Blick in die Presse

Blick in die Presse

Tschechische Pressekommentare zur Griechenlandkrise, der Flüchtlingsdebatte und zur politischen Situation in der Türkei

26. 8. 2015 - Text: Josef FüllenbachTextauswahl und Übersetzung: Josef Füllenbach

Gänzlich unfähig | Die „Lidové noviny“ lässt sich von der griechischen Krise zu einem überraschenden Vorschlag inspirieren: „Die harten Bedingungen, die in der Erklärung des Euro-Gipfels vom 13. Juli 2015 enthalten sind, müssten auch auf Tschechien angewandt werden, vor allem in den Bereichen der Deregulierung der Güter- und Arbeitsmärkte, der Einschränkung von Sozialausgaben und Renten und der Erzielung von Haushaltsüberschüssen. Zwar wuchs das tschechische BIP im zweiten Vierteljahr gegenüber dem Vorjahr um 4,4 Prozent, aber auch so bewegt sich der Staatshaushalt auf ein Defizit von 100 Milliarden Kronen zu – mit der Aussicht, im nächsten Jahr 70 Milliarden zu erreichen. (…) Im Privatsektor wird eine Führung, die unfähig ist, das Unternehmen in die Gewinnzone zu bringen, ohne Gnade gefeuert. Und wenn das nicht hilft, erwartet die Firma nach etwa fünf Jahren der Verkauf oder die Übernahme durch einen erfolgreicheren Konkurrenten. Der tschechische Staat befindet sich schon 19 Jahre in der Verlustzone, er macht nur Schulden. Er zeigt sich gänzlich unfähig, auch wenn es um ‚Kleinigkeiten’ wie den Bau und die Reparatur von Straßen geht oder darum, für Ordnung im Prager Taxigewerbe zu sorgen. Wäre es deshalb nicht besser, noch weiter zu gehen als Griechenland und zu einer direkt von Brüssel regierten Provinz zu werden?“

Ernst der Lage | Die Tageszeitung „Právo“ schlägt einen Bogen vom Prager Frühling zur aktuellen Flüchtlingskrise: „1968 hat sich bestätigt, dass wir uns schlechte Verbündete ausgewählt hatten. Die anderen Länder des Warschauer Paktes (…) erlaubten uns nicht, einen eigenen Weg zu gehen. (…) Jetzt können wir zeigen, dass die Beziehungen in EU und Nato besser funktionieren, dass sich Partner nicht den Dolch in den Rücken stoßen, sondern sich gegenseitig helfen. Die Migrationswelle kann zum Prüfstein werden. Wenn wir das Risiko minimieren wollen, dass unerwünschte Personen in Tschechien herumreisen, ist es notwendig, in den Schutz der äußeren EU-Grenzen zu investieren. Das ist keine Aufgabe nur der Grenzstaaten des Schengen-Raums, sondern aller Mitglieder der Union – finanziell und personell. Der Ernst der Lage ist daran zu erkennen, dass das Taktieren und das Sich-Verlassen auf die schlimm geprüften Staaten der Peripherie aufhört, dass die EU anfängt, eine gemeinsame Immigrationspolitik zu machen und gemeinsam ihre Grenzen schützt. Falls sie dies schafft, hat die europäische Integration eine Chance auf Weiterentwicklung.“

Zynisches Kalkül | Die monatlich erscheinende „Literaturzeitung“ kommentiert die Entwicklung in der Türkei: „Die Frage ist, ob sich Erdoğan mit dem gleichzeitigen Kampf gegen den IS und die Kurden nicht übernommen hat. Ebenso wenig ist klar, in welchem Maße der IS die türkische Gesellschaft infiltriert hat und wie viele Massaker zu verüben er fähig ist. Vielleicht aber sind das alles Risiken, die Erdoğan bereit ist zu schultern, um seine Macht aufs Neue zu festigen. Nach den Wahlen im Frühjahr, bei denen er die Verfassungsmehrheit verlor, gibt er vorzeitigen Neuwahlen den Vorzug, angeblich im November. Der Krieg gegen die Kurden dürfte entsprechend seinem zynischen Kalkül die Stimmen für die gemäßigten kurdischen Parteien, die ihn um das Machtmonopol brachten, völlig zurückdrängen, sodass sie ihre Stimmengewinne voraussichtlich nicht wiederholen werden.“