Das Vaterland als Pattex
Klassische Musik

Das Vaterland als Pattex

Mit „Má vlast“ eröffnen Jakub Hrůša und die Bamberger Symphoniker den „Prager Frühling“

10. 5. 2019 - Text: Klaus Hanisch, Titelbild: Andreas Herzau

> EXKLUSIV-INTERVIEW MIT JAKUB HRŮŠA: „Ein wahres Meisterwerk“

Es müsse ein bedeutender Auftritt sein, wenn er in Prag gastiere, sagte Jakub Hrůša in einem Interview mit der „Prager Zeitung“. Das war vor drei Jahren, als der Tscheche neuer Chefdirigent bei den Bamberger Symphonikern wurde. Nun bekommt er diese große Bühne: Gleich mit ihrem ersten Gastspiel in der tschechischen Hauptstadt geben Hrůša und die Bamberger am 12. Mai den Startschuss für den 74. „Prager Frühling“, eines der bedeutendsten Musikfestivals in Europa.

Das Konzert beginnt um 20 Uhr im Smetana-Saal des Gemeindehauses (Obecní dům). Auf dem Programm steht, wie immer zu Beginn des „Prager Frühling“, Bedřich Smetanas „Má vlast“ („Mein Vaterland“). Der Zyklus mit der weltberühmten Moldau-Vertonung („Vltava“) erinnert alljährlich an den Todestag des Komponisten, der 1884 mit 60 Jahren in Prag starb. Dabei spielen die Bamberger, was live nur selten zu hören ist: das komplette Werk mit allen sechs Sätzen. Und das nicht nur am 12., sondern auch am 13. Mai. Prag ist Station auf einer Tournee durch neun Städte, bei denen das Orchester in den nächsten Wochen nicht nur, aber vor allem „Má vlast“ aufführen wird.

Dirigent Hrůša und seine Bamberger | © Andreas Herzau

Und das Programm ist eine logische Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit. Denn „Má vlast“ schweißt das Orchester und seinen Dirigenten seit Jahren zusammen. Schon sein Debüt bei den Bamberger Symphonikern gab Jakub Hrůša im Dezember 2014 mit dieser Komposition, ebenfalls mit allen sechs Sätzen. Es wurde ein umjubelter Einstand. Man fand sich schnell, es habe „gleich gefunkt“ zwischen dem Gast und dem Orchester, sagten Musiker nach dem Konzert. Umgekehrt gab auch Hrůša zu Protokoll, dass bei den Proben „ein musikalisches Team, ein Organismus“ zusammengewachsen sei. Schon beim ersten Stück „Vyšehrad“ – durchaus heikel in Phrasierung, im Atmen, in der Balance – habe er gespürt, „wie wach und konzentriert dieses Orchester reagiert und wie zugewandt mir alle waren“, erklärte der gebürtige Brünner begeistert.

„Má vlast“ als Nagelprobe dafür, ob Dirigent und Musiker eine Einheit bilden können? Und als Pattex, der beide Teile zusammenhält? Vieles spricht dafür. Denn nachdem der damals 35-Jährige im September 2016 tatsächlich Chefdirigent beim fränkischen Musikkörper geworden war, suchten sich die Bamberger folgerichtig auch „Mein Vaterland“ für ihre erste gemeinsame CD-Produktion aus. Nur selten könne man erleben, dass ein Dirigent derart genau im Detail arbeite, bemerkten Kritiker danach. Gerade beim Satz über „Die Moldau“ verblüffe Hrůša mit den Bamberger Symphonikern durch flexible Tempogestaltung und Nuancenreichtum.

Bedřich Smetana komponierte die ersten vier Teile von „Má vlast“ ab September 1874. Drei Jahre später fügte er noch zwei Sätze hinzu. Als die sinfonischen Dichtungen im November 1882 im Prager Žofín-Palais erstmals als Gesamtzyklus aufgeführt wurden, war der Komponist bereits taub.

Bedřich Smetana arbeitete sechs Jahre an dem Zyklus. | © APZ

Nicht wenige bezeichnen „Má vlast“ als heimliche Nationalhymne der Tschechen. Spielt ein Tscheche dieses Werk mit mehr Pathos und Empathie ein? Zumindest empfand das so ein Rezensent des „Deutschlandfunk“. „Der musikalische Fluss schäumt etwas stärker als in anderen Aufnahmen“, schwärmte er, „als wehte hier ein besonders frischer Wind.“

Das Monatsmagazin „Reportér“ fragte Jakub Hrůša vor kurzem, ob das „doch sehr patriotische Werk“ überhaupt von Nicht-Tschechen interpretiert und verstanden werden könne. Die Tschechen hätten „natürlich eine engere Beziehung dazu“, entgegnete Hrůša. Allerdings spielten auch ausländische Interpreten ,Má vlast‘ immer wieder „sehr getreu“ – „weil es aus musikalischer Sicht ein starkes Stück ist“. Seiner Meinung nach gehört es ohne Zweifel zu den besten Orchesterwerken des 19. Jahrhunderts.

Mit den Bamberger Symphonikern arbeitet Hrůša an einem gemeinsamen Ziel. „Wir wollen keine programmierte Maschine, sondern ein vollkommen gesunder Organismus sein. Wie ein menschlicher Körper, (…) der über viel Energie verfügt“, sagte der 37-Jährige im Interview mit dem „Reportér“. Laut Hrůša muss das Orchester ein Stück immer wieder bearbeiten und perfektionieren. „Doch wir dürfen dabei nicht die Grenze zur Artistik überschreiten. Daran denke ich andauernd.“

Jakub Hrůša will keinen Roboter dirigieren. | © Andreas Herzau

Die Bamberger berufen sich auf böhmische Wurzeln und ein böhmisches Klangbild. Diesen charakteristischen Klang forme Jakub Hrůša flexibel aus, wurde angemerkt. Zudem demonstriert das Orchester eine sehr bodenständige Musizierhaltung, die vor allem den folkloristischen Momenten des Stücks entgegenkomme, etwa im vierten Satz „Aus Böhmens Hain und Flur“ („Z českých luhů a hájů“).

Ganz exakt wurde im „Deutschlandfunk“ seziert, was Hrůša mit den Bamberger eingespielt hatte. Urteil: Der Tscheche habe ein Gespür für die feinen Verzögerungen, die den Charme dieser Komposition ausmachen. Im fünften und sechsten Satz, in denen es um den Kampf für ein freies Böhmen gehe, würden Piccoloflöte, Becken und Trompete – dem Kriege angemessen – „so schrill ins Ohr fräsen“, dass „das Trommelfell flirrt“. Dabei führe Hrůša die „Explosionen mit den lyrischen Schichten der Partitur zusammen“ – für den Experten einer der „schönsten und berührendsten Momente der Aufnahme.“

Musiker des aufgelösten Deutschen Philharmonischen Orchesters Prag bildeten den Kern der Bamberger Symphoniker bei ihrer Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie kamen als Flüchtlinge in die fränkische Stadt und fanden dort eine neue Heimat. „Wenn also die Bamberger Symphoniker Smetanas ,Mein Vaterland‘ spielen, dann klingt auch immer das böhmische Gen mit“, vermerkt die Orchesterleitung selbst auf ihrer Homepage.

Gegenüber dieser Bezeichnung zeigte sich Hrůša in einem Porträt des Magazins „Concerti“ skeptisch. Gleichwohl habe sie „ihre Gültigkeit. Schließlich verweist sie auch auf die Entstehung des Orchesters, dessen Wurzeln in Prag liegen“. Für Kritiker haben die Bamberger indes „über 70 Jahre einen eigenen Ton bewahrt“, auch wenn der letzte Ur-Prager schon zu Beginn der 1980er Jahre ausgeschieden ist.

Gemeindehaus, Smetana-Saal | © Ben Skála/Benfoto, CC-BY-SA 4.0

Mit seinem Antritt als erst fünfter Chefdirigent in der Geschichte des Orchesters begründete Hrůša im Herbst 2016 eine neue Ära in Bamberg. Im vorigen Jahr verlängerte er seinen Vertrag für fünf weitere Spielzeiten bis 2026. Der Tscheche wurde 1981 in Brünn geboren, erhielt seine Ausbildung an der Prager Akademie der musischen Künste und arbeitete von 2009 bis 2015 als Musikdirektor und Chefdirigent von PKF-Prague Philharmonia. Er ist ein Schüler des berühmten tschechischen Dirigenten Jiří Bělohlávek (1946–2017) und oft auch Gast bei namhaften Orchestern weltweit, etwa dem New York Philharmonic Orchestra und dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra, zudem Ständiger Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie.

Schon länger wird Hrůša prophezeit, bald „einer der ganz Großen“ in seiner Branche zu werden. Wenn man ihn beim Dirigieren beobachte, nehme man eine außerordentliche Konzentriertheit, ja fast Strenge wahr, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“. Er wirke „fast wie ein Feldwebel“ am Pult und vermöge „wie ein Lotse das Orchester-Schiff“ durch allerlei Klippen zu navigieren. Möglicherweise wird aus diesem Feldwebel ein besonders ehrgeiziger General, wenn er die Bamberger Symphoniker nun vor heimischem Publikum durch sein „Vaterland“ führt.

Hrůša bleibt bis (mindestens) 2026 in Bamberg. | © Andreas Herzau

Eröffnungskonzert des „Prager Frühlings 2019“
Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša
Obecní dům – Smetanova síň
Sonntag, 12. Mai, 20 Uhr

Das Konzert wird im Rahmen des Festivals im Kampa-Park live übertragen. Zuvor spielen dort mehrere Blas- und Akkordeon-Orchester. Die Veranstaltung beginnt um 16 Uhr. Der Eintritt ist frei.   weitere Infos

Prager Frühling 2019
12. Mai bis 4. Juni
Programm und Kartenbestellung

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