Ein Hauch von Schadenfreude
Brexit-Referendum: Zaorálek fordert Junckers Rücktritt – Sobotka verlangt Reformen
29. 6. 2016 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: J. Füllenbach
Zumindest heimlich hat sich in Tschechien gewiss manch einer über die Entscheidung der Briten gefreut. Spätestens nach dem Streit um verbindliche Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen rümpfen nicht mehr nur erklärte EU-Skeptiker wie Ex-Präsident Václav Klaus die Nase über Brüssel. Während einige Bürger keinen Hehl aus ihrer Ablehnung machen (siehe Umfrage), fielen die offiziellen Reaktionen eher besonnen aus – mit einer Ausnahme.
Am meisten Gehör verschaffte sich wohl Außenminister Lubomír Zaorálek (ČSSD), der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Wochenende zum Rücktritt aufforderte (siehe Kommentar). Sein Parteikollege Premier Bohuslav Sobotka versuchte am Dienstag in Brüssel teilweise zu besänftigen: Man müsse die Funktionsweise der gesamten Union und der Europäischen Kommission ändern, erklärte er nach einem Treffen mit dem Ratsvorsitzenden Donald Tusk. Es wäre aber unglücklich, sich jetzt über Personalien zu streiten.
Zuvor hatte Sobotka bereits gefordert, die EU müsse stärker die Vorteile vermitteln, die die Integration den Staaten bringe. Wie Verteidigungsminister Martin Stropnický (ANO) fürchtet auch der Premier, dass Populisten und europafeindliche Politiker vom Ergebnis des Referendums profitieren könnten.
Vizepremier Andrej Babiš (ANO) bezeichnete die Entscheidung der Briten als Ohrfeige, auf die man schnell reagieren und sichtbare Reformen durchführen müsse. Er warnte davor, die Mitglieder zu einer tieferen Integration zu zwingen.
Der tschechischen EU-Kommissarin Věra Jourová (ANO) zufolge kam das Referendum zur falschen Zeit. Sie glaubt, dass das Thema Migration großen Einfluss auf die Abstimmung hatte. Das Ergebnis „schwächt uns“, sagte sie, „vor allem in dieser Zeit, in der Europa so stark wie möglich sein sollte, weil wir eine Menge Krisen bewältigen müssen“.
Einen Zusammenhang zur Debatte über Flüchtlinge sieht auch Präsident Miloš Zeman. Zum Ergebnis des Referendums habe seiner Meinung nach auch die Angst vor Einwanderern beigetragen. Zudem meint er, dass sich mit dem Austritt der Briten die wirtschaftlichen Bedingungen in Europa verschlechtern, und zwar auch für Tschechien.
Die Regierung beschloss am Montag, eine Arbeitsgruppe zu gründen, die Tschechiens Position in den Austrittsverhandlungen mit Großbritannien vorbereiten soll. Leiten soll sie der Staatssekretär für europäische Angelegenheiten Tomáš Prouza.
Worauf es Tschechien dabei ankommt, machte Soboka deutlich: „Eines unserer wichtigen Ziele wird der Versuch sein, gleichwertige Bedingungen für tschechische Bürger auf dem britischen Arbeitsmarkt zu erhalten, genau wie sie die Briten in Tschechien nutzen.“
„Wie 1938“
„Unterdurchschnittlich regiert“