Aus Prag wird Wien

Aus Prag wird Wien

Der Fernsehfilm „Die Hebamme 2“ wird zum größten Teil in Tschechien gedreht. Historische Kulissen und staatliche Zuschüsse machen den Standort interessant

23. 9. 2015 - Text: Melanie NolteText und Foto: Melanie Nolte

Der Medizinprofessor steht im dunklen alten Hörsaal. Licht fällt nur durch wenige kleine Fenster in die Mitte des Raums. Professor Gottschalk hält einen Vortrag über die mögliche Todesursache seiner Patientin. Sie liegt auf einer Bahre vor ihm. Der Brustkorb ist geöffnet, überall ist Blut zu sehen. Gebannt lauschen die Studenten, was der Mediziner ihnen zu sagen hat. Gemeinsam suchen sie nach der Todesursache. Einer der Studenten meint die Lösung zu kennen, tritt vor, um die Ursache zu nennen, als sich plötzlich der Brustkorb der Toten hebt. Sie atmet.

Die Kameras gehen aus, die Gesichter entspannen sich. Aus Professor Gottschalk wird für einen Moment wieder der Schauspieler Bernhard Schir, aus dem Auditorium in Wien das Schloss Kačina bei Kutná Hora, der Drehort für die Sat.1-Produktion „Die Hebamme 2“. Dann ruft jemand „Ruhe bitte“ in den dunklen Saal. „Ton läuft und Action!“ Die Darsteller Josefine Preuß (als Hebamme Gesa Langwasser) spielt die gleiche Szene noch einmal. Und dann immer wieder, bis endlich jeder Blick, jeder Satz, jede Geste stimmt. Im Film wird die Szene später nur 20 Sekunden dauern. In Kutná Hora vergehen vier Stunden, bis Regisseur Hannu Salonen mit allen Einstellungen zufrieden ist. Es bleibt Zeit für ein kurzes Mittagessen, bevor am Nachmittag die nächsten 20 Sekunden auf dem Drehplan stehen.

Der zweite Teil des Historiendramas „Die Hebamme“, der in Deutschland voraussichtlich Anfang 2016 im Fernsehen laufen wird, spielt vor allem in Wien. Aber nicht eine Einstellung davon wird wirklich in Österreich gedreht. Neben ein paar kleinen Szenen in Augsburg und Berlin wurde der Großteil des Films in Tschechien aufgenommen, vor allem in Prag und Umgebung. Aus der Bibliothek von Schloss Kačina wurde ein Auditorium, zum Allgemeinen Krankenhaus in Wien wurde die ehemalige Wohnanlage für Kriegsversehrte „Invalidovna“ in Prag 8, die in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts von Kilian Ignaz Dientzenhofer entworfen wurde. Und das Messegelände in Holešovice wird im Film als Wiener Prater zu sehen sein.

Dass Prag den Vorzug vor dem Originalschauplatz erhielt, erklärt Produzent Jan Ehlert so: „Die Motive und die Möglichkeiten, sie unseren Vorstellungen anzupassen, waren für uns der Hauptgrund, nach Tschechien zu kommen, wie schon beim ersten Teil.“ In Wien wäre es laut Ehlert sehr viel aufwendiger geworden, passende Gebäude als Kulissen zu nutzen. „Wien gibt die historischen Drehorte nur mit den gleichen Einschränkungen her, die man überall anders auch hat. All das, was zu modern ist, muss herausgehalten werden.“

Kulturtest bestanden
Der 35-Jährige kennt aber noch weitere Gründe, die für Tschechien als Drehort sprechen. Das Fördermodell für Produktionen, die hierzulande umgesetzt werden, sagt er, habe gut ins Finanzkonzept gepasst. Verantwortlich dafür ist der staatliche Kinemato­grafiefonds (Státní fond kinematografie). Er unterstützt Produktionen mit 20 Prozent der in Tschechien anfallenden Herstellungskosten. Das gilt neben Filmen auch für Serien, Features, Animationen und Dokumentarfilme.

Voraussetzung ist bei Fernsehfilmen, dass sich die Ausgaben mindestens auf umgerechnet rund 545.000 Euro belaufen. Außerdem müssen Filme, die mit Mitteln aus dem Fonds gefördert werden, einen „Kulturtest“ bestehen, heißt es auf der Internetseite des Fonds. „Die Hebamme 2“ erfüllte die Kriterien und bekam die staatlichen Zuschüsse – wie schon der erste Teil, der im Jahr 2014 gut sieben Millionen Kronen erhielt (knapp 270.000 Euro). Er steht ebenso auf der Förderliste des Kinematografiefonds wie zum Beispiel „Die Pilgerin“, „Tannbach“ und „Die Kastellanin“ oder die chinesische Produktion „Somewhere only we know“.

Am zweiten Teil von „Die Hebamme“ ist neben Sat.1 und der deutschen Produktionsfirma Moovie GmbH auch die tschechische Firma Wilma Film beteiligt. Das macht sich auch beim Dreh bemerkbar. Am Set wird Deutsch und Englisch gesprochen, gelegentlich hört man auch Tschechisch. „Was die kreativen Bereiche angeht, vor allem die Gewerkeleiter, sind das zumeist Deutsche“, erklärt Produzent Ehlert. „In den Gewerken selbst ist dann alles wieder gemischt, vor allem im technischen Bereich.“ Bei der Licht-Crew zum Beispiel stammen der Oberbeleuchter, und der erste Lichttechniker aus Deutschland, die Beleuchter aus Tschechien. Ähnlich sieht es bei den Kameraleuten aus. Außerdem kommen Komparsen, Kulissenbauer und Stuntmen aus Tschechien zum Einsatz. Die Moovie GmbH stellt neben dem Produzent auch die Produktionsleiterin und -koordinatorin.

Insgesamt sind es mehr als 60 Mitarbeiter, die beim Dreh im Schloss beschäftigt sind. Mindestens genauso anstrengend wie für die Schauspieler ist es an diesem Tag für die Maskenbildner. Sie beginnen früh morgens vor allen anderen, weil ein Historienfilm wie „Die Hebamme“ ein aufwendiges Make-up erfordert. Eine besondere Herausforderung ist jedoch die Szene am Nachmittag, in der Professor Gottschalk seinen Studenten am lebenden Objekt demonstriert, wie man einen Patienten behandelt. Immer wieder rinnt dem Verwundeten Blut über die Schläfen, immer wieder müssen die Maskenbildner die rote Flüssigkeit abwischen und ihn neu schminken. Der Zuschauer darf später nicht merken, dass die Szene schon mehrmals gedreht wurde. Noch einmal gibt der Regisseur den Schauspielern und Kameramännern kurze Anweisungen. Jemand ruft: „Ruhe bitte, Ton läuft, und – stopp!“ Die Haare von Student Wilhelm liegen im Nacken noch nicht ganz wie sie sollen. Nach kurzer Korrektur heißt es „Action“ und die Szene beginnt von vorn.