Ein bisschen gegen Nord Stream

Ein bisschen gegen Nord Stream

Tschechien sieht Ausbau der Ostsee-Pipeline skeptisch

9. 12. 2015 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Nord Stream AG

Tschechien ist dagegen. Ein bisschen zumindest. Aber nicht so sehr, dass es sich dem slowakischen Protestbrief anschließt. Die Rede ist von der Ostsee-Pipeline Nord Stream, die nach dem Willen des russischen Energiekonzerns Gazprom und seiner europäischen Partner rasch ausgebaut werden soll. Viele osteuropäische Länder haben Bedenken – sie fürchten, die Erweiterung der Transportwege im Norden könnte vor allem die Ukraine schwächen. Auch die tschechische Position klang bisher so. Der Plan könnte die Ukraine destabilisieren, hatte Premier Bohuslav Sobotka (ČSSD) zuletzt Mitte November auf einer Konferenz zum Thema Rohstoffsicherheit in Prag gewarnt.

Anfang vergangener Woche ergriff nun der slowakische Wirtschaftsminister Vazil Hudák die Initiative. Er verfasste einen Brief an Maroš Šefčovič, der als Vizepräsident der EU-Kommission für die Energieunion zuständig ist. Unterstützung bekam die Slowakei aus Litauen, Lettland, Estland, Polen, Ungarn und Rumänien, die den Brief mitunterzeichnet haben. Seinen tschechischen Amtskollegen Jan Mládek (ČSSD) forderte Hudák ebenfalls auf, den Protest zu unterstützen. Der erklärte jedoch, das Schreiben sei zu scharf formuliert. Er legte den Brief der tschechischen Regierung vor, die am Mittwoch vergangener Woche entschied, ihn nicht zu unterzeichnen.

Durch die Pipeline Nord Stream wird russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland transportiert und von dort weiter in andere mittel- und westeuropäische Staaten. Anfang September unterzeichneten Gazprom und seine Partner – die deutschen Konzerne E.ON SE und BASF SE/Wintershall, der englisch-niederländische Konzern Royal Dutch Shell plc, die OMV AG aus Österreich und das französische Unternehmen Engie S.A. – einen Aktionärsvertrag über den Bau zweier weiterer Leitungsstränge. Neben der Ukraine könnte durch das Projekt künftig auch die Slowakei um die Einnahmen kommen, die sie bisher als Gebühren für den Transit von russischem Gas nach Westeuropa kassiert.

Dass Tschechien den Protestbrief nicht unterzeichnet hat, mag eine diplomatische Geste sein. Vielleicht war er der Regierung tatsächlich zu scharf formuliert, vielleicht wollte sie nach dem Streit um die Flüchtlingsquoten nicht schon wieder auf Konfrontationskurs mit Deutschland und anderen großen EU-Staaten gehen. Ihre Meinung zu Nord Stream hat die Regierung aber wohl nicht grundsätzlich geändert.

So gab sich Mládek Mitte vergangener Woche noch diplomatisch: Nord Stream habe Vor- und Nachteile, sagte er, fügte jedoch hinzu, er werde sich als zuständiger Minister dafür einsetzen, dass die Transportwege über die Ukraine nach Tschechien erhalten bleiben. Nach einem Treffen mit Hudák am Freitag wurde er dann wieder deutlicher: Er und sein slowakischer Kollege seien sich einig, dass die Rolle der Ukraine als Transitland erhalten bleiben müsse. Das sei der „wirtschaftlich effektivste Weg, Erdgas nach Europa zu transportieren“, so Mládek. Dem Minister zufolge unterstützt Tschechien außerdem die Erschließung neuer Quellen. Die besten Perspektiven sehe er derzeit für die Pipeline Tanap, ein türkisch-aserbaidschanisches Projekt, das bereits gebaut wird. „Künftig könnten wir von Aserbaidschan nicht nur Öl kaufen, sondern auch Gas“, sagte Mládek.  

Umstrittene Leitung
Die Vorbehalte der Ost- und Mitteleuropäer gegen die Erweiterung von Nord Stream erinnern an die Situation vor einigen Jahren, als der Bau der ersten beiden Stränge ebenfalls für Streit sorgte – wie heute fürchteten die Staaten, die direkte Verbindung vom russischen Wyborg ins deutsche Lubmin stelle einen Nachteil für die Ukraine und andere Transitländer weiter südlich dar. Gebaut wurde die 1.224 Kilometer lange Gasleitung mit zwei Strängen trotzdem. Zusammen können sie über einen Zeitraum von mindestens 50 Jahren Unternehmen und Privathaushalte in Europa mit jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas versorgen, schreibt die Nord Stream AG, ein internationales Konsortium mit Sitz in der Schweiz, das 2005 zur Planung, zum Bau und zum anschließenden Betrieb von Nord Stream gegründet wurde.

Vom EU-Parlament und dem Europäischen Rat wurde Nord Stream als „Vorhaben von europäischem Interesse“ eingestuft. Die Arbeiten am ersten Strang begannen im April 2010, in Betrieb genommen wurde er Mitte November 2011. Der zweite Strang entstand im Mai 2011, das erste Gas floss im Oktober 2012. Durch jeden Strang können rund 27,5 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Europa strömen.