Die Welt der schönsten Bücher
Eine Kunsthistorikerin und ein Galerist bieten in ihrem neuen Laden in Prag fast alles, was über moderne tschechische Kunst publiziert wird
28. 1. 2015 - Text: Maria SilenyText und Foto: Maria Sileny
Die Welt der schönsten Bücher in Prag ist etwa hundert Quadratmeter groß, hat einen Fußboden aus hellem Kalkstein und weiß getünchte Wände. Durch großzügige Schaufenster strömt viel Tageslicht, fällt auf deckenhohe Regale voller kostbarer Kunstbände, auf schlichte Tische mit Chromgestell und auf die Vielfalt der ausgelegten Bücher – jedes ein Kunstwerk für sich. Am Tresen aus Blech und Marmor lehnt Kunsthistorikerin Karolína Truhlářová, der diese Welt gehört. Vor einigen Monaten hat sie zusammen mit dem Galeristen David Gloss den Laden „Kavka Art“ eröffnet, der in Tschechien einmalig ist.
Ob Architektur, Design, bildende Kunst oder Fotografie: In dem jungen Prager Laden in der Krocínova-Straße 5, nahe dem Nationaltheater, finden sich fast alle Titel, die zum Thema Kunst im 20. und 21. Jahrhundert in der Tschechischen Republik erschienen sind. Publikationen von Museen, Galerien, Kunst-Verlagen sind dabei, alles an einem Ort, alles aus einer Hand. Kunstliebhaber finden, was ihr Herz begehrt. Wer durch die Glastür eintritt und am kubistischen Tisch aus Ulmenholz Platz nimmt, kann zum Beispiel in umfassenden Künstlermonografien blättern, die etwa den Grafiker Josef Váchal (1884–1969) oder den surrealistischen Filmemacher Jan Švankmajer vorstellen.
Werke und Geschichten
Die meisten Kunden, die einmal den Weg zu „Kavka Art“ gefunden haben, kommen wieder. Oft bleiben sie länger im Laden, genießen das helle, luftige Ambiente, stöbern, stellen Fragen. Karolína Truhlářová berät sie gerne. Sie weiß viel über einzelne Künstler, Ausstellungen, Stilrichtungen. Mit Bedacht holt die Ladeninhaberin Bände aus dem Regal, vorsichtig fährt sie mit der Hand über die Seiten aus festem, glänzendem Papier, zu jedem Werk kann sie Geschichten erzählen. Sie liebt künstlerische Bücher, insbesondere die seltenen Schmuckausgaben, die handgedruckt und mit einer Unterschrift des Autors versehen in einer Kleinstauflage erchienen sind. Das Interesse an solchen Kostbarkeiten sei gering, so die Kunsthistorikerin, trotzdem bietet der Laden sie an. Denn, wie sie erklärt: „Der Buchmarkt ist mit billigen Paperbacks übersättigt. Wir hingegen wollen zeigen, was für wunderbare Bücher Künstler machen können.“
Ende des vergangenen Jahres hat der Buchladen ein anmutiges Lyrikbänchen des vielseitig begabten David Cajthaml (Jahrgang 1959) herausgebracht. Auflage: 100 Stück. Mit einem Lächeln zeigt Karolína Truhlářová die allererste „Kavka Art“-Publikation. Das Bändchen mit Liebesgedichten, vom Künstler verfasst und mit Linolschnitten illustriert, ist kaum größer als ihre Handfläche und trägt den Titel „Pudřenka“ („Puderdose“). Ein kleiner Schatz, der zu niedrigen Kosten hergestellt wurde. „Es macht uns Freude, solche Dinge zu tun“, sagt die Kunsthistorikerin.
Doch Bücher herauszugeben, das sei nicht die Absicht des neuen Buchladens, nur ab und zu soll es ein derartiges Appetithäppchen geben. „Vielmehr wollen wir Künstler als Persönlichkeiten präsentieren“, sagt Truhlářová. Und holt gleich einen anderen Schatz hervor: das Buch „Bereschit“, handgeschrieben und illustriert vom tschechischen Maler Miloslav Moucha, der seit 1968 in Frankreich lebt. Inspiriert vom ersten Buch Mose aus dem Alten Testament, schuf der Künstler die Liebhaberausgabe, deren lose Blätter Karolína Truhlářová eines nach dem anderen vorsichtig aus einer großen, flachen Schachtel holt. Der Preis des einmaligen grafischen Werks beträgt 122.000 Kronen, umgerechnet etwa 4.400 Euro. Bis vor kurzem hingen an der hinteren Wand des Ladens farbige Holzschnitte Miloslav Mouchas zum gleichen Thema – die Erschaffung der Welt, wie sie das Alte Testament erzählt.
Aktuell sind im Laden Grafiken eines anderen zeitgenössischen Künstlers zu sehen: Der Bildhauer, Maler und Musiker František Skála, Jahrgang 1956, stellt einen Zyklus von Radierungen aus zum Thema „Riesen“, mit denen er auf unüberwindbare Naturphänomene hinweist. Etwa Ende Februar werden dann Bilder folgen, die Schüler des Malers Jiří Načeradský (1939–2014) schufen.
Wechselnde Ausstellungen grafischer Werke gehören zum Konzept des jungen Prager Ladens, der mit der Galerie der Bethlehemskapelle in Prag zusammenarbeitet, die der zweite Ladeninhaber David Gloss leitet. Während „Kavka Art“ Bücher und Grafiken präsentiert, zeigt die Galerie „U Betlémské kaple“ Objekte und Bilder. Für David Gloss ist der neue Buchladen eine Möglichkeit, die breite Öffentlichkeit in die Welt der Kunst einzuführen – mit Werken, die Überblick schaffen.
Zwei Jahre lang sei das Projekt nur eine Idee gewesen, die mit Freunden hin und her diskutiert wurde. Nach und nach hat sie sich den Weg in die Wirklichkeit gebahnt, wie Gloss erzählt. Beseelt von dem Vorhaben, haben er und Karolína Truhlářová keine Mühe gescheut. Die Suche nach einem geeigneten Raum führte sie schließlich in die Krocínova-Straße.
Ein unentdeckter Künstler
Im Erdgeschoss des funktionalistischen Eckhauses befand sich früher ein Lebensmittelladen, später wurden dort Wohnutensilien verkauft. Als der Galerist und die Kunsthistorikerin den Raum bei der Stadt Prag mieteten, sei er stark renovierungsbedürftig gewesen, selbst die Decken hingen durch, erzählt David Gloss. Jetzt kann er stolz die Einrichtung des lichtdurchfluteten Ladens präsentieren. Sie reicht vom Tisch des Bauhaus-Architekten Marcel Breuer bis hin zur ersten kinetischen Skulptur Tschechiens, einem Werk von Karel Nepraš (1932–2002), mit dem Titel „Přepadení králíkárny“ („Der Überfall des Kaninchenstalls“). Die Skulptur schuf der Künstler in den siebziger Jahren und verarbeitete damit den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968.
Karolína Truhlářovás besondere Vorliebe gilt allerdings dem in Tschechien noch unentdeckten Künstler Jan Jedlička, der kurz nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings seine Geburtsstadt Prag verließ und sich in Zürich niederließ. Den heute 70-Jährigen kennt kaum ein Tscheche. Ihn hat die italienische Landschaft Maremma in der südlichen Toskana verzaubert. Dort hält er sich regelmäßig auf, sammelt Pigmente aus dem Boden, mit denen er die Landschaft auf abstrakte Art porträtiert. Karolína Truhlářová holt eine Sammlung seiner Arbeiten hervor. Schwarz-weiße Fotografien sind darunter, auf denen die Landschaft in ewig gleichen und doch wechselnden Bildern und Stimmungen zum Betrachter zu sprechen scheint. Die Kunsthistorikerin und der Galerist planen eine Ausstellung des in Tschechien kaum bekannten Künstlers für den kommenden Herbst.
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