Auf dem Weg ins Rathaus

Wahlen zum Magistrat: ANO schlägt TOP 09 – Bündnis mit Sozialdemokraten und Dreierkoalition wahrscheinlich

15. 10. 2014 - Text: Marcus HundtText: Marcus Hundt; Foto: ANO

Tomáš Hudeček wusste sich am Samstagabend keinen Rat mehr. Seit über einem Jahr ist er Oberbürgermeister von Prag, in den kommenden Wochen wird er aller Voraussicht nach abgelöst werden. Denn in der Hauptstadt landete Hudečeks Partei TOP 09 nur auf dem zweiten Rang, die meisten Stimmen erhielt die von Finanzminister Andrej Babiš geführte Bewegung ANO. „Ich weiß nicht, was wir noch hätten tun sollen“, gab sich Hudeček enttäuscht, „wir haben alle unser Bestes gegeben und den Pragern hätten wir nicht deutlicher vor Augen führen können, warum die Stadt auch weiterhin von uns geführt und verwaltet werden sollte.“

Auch einige Tage nach der Wahl war bei Hudeček nicht das leiseste Anzeichen von Selbstkritik zu erkennen. Als „unglücklich“ bezeichnete der 35-Jährige die Anti-Kampagne der Billboard-Lobby gegen die Stadtverwaltung – eine Reaktion auf eine neue Bauverordnung, mit deren Einführung große Reklametafeln aus dem Prager Stadtbild verschwinden sollen (die „Prager Zeitung“ berichtete in den vergangenen Ausgaben). „Es ist sicher nicht von Vorteil, wenn eine bestimmte Gruppe von Lobbyisten, also eine sehr kleine Gruppe von Menschen, in der Lage ist, mit Hilfe eines Mediums das öffentliche Meinungsbild auf den Kopf zu stellen“, sagte Hudeček am Sonntag.

Im Vergleich zu den zurückliegenden Wahlen zum Prager Magistrat im Jahr 2010 büßte seine Partei etwa zehn Prozent der Stimmen und zehn Mandate in der Stadtvertretung ein. Die erst 2011 gegründete ANO-Bewegung erhielt auf Anhieb 22,08 Prozent der Stimmen und damit zwei Prozent mehr als TOP 09.

Piraten mit im Boot

Dass die Situation von 2010 erneut eintreten könnte, wonach sich der eigentliche Wahlsieger schließlich in der Opposition wiederfindet, gilt als sehr unwahrscheinlich. Damals hatte TOP 09 mit 30,26 Prozent die Wahlen zum Magistrat klar gewonnen, fand jedoch keinen Regierungspartner, sodass es zu einer Koalition zwischen ODS und ČSSD kam. Das Bündnis währte jedoch nur kurz: Im November 2011 schlossen sich die Bürgerdemokraten unter Bohuslav Svoboda mit TOP 09 zusammen; Hudeček wurde stellvertretender Oberbürgermeister. Nachdem im Mai 2013 auch diese Koalition zerbrach, wurde er Svobodas Nachfolger und führte eine von der ČSSD tolerierte Minderheitsregierung.

Nach den Wahlen am vergangenen Wochenende und den Reaktionen der führenden Stadtpolitiker stehen der siegreichen ANO-Bewegung mit ihrer Spitzenkandidatin Adriana Krnáčová (Foto) nun viele Wege offen. Ausgeschlossen sei lediglich eine Koalition zwischen ANO und TOP 09, stellten sowohl Krnáčová als auch Hudeček noch vor Bekanntgabe der offiziellen Ergebnisse klar.

Als die Wahlhelfer noch die Stimmen auszählten, antwortete der Politologe Tomáš Lebeda im Tschechischen Fernsehen auf die Frage, mit welchen Parteien ANO Sondierungsgespräche führen werde: „Die können mit jedem verhandeln, die haben nichts zu verlieren.“

Schaut man auf die Sitzverteilung in der künftigen Stadtvertretung, könnte das ein großer Vorteil sein (und verhindern, dass ANO womöglich das gleiche Schicksal ereilt wie TOP 09 nach den Wahlen 2010). Im neuen Stadtparlament sind sieben politische Vereinigungen vertreten, die meisten Abgeordneten stellen ANO (17), TOP 09 (16) und die sogenannte Dreierkoalition aus Christdemokraten, Grüne und Unabhängige (8). ODS und ČSSD haben jeweils acht Mandate errungen, Kommunisten und Piraten jeweils vier.

Ende dieser Woche wollen die Wahlsieger mit Vertretern der Sozialdemokraten und der Dreierkoalition zusammentreffen, um eine künftige Zusammenarbeit zu erörtern. Da ein solches Bündnis nur über eine knappe Mehrheit von einer Stimme verfügen würde, will ANO auch Gespräche mit den Piraten führen. Der Neuling im Prager Rathaus soll dem Konglomerat aber nicht beitreten, sondern lediglich tolerieren. Die Piratenpartei kann sich das durchaus vorstellen – aber auch bestimmte Bedingungen daran knüpfen. Welche das sind, stünde noch nicht fest, heißt es aus Parteikreisen. Sicher ist: Stabile Verhältnisse sehen anders aus. 

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