Blick in die Presse

Blick in die Presse

Tschechische Pressekommentare zu den nominierten EU-Kommissaren, zur Russland-Affinität von Václav Klaus und Miloš Zeman und zur Ausreise der DDR-Flüchtlinge in die Bundesrepublik vor 25 Jahren

1. 10. 2014 - Text: Corinna AntonTextauswahl und Übersetzung: Corinna Anton

Grillen in Brüssel | Die „Hospodářské noviny“ glaubt, dass die Europaabgeordneten bei der Anhörung der nominierten EU-Kommissare ihre Macht demonstrieren und einen Kandidaten nach Hause schicken werden: „Was ist, wenn die Europaabgeordneten erkennen, dass es nicht vernünftig ist, den britischen Premier David Cameron weiter zum Austritt aus der EU anzustacheln? Was ist, wenn der Ungar erklärt, dass ihn Orbán zufolge niemand richten sollte? Was ist, wenn das Ölgeschäft des Spaniers den meisten Abgeordneten eher sympathisch sein wird? Der schwarze Peter kann dann auch auf Jourová fallen. Im breitgefächerten Bereich der Justiz kennt sich die tschechische Kandidatin noch nicht so gut aus. Sie wird sich außerdem nicht nur um Feminismus und Kinderkram kümmern, wie es ihr Parteichef Andrej Babiš despektierlich ausdrückte, sondern zum Beispiel auch um die sehr heikle Deckelung der Boni von Bankangestellten. Mit Fragen bombardieren werden sie zudem Vertreter gleich vier verschiedener Ausschüsse. Bei einem solchen Grillen kann man sehr leicht ins Feuer fallen. Wenn vor den Europaabgeordneten wirklich traditionell ein Kandidat geopfert werden muss, so hoffen wir, dass sich der erwähnte Brite, der Spanier oder der Ungar aus seiner undankbaren Rolle befreit und dass es auch nicht nötig sein wird, ein Opfer in den Reihen der anderen Länder zu suchen. Zum Beispiel aus Tschechien.“

Schmeicheln in Moskau | In seiner Online-Ausgabe fragt das Wochenmagazin „Respekt“, warum es vielen Tschechen gefällt, wenn Václav Klaus und Miloš Zeman dem Kreml schmeicheln: „Die Zuneigung zu Russland und das Misstrauen gegenüber der Demokratie sind in Tschechien sehr groß. Sie sind eine chronische Entzündung. Alles andere – Terrorismus, die Herrschaft supranationaler Konzerne und Gott weiß was – sind Bedrohungen von außen und unser Organismus kennt Gegenmittel dagegen. Er weiß, dass er sie bei den Verbündeten in der NATO oder der EU findet. Der Kreml ist eine Krankheit, an der wir seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts chronisch leiden; und deshalb ist er eine ernste Krankheit, noch dazu eine schlecht behandelte. Klaus und Zeman genießen und genossen nicht deswegen so großes Vertrauen bei den Tschechen, weil dieses Land und seine Bürger so sehr an die Position des Präsidenten als solche glauben. Nach diesen zehn Jahren müssen wir zugeben, dass es vielen unserer Mitbürger gefällt, was die Präsidenten in den vergangenen zehn Jahren gesagt haben, sogar dann, wenn es darum geht, dem Kreml zu schmeicheln und die Türen für russische Interessen zu öffnen.“

Wende in Prag | Genau 25 Jahre nachdem die ersten DDR-Flüchtlinge aus der bundesdeutschen Botschaft in Prag in den Westen ausreisen durften, beschäftigt sich die „Lidové noviny“ mit den unerwarteten Folgen der damaligen Ereignisse für die Menschen in der Tschechoslowakei: „Spätestens seit dem Ende des Kommunismus in Polen haben wir geahnt, dass die Geschichte ins Rollen kommt. Als das ungarische Fernsehen ein Interview mit Václav Havel ausstrahlte, kam das einer Sensation gleich. (…) Trotzdem dachten wir, solche Sensationen würde es nur in Warschau, Budapest oder Moskau geben, nicht aber in Prag oder Ost-Berlin. Die Ausreisewelle der Ostdeutschen warf diese Ansicht über den Haufen. Denn nun sahen wir mit eigenen Augen, dass die Tschechoslowakei unter Miloš Jakeš das letzte Bollwerk eines erstarrten Regimes war.“