Auf den Spuren von Jan Hus

Auf den Spuren von Jan Hus

Konstanz zieht Besucher mit mittelalterlichem Charme und südländischem Flair an. Im Hus-Jahr ergänzen zahlreiche Veranstaltungen zum 600. Todestag des Reformators das kulturelle Angebot der Kreisstadt am Bodensee

17. 6. 2015 - Text: Gunnar HabitzText und Foto: Gunnar Habitz

 

Ein Dutzend Besucher aus deutschsprachigen Ländern versammelt sich an einem Samstagnachmittag vor dem Bahnhof von Konstanz, um auf den Spuren von Jan Hus zu wandeln. „Mein Name ist Johannes Hof, eigentlich fast wie Hus“, stellt sich der Fremdenführer vor. Der Konstanzer Journalist begleitet Touristen durch seine Heimatstadt und bringt ihnen die Geschichte rund um den böhmischen Volksprediger näher.

Die Kreisstadt mit ihren 81.000 Einwohnern liegt am Seerhein, der den kleineren Untersee mit dem größeren Obersee verbindet. Diese zentrale Lage am „Schwäbischen Meer“ machte die Siedlung schon in der Spät-antike zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Im Mittelalter wurde Konstanz zur Freien Reichsstadt und beherbergte von 1414 bis 1418 ein folgenreiches Kirchenkonzil.
Während des 600-jährigen Jubiläums jenes historischen Ereignisses steht nun fünf Jahre lang dessen Aufarbeitung ganz oben im städtischen Kulturkalender. Jedes Jahr wird ein anderer Schwerpunkt gelegt – 2015 ist das „Jahr der Gerechtigkeit“ und thematisiert Jan Hus und den Einfluss seines Werks auf die Kirchengeschichte.

Juwel der Sakralbaukunst
Johannes Hofs Rundgang durch das schmucke Konstanzer Zentrum beginnt am neogotischen Bahnhof. Der 1863 eröffnete Bau ragt vor allem dank seines 42 Meter hohen Turms aus dem Stadtbild hervor; der Komplex soll an den berühmten „Palazzo Vecchio“ in Florenz erinnern. Die erste Sehenswürdigkeit auf der Tour mit Hus-Bezug ist die weiße Dreifaltigkeitskirche zwischen Rosgarten- und Sigismundstraße. In der ehemaligen Kirche der Augustinermönche aus frühgotischer Zeit bezog Kaiser Sigismund sein Quartier und stiftete als Dank die malerische Innenausstattung. Rechts oberhalb der Orgel ist ein Porträt des Heiligen Sigismund in das Fresko eingearbeitet, mit dem Antlitz des damals königlichen Namensvetters. Während der Führung ist das der ideale Platz, um spannende Details über den Schirmherrn des Konzils und dessen politische Rolle zu Beginn des 15. Jahrhunderts zu erläutern.

Nach langer Renovierungszeit wurde dieses Juwel der Sakralbaukunst 2006 zu einer ökumenischen Kirche. Ein paar Schritte weiter befindet sich das 1870 errichtete Rosgartenmuseum, das sich heute eingehend mit der Stadtgeschichte sowie dem Konstanzer Konzil beschäftigt. Bis Herbst dieses Jahres vermittelt hier eine Sonderausstellung die städtischen Lebensumstände im Spätmittelalter.

Das kleine Hus-Museum in der Hussenstraße 64 am Schnetztor wird im Rahmen der Führung nur erwähnt, um den Teilnehmern einen wertvollen Tipp für einen individuellen Besuch zu vermitteln. Irrtümlicherweise galt das Haus lange als derjenige Ort, an dem Hus in den letzten drei Wochen vor seiner Inhaftierung wohnte. Die Tschechoslowakei kaufte die Immobilie 1922 und übertrug sie im Folgejahr an die Prager Hus-Gesellschaft. 1982 von Grund auf renoviert, dokumentiert dort seitdem eine Dauerausstellung das Leben des böhmischen Reformators.

Im Vorfeld des Konziljubiläums richtete das Hus-Museum vor Jahresfrist unter der Leitung von Libuše Rösch eine nach modernen Gesichtspunkten gestaltete neue Dauerausstellung mit dem Titel „Jan Hus – Mut zu denken, Mut zu glauben, Mut zu sterben“ ein. Ein erster Themenblock führt in drei Sprachen durch das Leben des Kirchenrebellen. Besucher erfahren mehr über die Bedeutung der Prager Bethlehemskapelle, in der sich Hus vom Theologen zum aufmüpfigen Reformer entwickelte. Bemerkenswert sind die Protestbriefe von 452 böhmischen Adligen gegen dessen Verurteilung. Aus seiner Gefängniszelle mit Seeblick im einstigen Franziskanerkloster sind außerdem die originalen Fenster und Tür zu sehen.

Im weiteren Verlauf der Schau wird „Das zweite Leben des Johannes Hus“ mit den Auswirkungen seines Werks auf die Geschichte von den Hussitenkriegen bis zur Reformation beleuchtet. Leider werden seine Verdienste um die tschechische Sprache kaum gewürdigt. Eine Sonderausstellung befasst sich bis Ende Juli mit dem Jan-Hus-Bild in der zeitgenössischen tschechischen Kunst. Zudem können Besucher bei einem „Ketzertest“ überprüfen, ob sie ihre Haltung im Mittelalter in Schwierigkeiten gebracht hätte.

Vom Bahnhof zum Paradies
Die Hussenstraße verbindet den Obermarkt mit dem südwestlich gelegenen mittelalterlichen Schnetztor. Das tatsächliche Konstanzer Wohnhaus von Jan Hus befand sich dort, wo heute an der Nummer 22 der 1636 errichtete Nachfolgebau „Haus zur roten Kanne“ steht. Allerdings verkündet keine Gedenktafel den ehemaligen Aufenthaltsort des Reformators; wohl um nicht vom nahen Hus-Museum abzulenken. Anders ist die Handhabe hingegen bei seinem Gefährten Hieronymus von Prag: Ein Schild an der Fassade vom „Haus zum Delfin“ (Hussenstraße 14) bezeugt den Wohnort des Gelehrten.

Vom Obermarkt aus fällt der Blick nach Westen zur evangelischen Lutherkirche im Stil des Historismus. Eingeweiht anlässlich des 450. Todestages von Hus am 6. Juli 1865, verlängert die Kirche eine Linie vom Bahnhofsturm bis zum Stadtteil „Paradies“. In diesem einstigen Fischerdorf vor den Toren der Stadt wurden Jan Hus und später Hieronymus von Prag hingerichtet, der Hussenstein markiert in etwa die Stelle des Scheiterhaufens. Nach dem Obermarkt folgt im weiteren Verlauf die Wessenbergstraße, wo der Chronist Ulrich Richenthal im Haus „Zum Goldenen Drachen“ (Hausnummer 29) wohnte. Seine detaillierte Konzil-Chronik ist heute im Rosgartenmuseum zu sehen. Das Münster „Unserer Lieben Frau“ im ursprünglich romanischen Stil aus dem achten Jahrhundert wurde im Verlauf seiner Geschichte gotisch, barock und neogotisch umgebaut, die Orgel stammt aus der Neorenaissance. Für das kraftvollste Geläut im Bodenseeraum sorgen gleich 19 Glocken. Seit der feierlichen Eröffnung des Konzils am 5. November 1414 diente die dreischiffige Basilika als Versammlungssaal für bis zu 2.000 Teilnehmer und Schaulustige, die auf eigens eingerichteten Tribünen mit drei Sitzreihen auf jeder Seite den Diskussionen folgen konnten. Jan Hus bekam am 6. Juli 1415 im Münster die letzte Möglichkeit zum Widerruf seiner Thesen, dabei stand er bei seiner Verurteilung fünf Schritte vom Hauptportal entfernt. Eine sichtbare Bodenplatte verweist auf den Platz, deckt sich jedoch nicht mit der überlieferten Entfernung.

In bester Lage
Auf einer kleinen Insel beim Stadtgarten befindet sich das Dominikanerkloster, das im 13. Jahrhundert entstand. Am 28. November 1414 wurde Jan Hus hier gefangengehalten, als er trotz des von Sigismund versicherten freien Geleits eben doch festgesetzt wurde. Hier fanden noch im Juni 1415 drei Verhöre statt, die eher als letzte Versuche der „Bekehrung“ gelten. Das Kloster wurde nach dessen Auflösung Ende des 18. Jahrhunderts in eine Fabrik umgewandelt. 1838 wurde an dieser Stätte Ferdinand Graf von Zeppelin geboren, der Erfinder der legendären Luftschiffe. Sein Bruder wandelte die Fabrik später zum „Inselhotel“ um, bis heute die vornehmste Unterkunft der Stadt.

Zuletzt führt Hof seine Klientel zum dreistöckigen Konzil­gebäude hinter dem Stadtgarten. Es entstand 1388 als wichtiger Umschlagplatz für die Handelsgüter am Hafen. Manch Teilnehmer der Führung fragt sich vielleicht, warum ausgerechnet die aus heutiger Sicht kleine Stadt Konstanz als Standort für das Konzil ausgewählt wurde. Der Fremdenführer verweist auf die spezielle Lage der Stadt. Konstanz war damals aufgrund der sicheren Wasserstraßen bestens geeignet, um eine derartige Tagung über Jahre logistisch zu stemmen. So sollen zu Spitzenzeiten bis zu 25 Lastschiffe pro Stunde an den Gestaden des Konstanzer Hafens angelegt haben. Das Konzilgebäude selbst dient seit hundert Jahren als Restaurant und Kongresszentrum. 

HUS-TOUREN IN KONSTANZ

Klassische Führung „Hus in Konstanz“
Die beschriebene etwa zweistündige Führung findet jeden zweiten und vierten Dienstag sowie jeden zweiten und vierten Samstag im Monat um 14.30 Uhr statt. Neben Johannes Hof vermitteln auch andere Fremdenführer diese öffentliche Grundführung rund um das Ende des böhmischen Reformators. Hof vermittelt sein Wissen über das Konzil und Jan Hus nicht nur auf Führungen, sondern stellte rechtzeitig zum Jubiläum auch einen umfassenden Leitfaden für Schulen in Verbindung mit einem Quiz und eigener Konzil-Stadtrallye zusammen.

Inszenierte Führung „Heiliger oder Ketzer – mit Jan Hus auf Spurensuche“
Schriftsteller und Konzilexperte Henry Gerlach schlüpft jeden zweiten Freitagnachmittag bis Ende Oktober in die Kutte des Hieronymus von Prag und nimmt die Gäste mit auf eine Zeitreise ins Jahr 1415, zwischen Wohnhaus und Kerker von Jan Hus bis zum Hussenstein. Außerdem thematisiert Gerlach die verschiedenen Interpretationen von Hus’ Thesen und die Versuche, den Ketzerstatus endlich zu überwinden.

Kostümierte Führung „Hofnarr, Spion und Richental“
Ein authentisches Bild aus der Epoche vermittelt die Führung durch die Augen von Chronist und Konzilschreiber Ulrich Richental, der auf mehreren Stationen kostümierten Zeitzeugen von der Fischerin bis zur Königin begegnet. Weitere Rundgänge vom Büro der Touristeninformation am Bahnhof aus ermöglichen Einblicke zu bisher nicht zugänglichen geschichtsträchtigen Originalschauplätzen.

ADRESSEN & KONTAKTE

Hus-Museum, Hussenstr. 64, Tel. +49 7531 290 42, E-Mail: hus-museum@t-online.de

Konzilstadt Konstanz, Marktstätte 1, Tel. +49 7531 363 270, www.konstanzer-konzil.de

Rosgartenmuseum, Rosgartenstr. 3–5, Tel. +49 7531 900 246, www.freunde-des-rosgartenmuseums.de/Rosgartenmuseum

Touristeninformation, Bahnhofsplatz 43, Tel. +49 7531 133 030, www.konstanz-tourismus.de