Flutwelle könnte Sonderkonjunktur bringen

Schäden werden auf zwei Milliarden Euro geschätzt / Mittel für Sanierung von Straßen und Häusern stehen bereit

7. 6. 2013 - Text: Friedrich GoedekingText: Gerit Schulze (gtai)

Die Hochwasserkatastrophe in Tschechien könnte der Wirtschaft einen Wachstumsschub geben. Der Staat will den Betroffenen schnell und unbürokratisch helfen. Auch die EU stellt Mittel aus dem Solidaritätsfonds bereit. Große Geldsummen stehen für die Instandsetzung der zerstörten Gebäude und Infrastruktur zur Verfügung. Ebenso dürfte die Bauwirtschaft von Projekten für den Hochwasserschutz profitieren. Dagegen haben viele Chemiebetriebe entlang der Elbe mit Produktionsausfällen zu kämpfen.

Seit Anfang Juni 2013 Elbe und Moldau in Tschechien über die Ufer traten und Schäden in Milliardenhöhe verursachten, ist die strikte Sparpolitik der Regierung in Prag plötzlich vergessen. Schnell kündigten Finanz- und Premierminister unisono an, dass den betroffenen Bürgern und Betrieben mit Geld aus den Staatskassen geholfen wird.

Aus dem Verkehrsinfrastrukturfonds SFDI werden 1,3 Milliarden Tschechische Kronen (Kč; 50 Mio. Euro; Wechselkurs am 5.6.2013: 1 Euro = 25,86 Kč) für Reparaturen an Straßen und Schienenwegen bereitgestellt. Weitere 2 Milliarden Kronen kommen aus dem Staatshaushalt.

Außerdem soll die teilstaatliche Entwicklungsbank ČMZR zinsgünstige Darlehen an Unternehmen auszahlen, deren Produktionsstätten vom Hochwasser beeinträchtigt wurden. Solche Firmen müssen laut Plänen der Regierung zunächst keine Vorauszahlungen auf die Körperschaftsteuer leisten. Familien, deren Wohnungen beschädigt sind, können mit einem Zuschuss von 30.000 Kronen vom Staat für den Wiederaufbau rechnen. Weitere 100.000 Kronen sollen als langfristiger Kredit mit 2 Prozent Verzinsung zur Verfügung stehen. Den Kommunen will der Staat Geld zum Neubau von Mietwohnungen geben. Ein konkreter Wiederaufbauplan wird bis Mitte Juni 2013 erarbeitet.

Wie hoch der Schaden ist, den die Flut vom Juni 2013 angerichtet hat, kann derzeit nur geschätzt werden. Fast täglich müssen die Summen angehoben werden, weil die Pegelstände nur langsam sinken. Besonders in Mittel- und Nordböhmen, in Städten wie Kralupy nad Vltavou, Mělník, Ústí nad Labem oder Děčín, hat das Hochwasser verheerende Folgen.

Beim letzten Jahrhunderthochwasser 2002 verursachten die Wassermassen einen volkswirtschaftlichen Schaden von 75 Milliarden Kronen (nach heutigem Wechselkurs rund 2,9 Milliarden Euro). Das entsprach 2,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). In diesem Jahr gehen erste Schätzungen von knapp 50 Milliarden Kronen Schaden (1,9 Milliarden Euro) aus. Da die Wirtschaftsleistung inzwischen deutlich gestiegen ist, entspräche das einem Anteil von 1,3 Prozent des BIP.

Die österreichische Erste Group Bank rechnet in einer aktuellen Analyse mit 35 Milliarden Kronen, die die Beseitigung der Flutschäden in Tschechien kostet. Davon würden bis zu 80 Prozent von Versicherungen, aus EU-Hilfsfonds oder vom Staat aufgebracht. Der Schwung des Wiederaufbaus würde die Wirtschaftsleistung im 2. Halbjahr 2013 laut Erste Group um 0,7 Prozentpunkte ansteigen lassen.

Einen solchen positiven Sondereffekt könnte die tschechische Wirtschaft dringend gebrauchen. Denn die Hochwasserkatastrophe fiel mitten in die Zeit, als das tschechische Statistikamt seine Zahlen für die Konjunkturentwicklung im 1. Quartal 2013 noch einmal nach unten revidieren musste. Demnach ist das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zur Vorjahresperiode um 2,2 Prozent gesunken. Ein schwacher Binnenkonsum, sinkende Investitionen und die stagnierenden Ausgaben des Staates sorgen für trübe Aussichten. Tschechien befindet sich das zweite Jahr in Folge in der Rezession. Die nun anrollende Investitionswelle in Folge der Flutkatastrophe könnte das Bild wieder etwas aufhellen.

Dennoch haben viele Unternehmen zunächst Einbußen ihrer Geschäfte zu erleiden. Immobilienentwickler erwarten fallende Preise für Objekte in Wassernähe. Prager Hotels berichten von Stornierungen ausländischer Touristen. Der bekannte Milchverarbeiter Madeta in Český Krumlov war teilweise überflutet, so dass Milchtankwagen und Mitarbeiter nicht ins Werk kamen. Beim Bierbrauer Staropramen, der nur wenige Meter neben dem Moldauufer in Prags Innenstadt residiert, wurde die Produktion unterbrochen. Die tschechische Post Česká pošta musste zwei Dutzend Filialen schließen und die Briefzustellung im gesamten Moldaugebiet einschränken.

Noch schlimmer hat es die Chemieindustrie getroffen, deren wichtige Vertreter direkt an Elbe und Moldau ihre Fabriken haben. Spolana in Neratovice (produziert PVC-Pulver, Caprolactam, Ammoniumsulfate oder Flüssigchlor), Preol (Biokraftstoffe) und Lovochemie (Mineraldünger) in Lovosice oder Synthos in Kralupy nad Vltavou (synthetischer Kautschuk) mussten ihre Anlagen herunterfahren und Chemikalien in Sicherheit bringen.

Ebenso wurden mehrere Kläranlagen in dem Katastrophengebiet abgeschaltet. Auch die Energiewirtschaft ist betroffen, besonders die sogenannte Moldau-Kaskade, ein System von Staudämmen und Wasserkraftwerken am Unterlauf der Moldau vor der Hauptstadt Prag. Stromversorger in Prag und in anderen Regionen waren gezwungen, Hunderte von Trafostationen abzuschalten, die überflutet waren. Diese Anlagen müssen nun ersetzt werden. Auch mehrere Heizkraftwerke, unter anderem in České Budějovice, Tábor und Písek stellten ihren Betrieb zeitweise ein.

Bei der tschechischen Tochter des deutschen Energiekonzerns RWE hat die Flut ebenfalls Spuren hinterlassen. Tausende Gaskunden mussten aus Sicherheitsgründen zeitweilig vom Netz getrennt werden. Der deutsche Versicherungskonzern Allianz rechnet bei seiner tschechischen Tochter infolge der Flut mit tausenden Versicherungsfällen und Auszahlungen von rund 1 Milliarde Kronen.

Doch die Flutwelle bietet auch neue Geschäftschancen. Das betrifft nicht nur den Wiederaufbau der Häuser, Straßen und Schienenwege. Auch der Ausbau des Hochwasserschutzes dürfte nun forciert werden. Über das EU-Programm Umwelt werden in Böhmen, Mähren und Mährisch-Schlesien im Zeitraum 2007 bis 2013 rund 320 Projekte mit einer Investitionssumme von über 100 Millionen Euro gefördert. Viele Vorhaben haben noch nicht begonnen und sollten nun beschleunigt in Angriff genommen werden. Unabhängig davon ist an der Moldau-Talsperre Orlík geplant, die Staumauer zu erhöhen, um so mehr Wasser speichern zu können. Das wurde zuvor schon am Stausee Lipno praktiziert.

Die Erfahrungen mit dem Hochwasserschutz nutzen einige tschechische Firmen auch zur Entwicklung neuer Produkte. Für Aufsehen sorgte Rubena aus Nachod. Das Unternehmen produziert spezielle Gummisäcke, aus denen schnell mobile Schutzwälle gegen Hochwasser errichtet werden können. Inzwischen gibt es sogar Aufträge aus den USA. Andere Anbieter von Wandsystemen aus Aluminium oder von Trocknungsgeräten verzeichnen derzeit verstärkte Nachfrage.