„Die Brünner sind politischen Blödsinn gewohnt“

„Die Brünner sind politischen Blödsinn gewohnt“

Nachdem der Oberbürgermeister die Satireseite „Žít Brno“ sperren ließ, kandidieren die Satiriker fürs Rathaus

19. 2. 2014 - Text: Martin Nejezchleba

Matěj Hollan ist fast alles zuzutrauen. Mit unerschöpflicher Energie kämpft er seit Jahren gegen die mächtige Glücksspiellobby des Landes. In Brünn gelang es, etliche der sogenannten Herna-Bars (Spielotheken) zu schließen. Andere Städte lassen sich nun vom bärtigen Bürgeraktivisten beraten. Jetzt will Hollan ins Brünner Rathaus – nachdem seine Satireseite „Žít Brno“ („Brünn leben“) auf Geheiß des Oberbürgermeisters eingestellt wurde. PZ-Redakteur Martin Nejezchleba verriet der 29-Jährige, warum jetzt in Brünn aus Spaß Ernst wird.

„Žít Brno“ wird bei den kommenden Kommunalwahlen in Brünn antreten. Unter dem Motto „Schlimmer geht es nicht“. Steht es so schlecht um Brünn?

Matěj Hollan: In vielen Bereichen ist es wirklich schlimm. Was den öffentlichen Raum, die Kultur und die Stadtplanung angeht, sind die Missstände am deutlichsten. In der Abteilung Stadtplanung sitzt ein Kerl, der den Titel Vize-Oberbürgermeister für Entwicklung trägt. Wir nennen ihn Vize-OB für die Entwicklung des Alkoholismus. Nach zehn Uhr hört der Kerl auf zu funktionieren. In manchen Bereichen geht es wirklich nicht mehr schlimmer. Ein Orang-Utan würde den Job besser machen. Aber der Slogan ist natürlich eine satirische Übertreibung – so wie alles, was wir mit „Žít Brno“ machen.

Wie wollen Sie den Leuten erklären, dass „Žít Brno“ jetzt keine Satire mehr ist, sondern Politik betreibt?

Hollan: Bis zu den Kommunalwahlen ist ein halbes Jahr Zeit. Das sollte reichen, um den Brünnern zu erklären, dass wir kompetenter sind als die Politiker, die momentan im Amt sind. Auch wenn wir das Ganze mit dem nötigen Humor nehmen – auch uns selbst.

Ihr seid es gewohnt auf Missstände hinzuweisen, zu protestieren. Wird es nicht schwierig, jetzt etwas Konstruktives zu machen?

Hollan: Das ist nur unser Image. Um „Žít Brno“ tummeln sich Manager, Unternehmer, IT-Experten, Leute aus der Werbung, Hochschullehrer. Wir alle machen konstruktive Dinge in unseren Berufen. „Žít Brno“ ist eine satirische, bürgerlich-oppositionelle Webseite. Wir weisen auf Probleme hin und machen uns einen Spaß aus den Politikern. Das wird keine Wahlliste verschmähter Aktivisten, Leute die nur „zerstören und vernichten“, wie OB Onderka sagt. Ganz im Gegenteil: Wir sind Leute, die die Dinge in die Hand nehmen.

Als Brünn die Straßenmusik verbieten wollte, haben Sie Hunderte von Leuten zusammengetrommelt und Konzerte in der Fußgängerzone veranstaltet. Solche kompromisslosen Aktionen funktionieren in der Politik nicht.

Hollan: Es geht darum, Opposition zu machen. Eine zivilgesellschaftliche Opposition nutzt natürlich andere Methoden als die politische. Wenn sich die inkompetenten Stadtvertreter entscheiden, die Musik auf der Straße zu verbieten, dann ist ein Fest der Musik das Einzige, was man machen kann. In Brünn ist das wirklich schön gelungen. Weil es so angenehm war, haben die Stadträte eingesehen, dass ihr Beschluss wirklich Blödsinn ist. Wir wollen aber auch deshalb in den Stadtrat, weil wir dann nicht jegliche Energie dafür aufwenden müssen, gegen die Hirngespinste der Politiker zu kämpfen. Wenn die zukünftige Koalition vernünftig ist, dann bleibt uns eine Menge Energie, um Dinge zu realisieren, die Brünn wirklich braucht.

Warum denken Sie, wurde Ihr Facebook-Profil gerade jetzt blockiert? Immerhin gibt es „Žít Brno“ schon seit 2011.

Hollan: Ich denke, dass das mit den bevorstehenden Wahlen zusammenhängt. Die haben schon geahnt, dass wir kandidieren wollen. Wir denken darüber eigentlich schon von Anfang an nach. Wenn man in dieser Stadt lebt und sich mit ihr aktiv auseinandersetzt, dann steht man eigentlich immer mit einem Fuß in der Politik.

Die Stadt hat sich bei Facebook beschwert, ihr würdet unter falscher Identität auftreten, nämlich als Stadt Brünn. Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Vorwurf ja nicht…

Hollan: Wir haben am 1. August 2011 damit angefangen. In den ersten Tagen oder vielleicht eher Stunden dachten vielleicht manche, das sei ein offizielles Kommunikationsportal der Stadt.

Darum ging es euch doch, oder nicht?

Hollan: Ja. Wir machen Satire und sind davon ausgegangen, dass kein Mensch ernsthaft glauben kann, dass das Aussagen der Stadt sind. Aber es hat sich herausgestellt, das manche Leute auch den größten Blödsinn auf den Seiten ernst nehmen – weil sie genau so einen Blödsinn von den Stadtvertretern gewohnt sind. Nicht lange nach der Einführung der Seiten „Žít Brno“ hat Onderka eine Mitteilung herausgegeben, dass er Kurator irgendeiner Ausstellung wird – mit einem unfassbaren Illustrationsfoto. Das Ganze hat wie Satire gewirkt. Ich habe das eins zu eins auf unsere Seite genommen und die Leute haben gesagt, das sei ein wirklich guter Witz von uns. Allerdings haben wirklich alle schnell kapiert, dass wir ein Satire-Portal sind.

Wir wird denn das Programm von „Žít Brno“ entstehen? Setzt ihr euch irgendwo auf ein Bier zusammen und schreibt etwas auf?

Hollan: Die Grundlage wird eine soziologische Studie bilden. Wir wollen herausfinden, was den Leuten in Brünn unter den Nägeln brennt oder was ihnen in Brünn gefällt. Denn wir als Kernteam haben Ahnung in Bereichen wie Verkehr, Kultur, Stadtplanung, Public Relations, öffentlicher Raum. Da fühlen wir uns kompetent. Aber wir wissen auch, dass es viel mehr Themen gibt, die in Brünn wichtig sind. Wir wollen uns damit auseinandersetzen und die Kandidatenliste so öffnen, dass Leute, die der Stadt etwas zu bieten haben, an unserem Programm mitarbeiten und mit uns kandidieren können. Nur so können wir Erfolg haben.

Žít Brno
Dank ihnen heißt die Stadt unter jungen Brünnern nur noch „Krno“. „Žít Brno“ bedeutet „Brünn leben“ und ist ein Satire-Portal, das die Stadtregierung – eine Koalition aus Bürger- und Sozialdemokraten – und vor allem den „besten Oberbürgermeister“ Roman Onderka (ČSSD) aufs Korn nimmt. Der Titel der Internetseite geht auf die Stadt selbst zurück: 2010 gab das Rathaus eine Imagekampagne für knapp 22.000 Euro in Auftrag. Ergebnis war der Slogan „Brünn leben“ und die durch die Buchstaben des tschechischen Stadtnamens repräsentierten „typischen Brünner Werte“: Sicherheit (Bezpečnost), Entwicklung (Rozvoj), Einfallsreichtum (Nápaditost), Offenheit (Otevřenost). Die Satiriker tauschten den ersten Wert durch Konzept aus und rissen sich die Domäne www.zitbrno.cz unter den Nagel. Seit über zwei Jahren publizieren sie dort falsche Pressemitteilungen der Stadt und stellen Vetternwirtschaft, unglückliche PR-Arbeit und megalomane Stadtplanungsprojekte an den Pranger. Nun hat OB Onderka die Facebook-Seite der Satiriker sperren lassen – weil diese sich als offizieller Kommunikationskanal der Stadt präsentierten. Die Satiriker um Bürgeraktivist Matěj Hollan waren Thema in allen Medien des Landes. Sie gründeten eine neue Seite und hatten binnen drei Tagen mehr Abonnenten als zuvor. Nun möchte „Žít Brno“ in den kommenden Rathauswahlen kandidieren.