Fack ju Göhte

Ein Anti-Denkmal vor dem Goethe-Institut sollte provozieren. Jetzt ist es weg – aber eine Rückkehr in den öffentlichen Raum ist nicht ausgeschlossen
19. 1. 2016 - Text: PZ
Das Denkmal ist verschwunden, aber Berthold Franke ist trotzdem zufrieden. Ein richtiges Denkmal sollte es auch gar nicht sein, wird der Leiter des Prager Goethe-Instituts gleich sagen. Sondern ein Nicht-Denkmal, ein Ausrufezeichen und – natürlich – auch eine Provokation. Kunst eben, nicht verstaubt, sondern lebendig. Aber auf einem altehrwürdigen Sockel. Dass das den Prager Behörden nicht gefällt, war wohl abzusehen. Am Ende könnte aber trotzdem die Kunst siegen.
Die Aufregung um das Anti-Denkmal begann im Oktober vergangenen Jahres. Das Kunstwerk wurde vor dem Goethe-Institut am Masaryk-Ufer enthüllt. Auch Oberbürgermeisterin Adriana Krnáčová (ANO) war gekommen und applaudierte mit. Der Anblick war gewöhnungsbedürftig. Eine Schubkarre auf einem Sockel, mit goldenen Griffen und gefüllt mit einer Menge Schrott. Geschaffen hatte das Arrangement der tschechische Künstler Jiří David. Dass der gerne provoziert, war Franke durchaus bewusst. „Wir wollten niemanden ärgern“, sagt der Institutsleiter, „aber ein bisschen spielen“.
Der gewichtigere Teil des Spiels war der Sockel, auf den David seine Schubkarre montierte. Er wiegt knapp sechs Tonnen und trug schon einmal ein Denkmal, ein „richtiges“, und zwar in Karlsbad (Karlovy Vary). Die westböhmische Kurstadt hatte Johann Wolfgang von Goethe 13 Mal besucht und zu seinen Lieblingsstädten gezählt. Zu Ehren des Dichters wurde dort 1883, 51 Jahre nach Goethes Tod, vor dem Grandhotel Pupp eine Büste enthüllt, die der Stuttgarter Bildhauer Adolf von Donndorf gefertigt hatte. Als nach dem Zweiten Weltkrieg viele Denkmäler in ehemals von Deutschen bewohnten Städten weichen mussten, wurde die Goethe-Büste in Karlovy Vary zunächst mit Holzlatten verkleidet.
Im Januar 1946 erklärte Ladislav Kozák, damaliger Vorsitzender des städtischen Bauamtes: „Die Genialität Goethes und seine Vorliebe für Karlsbad lässt sich nicht bestreiten, genauso wenig wie seine geologischen Entdeckungen, die er für die Stadt geleistet hat. Man muss allerdings bedenken, dass er auch als typischer Vertreter des Deutschtums wahrgenommen wird. (…) Wenn er auch ein großer Literat war, so war er doch ein schwacher Mensch. Sein menschliches Profil ist uns fremd und nicht besonders sympathisch.“ Das Denkmal musste weg. Der Sockel wurde genutzt, um einen Bombenkrater in der Nähe des Unteren Bahnhofes zu füllen und geriet in Vergessenheit, während die Büste zunächst ins Museum kam, 1952 aber auf einem bescheideneren Podest wieder aufgestellt wurde.
Im vergangenen Winter passierte dann jedoch, was mit der Vergangenheit so oft passiert, wenn man glaubt, genügend Erde darüber geschüttet zu haben. Bei Baggerarbeiten für einen neuen Parkplatz fand Marek Kokš zwei Marmorstücke, die er seinem Freund, dem Bildhauer Karel Meloun, zeigte. Der übergab den Fund an die Stadt Karlovy Vary. Die verlieh ihn wenige Monate später an das Goethe-Institut in Prag, das Jiří David daraus ein „temporäres Anti-Denkmal“ erschaffen ließ.
Kein toter Mann
„Es stellt eine erstarrte, lavaähnliche Landschaft dar, bestehend aus den zermalmten Überresten unseres kulturellen Gedächtnisses“, schreibt der Künstler selbst über sein Werk. „Das Denkmal verkörpert die nebulöse Gegenwart der Mikro-Apokalypse, das ängstliche Chaos in unseren Köpfen.“ Aber darf so ein Goethe-Denkmal deswegen aus einem Haufen Schrott bestehen? Dem Institut gehe es um eine moderne Interpretation von Goethe, erklärt Franke. „Goethe ist kein toter Mann, sondern eine Metapher für die deutsche Kultur, für die Weltliteratur, für das gegenseitige Verstehen.“ Nicht nur Hochkultur will das Goethe-Institut sein, „nicht nur Streichquartett“, sagt Franke. Das Spiel mit dem alten Sockel und dem Namen des großen Dichters erinnert ein wenig an den Filmtitel „Fack ju Göhte“, dessen zweiter Teil im vergangenen Jahr auch in Tschechien viele Besucher in die Kinos lockte.
Doch nicht jeder erkennt in einer Schubkarre voller Schrott die „reflektierte Selbstironie“, die der Künstler seinem Werk zuschreibt. Die Prager Stadtverwaltung zum Beispiel schaute sich das Anti-Denkmal aus einer ganz anderen Perspektive an. Ihr ging es laut einer Sprecherin nicht um den künstlerischen Wert, sondern um die Verkehrssicherheit. Zwar war die Installation vorübergehend genehmigt. Im Dezember teilten die Behörden jedoch mit, eine Verlängerung käme nicht in Frage. „Das örtlich zuständige Straßenverwaltungsamt ist unter dem Aspekt der langfristigen Nutzung des Gehwegs zu dem Urteil gekommen, dass die Installation irgendeines Gegenstands an dieser Stelle nicht zugelassen werden kann“, so die Sprecherin.
Wieder musste der Sockel weichen, diesmal ist er aber nicht in einem Bombenkrater, sondern im Atelier eines Prager Künstlers untergebracht. Was damit geschehen soll, ist Franke zufolge noch offen. Das Goethe-Institut darf noch mindestens bis Ende des Jahres über ihn verfügen und würde gerne auch andere Künstler einladen, etwas daraus zu machen. Ideen, Orte und Verbündete für weitere Aktionen werden derzeit noch gesucht.
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