Die Bagger stehen still

Die Bagger stehen still

Weder Prag noch die Regionen wollen für veruntreute EU-Mittel aufkommen

10. 4. 2013 - Text: Martin NejezchlebaText: Martin Nejezchleba; Foto: H.D.Volz/pixelio

Die nordböhmischen Regionen Karlový Vary und Ústí nad Labem haben in den letzten Jahren viel investiert. Kernspintomographen wurden angeschafft, Schwimmbäder und  Fahrradwege gebaut und Schulen erneuert. Finanziert werden sollte das aus den europäischen Kohäsionsfonds. Brüssel jedoch hat den Geldhahn zugedreht wegen fehlerhafter Anträge und Korruptionsaffären. Allein in der Stadt Chomutov wartet man momentan auf 317 Millionen Kronen (rund 12,3 Millionen Euro), in Karlsbad fehlen 7,9 Millionen Euro. Wie man die europäischen Geldflüsse wieder in Bewegung setzt, ist allen bekannt. 2,6 Milliarden Kronen (mehr als 100 Millionen Euro) müssen die Tschechen wegen der schlampigen Arbeit in den Regionen selbst aufbringen. Dann erst werden die Beträge aus den EU-Töpfen ausbezahlt, die Bagger können wieder ausrücken, eingeleitete Bauvorhaben beendet werden. Nur will die „Korrektur“, wie die Strafzahlung genannt wird, niemand berappen. Die Regionalregierungen schieben die Schuld auf Prag, das Finanzministerium sei für die Kontrolle der Mittelabrufe aus EU-Töpfen zuständig, heißt es. Finanzminister Miroslav Kalousek (TOP 09) ist anderer Meinung: „Das wäre, als würde man den Fahrkartenkontrolleur dazu verpflichten, dass er die Strafe für einen Schwarzfahrer berappen muss, den er gerade erwischt hat.“ Premier Petr Nečas (ODS) gibt ihm Recht.

Die Fronten sind verhärtet. Der 37-jährige Sozialdemokrat Petr Navrátil soll es richten. Er leitet die staatliche Agentur ROP Severozápad (Regionale Operative Programme Nordwesten), die die Verteilung der EU-Gelder koordiniert. Navrátil stellt sich auf die Seite der Gemeinden. Handlungsbedarf sieht er beim Finanzministerium. Die Arbeit müsse fortgesetzt werden, sonst, so Navrátil, wäre Geld in Höhe von 4,8 Milliarden Kronen (rund 186 Millionen Euro) verloren – Investitionen, die bereits getätigt sind und auf deren Auszahlung Baufirmen und Gemeinden warten.

Rückenwind bekamen die Regionalpolitiker aus Brüssel. Die zuständige Kontrollinstanz, also das Finanzministerium, trage eine Mitschuld, hieß es aus dem Büro des Kommissars für Regionalpolitik Johannes Hahn. Ob die Strafe mit Geld aus Prag oder Nordböhmen beglichen wird, sei eine Entscheidung, die auf nationaler Ebene getroffen werden müsse. Egal, wie man sich einige – der entstandene Schaden wird aus der Tasche der Steuerzahler bezahlt werden. Beim nun zu findenden Kompromiss geht es nur noch um Schadensbegrenzung.

Viel auf dem Spiel
Seit sechs Jahren werden im Rahmen der insgesamt sieben Regionalen Operativen Programme EU-Gelder verteilt. Insgesamt sollten in den Jahren 2007 bis 2013 4,8 Milliarden Euro in die Regionen fließen. Der größte Teil davon, 762 Millionen Euro, wurden dem ROP Nordwesten zugesagt. Dort sind auch die meisten Probleme zu Tage getreten. Petr Navrátil ist bereits der vierte Leiter des ROP, seine drei Vorgänger sitzen entweder hinter Gittern oder warten auf eine Gerichtsverhandlung. Betrogen wurde im großen Stil mit überteuert vergebenen Aufträgen. Unternehmer und Politiker wollten am Brüsseler Geldsegen mitverdienen. Die Europäische Kommission weist bereits seit Jahren auf die Probleme hin. Die gibt es nicht nur in Ústí und Karlsbad. Sechs der insgesamt sieben regionalen Programme sind heute wegen fehlerhafter Abläufe von den Geldtöpfen aus Brüssel abgeschnitten. Gerade in der Teilung in einzelne Projekte sehen unabhängige Beobachter die Quelle der heutigen Probleme. Die sozialdemokratische Regierung unter Jiří Paroubek hatte seinerzeit die EU-Töpfe insgesamt 24 einzelnen Programmen zugeordnet. Diese unübersichtliche Struktur könnte laut Transparency International absichtlich herbeigeführt worden sein – mit dem Ziel, Geld zu veruntreuen. Auf dem Spiel stehen für Tschechien nicht nur die bereits zugesicherten Mittel. Auch in den Verhandlungen um die Subventionsprogramme für die Jahre 2014 bis 2020 manövrieren sich die Prager Politiker in eine ungünstige Ausgangslage.

Bereits in der vergangenen Woche vermeldete ROP Nordwest, die Auszahlung der Gelder für 2013 sei schon jetzt ein unrealistisches Ziel. Die nötigen bürokratischen Schritte müssten bis zum 1. Mai getan werden. Damit sei nicht zu rechnen, meinte Navrátil.

Am Dienstag legten Vertreter der Regionen Ústí nad Labem und Karlovy Vary einen Kompromissvorschlag vor. Das Ministerium solle die „Korrektur“ begleichen, gleichzeitig könne die Regierung einen Teil der regionalen Gelder für andere Zwecke nutzen. Finanzminister Kalousek lehnte ab. Die Regionen sollen für den Schaden aufkommen, man würde jedoch einen Teil als Leihgabe vorfinanzieren. Die Sozialdemokraten in Karlsbad sind zum Einlenken bereit, der Kommunistische Kreishauptmann von Ústí Oldřich Bubeníček hingegen lehnt jegliche Beteiligung der Regionen ab. „Mir ist klar, wieviel wir verlieren können“, so Bubeníček, „aber das ist das kleinste Übel.“ Für Bubeníček nämlich brächte der offene Geldhahn weitere Probleme. Zwar wären zahlreiche Investitionen gerettet und Klagen abgewendet, allerdings müsste man weiter in Projekte investieren, die von der Vorgänger-Regierung durchgewunken wurden. Ein Wellness-Zentrum in Chomutov etwa oder überteuerte Fahrradwege in der Region mit den höchsten Arbeitslosenzahlen in ganz Tschechien – das möchte der Kommunist Bubeníček nicht auf seine Kappe nehmen.