Blick in die Presse

Blick in die Presse

Tschechische Pressekommentare zu Russlands Syrien-Offensive, der Flüchtlingskrise und den Rückzug Schwarzenbergs aus der Politik

7. 10. 2015 - Text: Josef FüllenbachTextauswahl und Übersetzung: Josef Füllenbach

Putins Wünsche | Zu der nach dem Eingreifen Russlands in Syrien veränderten Situation im Nahen Osten meint die Wochenzeitschrift „Respekt“: „Die Ereignisse der vergangenen Woche, so düster sie auch zu sein scheinen, könnten Europa einer gemeinsamen Außenpolitik näher bringen, ohne die es in einer sich rasch wandelnden Welt nicht bestehen kann. Es ist doch absurd, wenn Frankreich, Deutschland und Großbritannien Russland vorwerfen, es verschlimmere mit seinen Luftangriffen die Lage in Syrien nur, der italienische Premier Matteo Renzi aber verkündet, Russland spiele in Syrien eine ‚absolute Schlüsselrolle’ und Europa müsse sie als solche anerkennen. Aus diesem Blickwinkel kann man nur schwerlich die Initiative des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman begrüßen, der sich nach eigenen Worten dafür stark macht, dass Prag eine Vermittlerrolle in Verhandlungen zwischen Assad und den Aufständischen übernimmt. Wir wissen nämlich nichts davon, ob er diese Initiative (…) mit Brüssel konsultiert hat. Da Zeman Assad als legitimen Verhandlungspartner anerkennt, lässt sich vermuten, dass er eher die Wünsche Putins erfüllt.“

Totale Dominanz | Dem Wochenblatt „Echo“ zufolge geht Europa schweren Zeiten entgegen, da es „in eine tiefe Krise geraten ist, in der es die Unfähigkeit, seinen Gesetzen und Regeln Wirksamkeit zu verschaffen, mit dem Versuch verbindet, politische Gesten tieferer Integration in sensiblen Bereichen durch Stärke durchzusetzen. Das verändert Europa klar zum Schlechteren. Das haben auch schon die Briten gemerkt, die überhaupt erstmals bereit waren, im Referendum über den Verbleib in der Union (…) mit mehr als 50 Prozent für den Austritt zu stimmen. Dies haben die Franzosen sofort wahrgenommen, die bislang gegenüber den britischen Vorschlägen zur Reform der EU sehr zurückhaltend waren. Jetzt bekommen sie Angst vor dem britischen Austritt. Sie sind sogar bereit, dem Bemühen Londons um eine Änderung der Verträge über das Funktionieren der EU nachzugeben. (…) Paris macht sich bewusst, wie sehr es sich in den Grundfragen von Sicherheit und Migration mit London besser versteht als mit Berlin. Und es fürchtet sich, dass es in der Union ohne die Briten zur totalen Dominanz der Deutschen kommt. Die EU ist schon anders und wird sich weiter ändern. Die Verträge über ihr Funktionieren werden wohl aufgeschnürt. Wir müssen sehr schnell klären, was wir wollen, und uns bemühen, dies bei dieser einzigartigen Gelegenheit durchzusetzen. Wir sind um die Erfahrung reicher, dass die Ära des Konsenses zu Ende ist und es nun auf Stärke ankommt.“

Havels Standpunkt | Die „Hospodářské noviny“ kommentiert den Rückzug des früheren Außenministers und Kanzlers von Präsident Václav Havel vom Vorsitz der rechts-liberalen Partei TOP 09: „Vor allem ist Schwarzenberg der letzte einflussreiche Politiker (…), der die gegenwärtige tschechische Politik mit der Welt Havels verbindet. Erinnern Sie sich? Betonung von Menschenrechten, Humanismus, globalem Horizont, Europäertum, Transzendenz … einfach von allem, wofür man im November 1989 mit den Schlüsseln klingelte, von alledem, was uns damals das Recht gab, mit Überzeugung zu skandieren: ‚Wir sind nicht wie jene’. Dass wir nämlich nicht sind wie die aufs Materielle ausgerichteten Kommunisten, die vor lauter Materialismus die ganze tschechische Gesellschaft in materielle Not führten. Was bedeutet das praktisch? Schwarzenberg vergegenwärtigt zum Beispiel in der derzeitigen Flüchtlingskrise den Standpunkt Havels. Zwar wissen wir nicht mit Bestimmtheit, was Havel sagen würde, aber sicherlich würde er eher die Position von Joachim Gauck und Angela Merkel vertreten als diejenige von Viktor Orbán oder Milan Chovanec. Schwarzenberg ist einer von wenigen, die im flüchtlingsfeindlich-hysterischen Tschechien den Mut haben, ähnlich zu reden, wie es Havel getan hätte.“