An der Front

An der Front

Im Kulturzentrum „DOX“ erzählen Sandsäcke, Kugelbunker und eine historische Ausstellung von den Schrecken des Krieges

18. 6. 2014 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: DOX

 

Wie Menschen erbarmungslos verheizt und als reines Kampfmaterial eingesetzt wurden, machte in brutalster Weise der industrialisierte Erste Weltkrieg deutlich. 100 Jahre nach dessen Beginn gedenkt ganz Europa der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts. Nicht nur in Fernsehprogrammen und Zeitungsfeuilletons arbeiten Experten die Umstände und Folgen des Krieges auf, so ziemlich jedes größere Museum des Kontinents widmet sich zur Zeit ebenfalls dem Thema. Dazu gehören auch Häuser, die sonst eher wenig mit Historiographie zu tun haben. Das Prager Zentrum für zeitgenössische Kunst DOX legt seit vergangenem Donnerstag mit der Schau „První Linie“ („Frontlinie“) den Fokus auf die Schrecken des vierjährigen Konflikts, der die Welt nachhaltig veränderte.

Beklemmung, Angst und emotionale Kälte: Das sind die Gefühle, die der Besucher zwischen hoch aufgetürmten Sandsäcken nachempfinden soll, wenn er die raumfüllende Installation von Monika und Bohuš Kubinský durchschreitet. Im Erdgeschoss des Kulturzentrums hat das slowakische Künstler-Paar einen Schützengraben nachgebaut. Daneben stehen als Kontrast neun Fragmente von deutschen Mini-Kugelbunkern aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Erklärung: „In der Welt des Schmerzes kann nichts diese beiden Konstruktionen trennen, auch 21 Jahre Zwischenkriegszeit nicht.“ Das Leiden hebe die zeitliche Dimension auf. „Der Wille und das Potential des maschinellen Tötens existiert immerwährend“ – mit dieser Botschaft entlassen die Kubinskýs den Besucher in ihren sterilen Nachbau.

Begleitet wird der Betrachter der Installation von mehr oder weniger berühmten Zeitzeugen-Zitaten. So begegnet man Albert Einsteins pazifistischem, aber doch sehr abgenutztem Bonmot: „Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgefochten wird, aber der Vierte wird wieder mit Stock und Stein geführt.“ Das ist ziemlich platt. Die Moralkeule gehört nicht in eine Installation, bei der das Konzept wenig einleuchtet.

Die Hinzunahme der deutschen Kugelbunker, in denen jeweils zwei Soldaten Zuflucht vor Luftangriffen fanden, wirkt wie eine hilflose Maßnahme, um aus der (Ideen-)Not eine Tugend zu machen. Sie soll die Gefangenschaft des Soldaten in der Maschinerie des Todes symbolisieren – weit hergeholt und, ins Zentrum der historischen Auseinandersetzung gerückt, ziemlich redundant, weil schon tausendfach behandelt.

Gut nur, dass im oberen Stockwerk, im Installationssaal, eine bestens recherchierte, akribisch bearbeitete Ausstellung mit Kriegserfahrungsberichten von Soldaten ein authentisches Bild der damaligen Ereignisse erzeugt.

Tagebucheinträge, Skizzen, Feldpost, noch nie der Öffentlichkeit zugängliche Fotografien aus privaten Familienalben sowie Gebrauchsgegenstände aus dem Kriegsalltag veranschaulichen das harte Leben, dem die meist noch sehr jungen Männer ausgesetzt waren. Es sind Zeugnisse von Tschechen und Slowaken, die in der österreichischen Armee Dienst leisten mussten. Manche davon wechselten nach der Gefangennahme die Seiten und kämpften in tschechoslowakischen Legionen für die Entente und ein befreites Heimatland.

Ergänzt wird dieser Teil von Filmdokumentationen des Tschechischen Fernsehens, das für die Suche nach den Quellen sowie den Großteil der Verarbeitung verantwortlich war. Die Begleittexte sind auf Englisch übersetzt, leider gilt das nicht für die transkribierten Tagebücher, die zahlreich ausliegen. Eine solche Schau hätte man eher in einem historischen Museum erwartet als im DOX, wo man darauf bedacht war, mit der Installation auch ein künstlerisches Ausrufe­zeichen zu setzen. Das ging allerdings gründlich daneben. Die Kubinský-Installation hat man in fünf Minuten abgehakt.

Frontlinie. DOX Centre for Contemporary Art (Poupětova 1, Prag 7), geöffnet: Sa.–Mo. 10–18 Uhr, Mi. & Fr. 11–19 Uhr, Do. 11–21 Uhr, dienstags geschlossen, Eintritt: 180 CZK (ermäßigt 90 CZK), bis 22. September