klar. Das sieht man auf den Videobildern, wenn man in die Gesichter schaut. Von Tschechien ist ja bekannt, dass die Ausbildung gut ist, auch bei Sparta Prag oder bei Slavia. Wir haben mit der Jugend oft gegen sie gespielt, bei internationalen Turnieren. Viele Tschechen spielen ja im Ausland, nicht erst jetzt, sondern schon seit einigen Jahrzehnten. Aber Liberec hat eine gute Mischung, hat auch sehr erfahrene Spieler auf dem Platz.

Bei seiner ersten internationalen Teilnahme scheiterte Freiburg 1995 an Slavia Prag. Sie arbeiteten damals schon für den Sportclub. Erinnern Sie sich noch an das Spiel.

Streich: Ich erinnere mich schwach. Wie hieß der Blonde im Mittelfeld?

Karel Poborský.

Streich: Ja, Poborský hat gespielt. An ihn erinnere ich mich, weil er technisch so wahnsinnig gut war.

Freiburg nimmt durch die Europa League geschätzt mehr als fünf Millionen Euro ein. Genug Geld, um möglicherweise noch ein Talent aus Tschechien zu verpflichten – etwa den jungen Nationalspieler Michael Rabušic (24) von Gegner Liberec?

Streich: Ach, darüber will ich nicht spekulieren. Liberec hat gute Spieler, das ist außer Frage. Da sind Spieler dabei, die interessant sind. Das ist auch normal für eine Spitzenmannschaft aus Tschechien. Ihre Spieler sind für viele Mannschaften in der Bundesliga und andere Ligen in Europa interessant.

Nach der Auslosung bekundeten Sie, noch nie in Tschechien gewesen zu sein. Haben Sie mittlerweile eine Einladung von einem Ihrer Tschechen dorthin erhalten bzw. bleibt noch etwas Zeit für einen Besuch von Liberec beim Rückspiel?

Streich: Wenn wir in Liberec wohnen sollten, werde ich auf jeden Fall einen Spaziergang machen, um es mir anzuschauen, das ist definitiv sicher. Aber auch sonst will ich gerne mal nach Tschechien; es ist ja nicht so weit weg und komischerweise war ich trotzdem noch nicht dort.

Das Gespräch führte Klaus Hanisch.

„Streich der Woche“

Manche behaupten, Christian Streich sei der „verrückteste Trainer der Liga“. Darüber ärgert er sich. Sicher ist aber, dass Streich offen sagt, was er denkt und sich nicht hinter Phrasen versteckt. Und dass ihm durch die überraschenden sportlichen Erfolge und sein unkonventionelles und manchmal kauziges Auftreten hohe Aufmerksamkeit zuteil wird, beim Publikum wie in Medien. Frühzeitig widmete ihm der lokale Fernsehsender „TV Südbaden“ eine Videokolumne, die „Badische Zeitung“ rief den „Streich-o-mat“ ins Leben, eine „Hommage in Ton und Video an Christian Streich“. Und auf Facebook gibt es den „Streich der Woche“, hier werden Sprüche von Pressekonferenzen oder Interviews gepostet. Nachfolgend eine Auswahl von Erkenntnissen des Freiburger Erfolgscoachs:

„Sterben müssen wir, gewinnen müssen wir nicht.“
Antwort auf die sportliche Frage eines Journalisten

„Wenn ich 40 Millionen Euro zur Verfügung hätte, würde ich womöglich aus lauter Verwirrung in die andere Richtung laufen und ihm gar nicht begegnen.“
Über den Rekordtransfer der Bundesliga, die Verpflichtung von Javi Martínez durch Bayern München

„Die Leute in Freiburg sind nicht blöd, die spüren, was gerade passiert, und plötzlich sind es nicht nur elf auf dem Platz, die etwas miteinander zu tun haben, sondern ein paar Tausend im Stadion. Darum geht’s! Mir ist wichtig, wenn die Leute sehen, dass sich auch die Ersatzspieler engagiert aufwärmen.“
Über den Fußball

„Ich weiß nicht, was morgen ist. Wenn ich das wüsste, das wäre ja furchtbar.“
Über das Leben

„Denksch’: Unentschiede wär’ gut. Beim nulleins denksch’: au nit schlecht, Lautern null Punkte ’ oh, aber scheiße: Köln het drei! Dann gehsch’ zur Toilette, schon führe de Mainzer in Schalke. Am beschte: Machsch’ de Fernseher aus, schausch’ de Tabelle nit an, bringt eh alles nix. Spielsch’! Übsch’!“
Über seine Gedanken beim Gucken anderer Bundesligaspiele