Begleitung auf dem Weg nach Hause

Begleitung auf dem Weg nach Hause

Seit 15 Jahren hilft die Organisation Cesta domů als ambulantes Hospiz Sterbenden und deren Angehörigen. Geld von den Krankenkassen erhält sie dafür allerdings nicht

3. 2. 2016 - Text: Katharina WiegmannText und Interview: Katharina Wiegmann; Fotos: Cesta domů

Schon einmal darüber nachgedacht, welche Musik auf der eigenen Beerdigung spielen soll? Welche Kleidung für die Reise in die Ewigkeit angemessen ist? Ob die sterblichen Überreste in einem Sarg oder einer Urne besser aufgehoben sind? Auf der Internet­seite mojesmrt.cz kann man all das und noch mehr in eine Maske eingeben, die eher an ein buntes Computerspiel erinnert als an den Tod. Die gesammelten letzten Wünsche werden als Datei heruntergeladen und an Freunde und Verwandte weitergeleitet. Wer sich nicht ganz sicher ist, der findet auch Empfehlungen. Beliebt auf Beerdigungen in Tschechien sind demzufolge die Scorpions mit „Send me an Angel“, der Liedermacher Petr Spálený mit „Až mě andělé“ oder Antonín Dvořáks Symphonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“.

Was wie ein makaberer Scherz erscheint, meint die Organisation Cesta domů todernst. „Es ist natürlich ein bisschen übertrieben. Aber wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir nicht so sterben, wie wir wollen, weil wir nicht genug darüber sprechen“, erklärt Marek Uhlíř, seit drei Jahren Direktor von Cesta domů („Heimweg“). Seine Mitarbeiter sind unter anderem Ärzte, Krankenschwestern, Sozial­arbeiter und Psychotherapeuten. Sie leisten Hospizarbeit in Prag, betreuen Sterbende und deren Angehörige medizinisch und psychologisch. Hinzu kommen Ehrenamtliche, die sich Zeit zum Zuhören und Vorlesen nehmen, damit pflegende Familienmitglieder mal durchschlafen, schwimmen gehen oder die Kinder zur Schule bringen können.

Oft sind es kirchliche oder kommerzielle Anbieter, die diese Hilfe leisten. Die gemeinnützige Organisation Cesta domů hat einen anderen Hintergrund. Martina Špinková, die vor 15 Jahren den Anstoß zur Gründung gab, ist Künstlerin. „Martina hat viele Kinder, eine große Familie, die fest zusammenhält. Als ihre Verwandten krank wurden und starben, wollte sie sich um sie kümmern, aber sie hatte nicht die Ressourcen“, erzählt Uhlíř. „Sie suchte sich Unterstützung und dann dachte sie sich wohl, diese Erfahrung kann auch anderen nützen.“

Damals war die Organisation die einzige ihrer Art in Tschechien. Noch heute sind es vergleichsweise wenig Anbieter. „80 Prozent der Tschechen würden gerne zuhause sterben“, zitiert Uhlíř Umfragen zum Thema. „In der Realität ist es aber genau umgekehrt: 80 Prozent sterben in Krankenhäusern oder der Langzeitpflege. Das ist die höchste Zahl in ganz Europa.“

In Deutschland würden immerhin acht bis zehn Prozent der Sterbenden zuhause von mobilen Hospizdiensten versorgt, hierzulande seien es im vergangenen Jahr lediglich 1,6 Prozent gewesen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Krankenversicherungen diese Dienstleistung bislang nicht übernommen haben. Cesta domů finanziert sich durch Spenden und staatliche Zuschüsse. Außerdem betreibt die Organisation in Prag zwei Geschäfte, in denen sie unter anderem Second-Hand-Mode, Kalender und Literatur zum Thema Tod und Sterben anbietet.

Wirtschaftliche Gründe gebe es nicht dafür, dass die Krankenkassen nicht zahlen, so Uhlíř. Die medizinische Versorgung auf Intensivstationen sei weitaus teurer als die Übernahme der Versorgung zuhause. Seit 2015 läuft ein Pilotprojekt mit der Krankenkasse VZP, das in beschränktem Rahmen für 350 Patienten die Kosten der Betreuung übernimmt. Uhlíř gibt sich vorsichtig optimistisch, dass die so erhobenen Daten die Versicherer überzeugen werden.

„Bedürfnisse ernst nehmen“
Wer angesichts der Schwere des Themas traurigen Ernst im Arbeitsalltag der Organisation erwartet, liegt falsch. In den hellen Büroräumen im Prager Stadtteil Vinohrady geht es fröhlich zu. Krankenschwestern, Ärzte und Therapeuten sitzen gemeinsam beim Mittagessen. Ab und zu hört man herzliches Lachen. Vielleicht erleichtert auch diese Atmosphäre es manchen Menschen, über ihre Probleme im Umgang mit Sterbenden zu sprechen. Im Büro findet oft der erste Kontakt statt, aber auch telefonisch oder per E-Mail können sich Hilfesuchende an Cesta domů wenden – rund 3.500 Menschen melden sich jedes Jahr. Oft bleibt es bei der Beratung. „Wir erklären, welche Dienste die Angehörigen in Anspruch nehmen können, wer diese verschreibt und finanziert, welche Informationsquellen im Internet weiterhelfen und wo man medizinische Geräte leiht oder kauft.“

Wird um konkrete Hilfe gebeten, klären die Mitarbeiter von Cesta domů zunächst die Erwartungen. „Sterbehilfe können wir nicht leisten. Genauso wenig wie lebensverlängernde Maßnahmen durch künstliche Beatmung. Das Ziel ist es auch nicht, zusätzliche Tage zu gewinnen. Es geht darum, die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten.“ Die Ärzte und Krankenschwestern gehen mit den Patienten ihre Kranken­akten durch und beantworten Fragen. „Die Mehrheit will Klarheit über ihre Situation“, sagt Uhlíř. „Wenn ein Patient fragt, ob er sterben wird, sagen wir ja.“ Er höre oft, dass Kranke es als Kontrollgewinn empfinden, wenn jemand mit ihnen auf Augenhöhe spreche und ihnen nicht sage, dass alles gut werde.

Nach dem ersten Treffen wird ein medizinischer Plan erstellt, der die letzten Vorhaben der Sterbenden ermöglichen soll: zum Beispiel den Schulabschluss der Tochter oder den Geburtstag des Bruders mitzufeiern. Es geht nicht nur darum, Schmerzen zu lindern, sondern darum, die Bedürfnisse der Patienten ernst zu nehmen.

Entstehen in solchen Situationen nicht persönliche Beziehungen zu den Patienten, die gerade die Ehrenamtlichen emotional belasten können? Die Freiwilligen, zu denen laut Uhlíř Buddhis­ten und Katholiken ebenso zählen wie Atheisten und Punks, würden durch ein mehrmonatiges Training vorbereitet, erklärt der Direktor. Außerdem sei der Zeitraum der Zusammenarbeit meist sehr kurz. Cesta domů kümmert sich vor allem um Menschen, bei denen die Lebenserwartung noch ungefähr zwei Wochen beträgt. Langfristig ist dagegen manchmal der Kontakt zu den Angehörigen, für die die Organisation Selbsthilfegruppen anbietet. Sie finden dort noch Jahre später ein offenes Ohr.

Cesta Domu

Uhlíř wirkt mit seiner ruhigen, ernsten Stimme und dem festen Blick wie jemand, der schon viele schwierige Gespräche mit Menschen geführt hat. Bevor er zu Cesta domů kam, war er Krankenpfleger auf der Intensivstation. „Die Mehrheit von uns, die vorher in Krankenhäusern gearbeitet hat, wechselte zum Hospiz-Dienst, weil es weniger traurig ist. Das ist vielleicht paradox, weil alle unsere Patienten sterben, aber die Begleitumstände machen das Ganze schöner.“ Seiner Meinung nach ist es für die Sozialarbeiter und die Ehrenamtlichen bereichernd, mit Sterbenden zu arbeiten. „Wir lernen viel von ihnen. Jeder hier hat wahrscheinlich weniger Vorurteile und ist toleranter, seit er diese Arbeit macht – etwa gegenüber Homosexuellen oder Straftätern. Menschen sterben alle gleich, egal ob sie Minister waren, obdachlos oder ein illegaler Einwanderer aus der Ukraine.“

 


„Manchmal bin ich einfach nur da“

Die 31-jährige Karla Göbel engagiert sich seit 2014 ehrenamtlich für den Hospizdienst des Kompetenzzentrums Palliative Geriatrie des Unionhilfswerks in Berlin.

Warum haben Sie sich für ein Ehrenamt bei einem Hospizdienst entschieden?
Karla Göbel: Ich bin Politikreferentin im Gesundheitsbereich. Zwar arbeite ich auch in meinem Beruf mit Menschen, dennoch ist der Wunsch, nebenbei ehrenamtlich tätig zu werden, in den vergangenen Jahren immer stärker geworden. Ich hatte den Wunsch, für andere da zu sein. Eine Bekannte hat mich auf einen Vorbereitungskurs in der ehrenamtlichen Lebens- und Sterbensbegleitung aufmerksam gemacht. Bereits zu Beginn habe ich erfahren, dass ich in erster Linie hochbetagte und an Demenz erkrankte sterbende Menschen besuchen werde, die nicht mehr viel Besuch bekommen. Früher waren meine Gefühle gegenüber Sterben und Tod lediglich durch einen Gedanken beeinflusst: Ich kann nicht sagen, wie ich diese Phase wahrnehmen und wie ich fühlen werde. Ich würde aber gerne nicht alleine sein und meine Empfindungen, Hoffnungen und Ängste mit einem anderen Menschen teilen.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Arbeit mit Sterbenden?
Tatsächlich ist die Zeit die größte Herausforderung für mich geworden. Die Arbeit selbst macht nicht nur unglaublich viel Spaß, sie ist zugleich auch erfüllend und unbeschreiblich stärkend. Ich habe viele Menschen und ihre Geschichten kennengelernt. Am liebsten hätte ich noch mehr Zeit dafür. Jeder Tod eines Menschen trifft mich hart. Auch die Gespräche mit den Angehörigen sind häufig traurig, aber nie belastend. Ich merke immer wieder, wie wichtig es ist, in einer so schweren Lebensphase nicht allein zu sein – selbst wenn das Gegenüber an der aktuellen Situation nichts ändern kann. Ich kann aber nicht bestreiten, dass gerade die Hilflosigkeit auch eine große Herausforderung ist. Das trifft mich immer dann besonders hart, wenn ich feststelle, dass der betroffene Mensch sehr leidet. Beim Hospizdienst stehen mir aber Ansprechpartner zur Verfügung, die mir jederzeit Fragen beantworten und Ratschläge geben.

Welche Bedürfnisse haben Sterbende?
Das hängt nicht nur von den Interessen und den Gewohnheiten eines jeden Menschen ab, sondern auch vom Gesundheitszustand. Es gibt Phasen, in denen Menschen lieber für sich sein wollen. Insbesondere hochbetagte sterbende Menschen wünschen sich aber oft, nicht allein zu sein, etwas zu unternehmen, sich zu unterhalten oder auch einfach gemeinsam zu lachen. Im Vordergrund steht daher, ihnen zuzuhören, Geschichten zu erzählen und vorzulesen, Lieder zu singen, gemeinsam spazieren zu gehen oder zusammen zu essen. Manchmal sitze ich aber auch nur am Bett, halte die Hand, summe Lieder und bin einfach nur da, auch wenn die Person schon eingeschlafen ist.