Durch die Hintertür nach Tschechien

Durch die Hintertür nach Tschechien

Immer mehr junge Leute aus den krisengeplagten Euro-Ländern suchen Arbeit in Tschechien.
Hier verdienen sie zwar weniger, aber das ist besser als nichts

19. 6. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText und Foto: Martin Nejezchleba

Jetzt passt auch das Wetter. Almudena Rodríguez Hortigüela fühlt sich pudelwohl in der tschechischen Hauptstadt. Die junge Spanierin streicht sich mit schwarz lackierten Fingernägeln eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht und blickt auf die Schäfchenwolken über der Prager Altstadt. Was sie wirklich nerve hier, in ihrer vor­übergehenden Wahlheimat? Der endlose Winter, der verregnete Frühling, das Grau. Jetzt, da der Sommer endlich seinen Weg nach Mitteleuropa gefunden hat, saugt Almudena die Sonne auf, so oft es nur geht. Zum Mittagessen geht sie in den Park.

In ihrer Heimatstadt Madrid scheint die Sonne zwar öfter, die Stimmung ist aber trotzdem deprimierend. Die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen lag Ende 2012 bei 55,2 Prozent. „Es gab einen Moment, da herrschte die absolute Traurigkeit in Spanien“, erinnert sich Almudena. Sie hat Architektur studiert. Nachdem die spanische Baublase geplatzt war, ist das einer der problematischsten Berufe auf der krisengeplagten iberischen Halbinsel. Kaum jemand aus Almudenas Jahrgang konnte Arbeit finden, manche ihrer Freunde verzichten auf ihr Gehalt, um arbeiten zu können.

Migrationsziel Deutschland
Almudena wollte weg, nach Deutschland. Sie nahm Sprachunterricht und hat sechs Monate lang Bewerbungen verschickt. Nichts. Gerade wollte die 26-Jährige ihre Koffer packen und auf gut Glück in die Bundesrepublik, da trudelte über das Soziale Netzwerk „LinkedIn“ ein Angebot ein: Das Prager Architekturstudio „Atelier Vltava“ war auf der Suche nach ausländischen Trainees, also gut ausgebildeten Nachwuchskräften. Almudena hatte dank  Nebenjobs ein wenig Geld gespart, so dass auch die mageren 150 Euro, die ihr das Prager Studio monatlich zahlt, sie nicht davon abhielten, in ein Land zu ziehen, das sie nicht kannte und dessen Sprache sie nicht beherrscht.

Immer mehr Leute aus dem krisengeschüttelten Süden der EU zieht es nach Norden. Deutschland gehört zu den beliebtesten Destinationen dieser meist jungen Migranten. Laut dem Statistischen Bundesamt ist die Zuwanderung aus Spanien im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2011 um 45 Prozent gestiegen. Ein ähnlich hohes Wachstum der Zuwanderungsraten vermeldet das Amt aus dem Rest der sogenannten PIGS-Staaten, also aus Griechenland, Italien und Portugal. Allein 2012 sind knapp 36.000 Menschen aus Griechenland in die Bundesrepublik gezogen.

Die Anzahl der Zuwanderer aus dem Süden Europas nach Tschechien, lässt sich damit kaum vergleichen. Aber auch in Böhmen und Mähren ist die Tendenz steigend. Im Jahr 2011 waren 1.810 Italiener beim tschechischen Arbeitsministerium gemeldet, drei Jahre zuvor waren es noch knapp 800. Einen ähnlichen Anstieg, jedoch auf geringerem Niveau, verzeichnet man aus den anderen Krisenländern. Auch die Zahl der Selbständigen steigt laut Statistikamt konstant. Inoffiziellen Schätzungen zufolge arbeiten um die 10.000 Menschen aus den sogenannten PIGS-Ländern in Tschechien. Knapp die Hälfte ist jedoch nicht gemeldet.

Glaubt man Jiří Halbrštát von der Arbeitsagentur „Manpower“, dann ist das Interesse noch viel größer: „Auf unsere Inserate melden sich eine Menge Leute aus den südlichen EU-Ländern, aber die meisten lehnen das Angebot dann ab.“ Grund sind laut Halbrštát die relativ geringen Löhne, die die tschechischen Firmen bieten.

Sprachbarrieren
Emil Bambalas aus Athen kann das nicht verstehen. „Eine einzige Freundin von mir in Griechenland hat Arbeit, beim Fernsehen. Sie verdient 300 Euro im Monat“, erzählt Bambalas. Der 23-Jährige hat drei Jahre IT und Wirtschaft in Polen studiert. Zurück in Griechenland war er über ein halbes Jahr auf Jobsuche. Nichts. Als er die Anzeige vom tschechischen  Manpower-Büro im Internet fand, hat er keinen Moment gezweifelt. „Ich habe nichts zu verlieren“, dachte Emil. Seit September arbeitet er in Brünn, für IBM telefoniert er mit Kunden aus der ganzen Welt auf Englisch und Griechisch. Er verdient 23.000 Kronen, knapp 900 Euro. Wie es weitergeht? Emil lässt sich überraschen. Hauptsache Arbeit, Hauptsache keine Selbstzweifel, die mit der monatelangen Arbeitssuche kämen. „Für den Moment ist das hier gut“, sagt der Grieche über sein neues Leben in Mähren.

Auch wenn sich die Zuwanderung aus dem Süden in den tschechischen Statistiken nicht derart beeindruckend niederschlägt wie in Deutschland, die Arbeitsagenturen vermitteln mehr und mehr Spanier und Italiener an tschechische Firmen. „In 80 Prozent der Fälle handelt es sich um junge Leute um die 33“, fasst Eva Mizerová die Erfahrungen der Agentur Hays zusammen. Meist seien es Absolventen technischer Studiengänge. „Oft bewerben sie sich auf alles mögliche, auch auf Stellen, für die sie keinerlei Voraussetzungen erfüllen.“ Größtes Problem bei der Vermittlung: die tschechische Sprache. Deshalb fänden die meisten dann einen Job im Callcenter oder bei internationalen Dienstleistern. „Junge Bewerber ohne Erfahrung haben meist leider nicht viel mehr anzubieten, als die Kenntnis ihrer jeweiligen Sprache“, so Mizerová.

Klimaunterschiede
Auch für die Architektin Almudena könnte die tschechische Sprache zu einem Hindernis für die weitere Karriere werden. In Prag möchte sie bleiben. Aber für eine Festanstellung verlangen die meisten Architekturbüros Tschechisch-Kenntnisse. Für die Kommunikation mit den Kunden ist das oft unerlässlich. „Das könnte mich noch eine Weile kosten“, lacht Almudena.

Ihr Chef im „Atelier Vltava“ trägt Crocs-Sandalen und kurze Hose mit Malerflecken. Er weist auf ein weiteres Problem hin: Wenn es in die architektonischen Details gehe, dann könnten auch kulturelle Unterschiede Probleme bereiten. „Die Ausbildung und die Bautradition ist eine völlig andere im Süden“, erklärt Zbyněk Buchta. Das fange schon mit den klimatischen Bedingungen an. In Spanien seien Dinge wie Wärmeisolation einfach kein Thema. Die Zusammenarbeit mit Almudena sei aber trotzdem eine Win-Win-Situation. „Die ausländischen Praktikanten bringen neue Perspektiven, neue Ideen“, sagt Zbyňek und lehnt sich in seinen Arbeitsstuhl. Auch Almudena lernt viel Neues und erspart sich eine klaffende Lücke in ihrem Lebenslauf.

Krise als Chance
„T 07“ steht mit Kreide auf der schwarzen Wand im lichtdurchfluteten Atelier geschrieben. Das ist die Nummer des Projekts, an dem Almudena gerade arbeitet. Auf ihrem Bildschirm zeichnet sie Pläne für den Umbau eines Wohnhauses im Prager Stadtteil Holešovice. In einer Woche endet ihre Arbeit im „Atelier Vltava“. Den Sommer wird sie bei ihrer Familie verbringen. Aber schon im September möchte sie nach Prag zurückkehren und eine dauerhafte Stelle finden. Vielleicht kann sie dann auch etwas mehr als 500 Euro im Monat ausgeben.

In Spanien bleiben, das kann sich Almudena im Moment nicht vorstellen. Eigentlich sehe sie die klägliche Situation in Spanien als Chance. Die junge Generation lerne flexibel zu sein, als Architektin bekäme sie eine viel breitere Sicht auf ihr Fachgebiet. „Das Problem ist nur, wie es dazu kam“, sagt Almudena. „Wir haben die Hintertür genommen und sind los gerannt.“ Almudena lacht. Sie setzt ihre Sonnenbrille auf und blickt vom Letná-Hügel hinunter. „Das ist eine gute Stadt zum Leben“, sagt sie. Wenn das Wetter mitspielt.