Fakten und Fiktionen

Fakten und Fiktionen

Die Arbeitslosigkeit in der bayerisch-tschechischen Grenzregion steigt – dennoch werden Arbeitsagenturen geschlossen. Ein Kommentar

26. 6. 2013 - Text: Pit FiedlerText: Pit Fiedler; Foto: BA

 

Die monatlichen Statistiken zum tschechischen Arbeitsmarkt belegen, dass sich im Kreis Karlovy Vary (Karlsbad) dieselbe Krise entwickelt, die für ganz West- beziehungsweise Nordböhmen symptomatisch ist. Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) warnt deshalb in ihrem Weltarbeitsmarkt-Bericht für dieses Jahr nicht nur in den bekannten europäischen Krisenländern, sondern auch in Tschechien vor einem möglichen Ausbruch sozialer Unruhen.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im Kreis Karlovy Vary erreichte die Arbeitslosigkeit im Mai mit 8,8 Prozent einen Spitzenwert; dem steht eine geringfügige Zahl freier Stellen gegenüber. Ein genauerer Blick in die Statistiken verrät weiterhin, dass die Lage in dem an Oberfranken angrenzenden Bezirk Cheb (Eger) im Mai mit 7,3 Prozent wesentlich positiver ausfällt als im Bezirk Sokolov (Falkenau). Dort ist die Arbeitslosigkeit mit 10,6 Prozent am höchsten. Anzunehmen ist, dass im Bezirk Cheb ein grenzüberschreitender Ausgleich mit Bayern stattgefunden hat, wie es die Europäische Union mit dem Prinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit intendiert.

Tatsächlich aber läuft die Entwicklung zwischen Oberfranken und Karlovy Vary seit Jahren in die umgekehrte Richtung. Wie überall in Deutschland baut die Bundesagentur für Arbeit ihren Personalstand wegen der zunehmend fehlenden Klienten auch in den grenznahen Arbeitsagenturen Oberfrankens ab. Damit wird diesen jede Möglichkeit genommen, die enorme Anzahl an Arbeitssuchenden im Bezirk Karlovy Vary bedarfsgerecht zu vermitteln, obwohl auf der oberfränkischen Seite der Grenze dringend Arbeitskräfte gesucht werden. Anstatt die Vermittlungsbemühungen zu verstärken und kooperativ nach Tschechien auszudehnen – wie es in südlicheren Regionen beispielsweise seitens der grenznahen Arbeitsagentur Schwandorf und ihrer Außenstelle in Pilsen seit 2012 passiert – kehrt man der Grenze im Norden Bayerns offenbar den Rücken zu und verschließt die Augen vor den Folgen kurzsichtiger nationaler Sparmaßnahmen. Dass allem Anschein nach, eine Region abgeschrieben wird, ist aus europäischer Sicht fatal und für die innereuropäische Grenzregion ein unakzeptables Verhalten.

Recht auf Freizügigkeit
Zwar fördert die grenzüberschreitende Arbeitsvermittlung eine Vielzahl von Problemen zutage, die gemeinsam gelöst werden müssen – angefangen bei der Sprachbarriere bis hin zu den fehlenden interkulturellen Kenntnissen. Das sollte allerdings kein Grund sein, diese zu unterlassen. Im Gegenteil: „In einem anderen EU-Land zu arbeiten“, stellte EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration László Andor jüngst fest, „sollte genauso leicht fallen wie im eigenen Land.“

Ein edles Ziel, das mit einem von der Kommission beschlossenen Maßnahmenkatalog zur besseren Anwendung des Rechts der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit – die Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rats vorausgesetzt – unterlegt ist. Mit dem Vorschlag sollen alle Hindernisse und Diskriminierungen bei der europaweiten Arbeitssuche abgebaut werden. Nachteile für Wanderarbeiter beim Zugang zu einer Beschäftigung, schlechte Arbeitsbedingungen, Ungleichheiten bei sozialen und steuerlichen Vergünstigungen sowie bei der Anerkennung von Abschlüssen – um nur einige Beispiele anzuführen – müssen künftig der Vergangenheit angehören. Nicht zuletzt soll auch das Wissen um das gültige EU-Recht sowohl den Arbeitnehmern als auch den Arbeitgebern vermittelt werden, da es noch immer nicht hinreichend bekannt ist.

Neue Kontaktstellen nötig
Es bleibt die Frage, wie das Ziel in Oberfranken und der Karlsbader Region – die symptomatisch für viele andere steht – erreicht werden soll, wenn jetzt die personellen und institutionellen Voraussetzungen für eine Verwirklichung vor Ort gekappt werden. Die von der Kommission vorgeschlagene Einrichtung neuer nationaler Kontaktstellen für EU-Wanderarbeitnehmer und Arbeitgeber zur Information, Unterstützung und Beratung wird die nötige grenzüberschreitende Arbeit wohl ebensowenig in Gang bringen wie die frisch angekündigte Etablierung von Plattformen und Netzwerken zur Verbesserung der Kooperation zwischen den öffentlichen Arbeitsverwaltungen in den EU-Mitgliedsstaaten.