„… der noch hier im Gefängnis sitzt“

Hieronymus von Prag erlitt vor 600 Jahren das gleiche Schicksal wie sein Freund und Vorbild Jan Hus
25. 5. 2016 - Text: Josef FüllenbachText: Josef Füllenbach; Foto: Česká televize/Arte
Ihr müsst nun auch Schluss machen mit den heimlichen Schülern und Anhängern des Hus (…). Und vor allem sollt Ihr Euch mit dem Mann befassen, der hier im Gefängnis sitzt.“ Das erklärte Kaiser Sigismund den Herren des Konstanzer Konzils, nachdem Jan Hus’ Schicksal besiegelt war. „Der noch hier im Gefängnis sitzt“, war Hieronymus von Prag, der am 4. April 1415 nach Konstanz gekommen war, um seinem Freund Hus beizustehen.
Etwa zehn Jahre jünger als Hus, schloss sich Hieronymus als Student bald der von Hus angeführten Reformbewegung in Prag an. Von einem Aufenthalt in Oxford hatte er in Prag noch unbekannte Schriften des englischen Philosophen und Kirchenreformers John Wyclif mitgebracht und damit der Bewegung neuen Auftrieb gegeben. An den Universitäten in Paris, Köln und Heidelberg zum Magister promoviert, wurde ihm, der in seinem Erneuerungseifer kein Blatt vor den Mund nahm, wiederholt der Boden unter den Füßen zu heiß, und er musste jeweils eiligst das Weite suchen. Man muss sich den jungen Heißsporn wohl als einen frühen Cohn-Bendit vorstellen, keine Rednertribüne und keine Demonstration auslassend, stets aufgelegt, seine Gegner mit beißend-entlarvender Ironie dem Gelächter der Zuhörer preiszugeben.
Hus hatte er geraten, nach Konstanz zu gehen und sich vor dem Konzil zu verteidigen. Notfalls werde er, Hieronymus, auch nach Konstanz kommen, um ihn gegen die ungerechtfertigten Anklagen zu unterstützen. Beide schätzten wohl die Bedeutung und politischen Möglichkeiten des Konzils falsch ein. Aus dessen Sicht war „die böhmische Ketzerei“ eher ein lästiges Randproblem, dessen man sich angesichts der viel dringenderen Tagesordnung, nämlich das Chaos von drei Päpsten aufzulösen und der Kirche wieder eine eindeutige und anerkannte Führung zu geben, möglichst rasch entledigen wollte.
Aus Prager Sicht war Hus’ Reformprojekt, das schlimme Auswüchse der Verweltlichung und moralischen Verderbnis des Klerus unterbinden und wieder auf den Weg des Heils zurückführen sollte, mindestens ebenso wichtig – ja, war das nicht der eigentliche Kern der Probleme, über die es zu verhandeln galt, und die dreifache Besetzung des Stuhles Petri ein bloßes Symptom? Zudem hatte die böhmische Reformbewegung ja neben ihrem universalen Heilsanspruch auch den wichtigen tschechisch-nationalen Antrieb, der spätestens 1409 mit dem Kuttenberger Dekret zur Umkehrung der Stimmverhältnisse an der Prager Universität zugunsten der „böhmischen Nation“ zu Tage getreten war. Hus und Hieronymus gehörten zu denen, die dem schwankenden König Wenzel IV. das Dekret abtrotzten und die auch allgemein der ethnischen Nation der Tschechen in Böhmen, den „reinen Tschechen“ mehr Geltung verschaffen wollten. Hieronymus sprach gar von der „sacrosancta natio Bohemica“.
Den Tod begrüßend
Gleich nach seiner Ankunft in Konstanz begab sich Hieronymus, von dort anwesenden Freunden gewarnt, ins nahe Überlingen, von wo aus er einige Tage mit öffentlichen Bekanntmachungen und Flugblättern zugunsten von Hus agitierte und Sigismund wegen seines Wortbruchs (er hatte Hus freies Geleit zugesichert) anklagte. Dann machte er sich heimlich wieder auf den Weg zurück, wurde aber abgefangen, in Fesseln gelegt und nach Konstanz überführt. Hier warf man den stattlichen Mann in einen Kerker, wo er zunächst mit Ketten äußerst schmerzhaft krummgebunden wurde.
Den Konzilsvätern war nach Hus’ Tod auf dem Scheiterhaufen (6. Juli 1415) und nach beunruhigenden Nachrichten aus Böhmen nicht daran gelegen, die Rebellion durch einen zweiten Märtyrer weiter anzufachen. Zwei Prälaten gelang es, Hieronymus vorübergehend zu einem Widerruf von Wyclifs, Hus’ und eigener Thesen zu bewegen. Doch seine schärfsten Feinde vor Ort waren nicht die Konzilsväter, sondern die anwesenden Reformgegner aus Prag, deutsche und tschechische Prälaten gleichermaßen – gewiss auch in dem Drang, sich an dem Tribunen, der sie so oft vor heimischem Publikum verspottet hatte, endlich zu rächen.
Hieronymus, der inzwischen seinen Widerruf bitter bereute, wurde erneut vor das Tribunal geführt, wo die Anwesenden nach dem Zeugnis des italienischen Humanisten Poggio Bracciolini eine Sternstunde des Mutes, der Eloquenz und Gelehrsamkeit erlebten. „Nie habe ich jemand gesehen, geschweige denn in einem Fall auf Leben und Tod, der antiker Beredsamkeit, die wir so bewundern, näher gekommen wäre … Ein Jammer ist es, dass ein so edler Geist, ein so ausgezeichneter Mann sich so weit auf das Feld der Ketzerei verirrt hat – wenn wir annehmen, dass die Dinge wahr sind, deren er beschuldigt wurde“, so Poggio in einem Brief an einen Freund – offenbar musste er auch in einem Privatbrief vorsichtig formulieren. „Furchtlos stand er da, ungebrochen, den Tod nicht nur verachtend, sondern begrüßend.“
Am 30. Mai 1416, vor 600 Jahren, endete Hieronymus von Prag auf dem Scheiterhaufen in Konstanz, an der gleichen Stelle, wo ein Jahr zuvor seinen engsten Freund Jan Hus das gleiche Schicksal ereilt hatte.
Dazu das Interview „Das historische Gedächtnis ist ungerecht“ mit dem tschechischen Historiker František Šmahel
„Wie 1938“
30 Jahre PZ