An 15 Tischen um die Welt

Bei „Speak Easy Praha“ kommen sich Expats und Tschechen näher. In entspannter Atmosphäre kann geredet und gelernt werden
18. 3. 2015 - Text: Arne WitteText und Foto: Arne Witte
Das Kurioseste, was ihm bisher passiert ist, war ein Besucher, der sich gerne mit einem lateinischen Muttersprachler unterhalten hätte. Solche Wünsche kann Vojtěch Glezgo kaum erfüllen, aber trotz dieser kleinen Schwierigkeiten: Betritt man am Sonntagnachmittag das Café Globe in der Prager Neustadt, dringen unterschiedlichste Sprachen ins Ohr. Englisch, Italienisch, Tschechisch, Französisch, Koreanisch, Deutsch – ein Wirrwarr an Wörtern erfüllt den Raum. So laut und intensiv die Debatten geführt werden, so ernst meinen es die meisten Besucher mit dem Grundgedanken des Treffens. Bei „Speak Easy Praha“ wird nämlich selten in der eigenen Muttersprache geredet. Die interkulturelle Veranstaltung dient dem gegenseitigen Sprachenlernen.
Glezgo ist mit Herzblut bei der Sache, sein „Baby“ nennt er die wöchentliche Aktion. Seit Ende 2013 organisiert der 30-Jährige die Nachmittage, die vor allem Expats und sprachbegeisterte Tschechen anziehen. Rüdiger aus Deutschland zum Beispiel steht kurz vor der Rente und ist vor einem Jahr mit seiner italienischen Frau nach Prag gezogen. Von der Veranstaltung hat er über Facebook erfahren. Nun versucht er, neue Kontakte zu knüpfen und sein Tschechisch zu verbessern. Seine Frau sitzt gegenüber am Tisch für Italienisch. „Das ist das Schöne an Speak Easy Prag“, sagt Glezgo. „Der Haufen hier besteht aus Menschen unterschiedlichster Altersgruppen, Hautfarbe und Einstellungen, ohne religiöse, kulturelle oder ethnische Barrieren oder Vorurteile.“
Das Konzept ist denkbar einfach: Mit Klemmbrett und Teilnehmerliste ausgestattet registriert der Veranstalter jeden Besucher mit Vornamen, Muttersprache und der Sprache, die er lernen möchte. Anschließend delegiert er die Leute an verschiedene Tische. Die Landesfahne auf dem Tisch zeigt die jeweilige Sprache an – und an die gilt es sich zu halten. Bei Bier oder Kaffee und Kuchen stellen sich schnell Plaudereien über Landesgrenzen hinweg ein. Mindestens ein Muttersprachler sollte möglichst immer mit am Tisch sitzen, der den anderen bei der Wortfindung und Satzbildung helfen kann. Bei so vielen Teilnehmern klappt das mittlerweile recht gut. Allerdings dauerte es eine ganze Weile, bis die Veranstaltung wirklich rund lief.
Vorbild Berlin
„Als ich im Dezember 2013 angefangen habe, waren wir immer nur fünf bis 15 Leute. Es musste erst eine kritische Masse erreicht werden, damit das Konzept aufgeht“, erzählt Glezgo. Im selben Jahr hatte er auf einer Reise nach Berlin ein ähnliches Treffen besucht. Sprachen sind seine Leidenschaft, er war begeistert von der Idee und setzte sich zum Ziel, einen erfolgreichen Ableger in Prag zu etablieren. Durch Werbung in sozialen Netzwerken ist ihm das mittlerweile gut gelungen. Mit der steigenden Zahl der Teilnehmer musste der Treffpunkt von kleineren Cafés immer wieder in größere Lokale verlegt werden, und so finden sich an diesem Sonntag um die 100 Sprachbegeisterte im großen Saal des Cafés ein und sprechen etwa 15 verschiedene Sprachen.
Glezgo probiert immer, möglichst allen Wünschen nachzukommen und beispielsweise Deutsche, die Tschechisch lernen wollen, mit Tschechen, die Deutsch lernen wollen, an einen Tisch zu setzen. Natürlich ist hängt das immer davon ab, wer am Sonntag kommt. Manchmal geht das System auf und es gibt perfekt abgestimmte Gruppen. Manchmal lässt sich, so sehr man ihn auch sucht, einfach kein lateinischer Muttersprachler auftreiben. Die großen und auch kleineren europäischen Sprachen sind in der Regel immer vertreten, manchmal können zudem Nischensprachen wie Hebräisch, Paschtu – eine der Amtssprachen in Afghanistan – oder das in Südindien und auf Sri Lanka verbreitete Tamil angeboten werden.
In einem Nebenraum sitzt der 25-jährige Tscheche Tomáš Breník, der fast von Anfang an dabei ist. Über eine Online-Plattform stieß er auf das Angebot und war sofort begeistert von der Idee. Breník studiert Englisch auf Lehramt, ihn reizten aber auch Spanisch und Japanisch. Zunächst fanden sich dafür bei „Speak Easy Praha“ kaum Leute. „Vor allem mit Japanisch war es recht schwierig“, erinnert sich Breník. Trotzdem kam er fast jede Woche, um zumindest anderen Leuten bei den Sprachen, die er kann, zu helfen. Nach einer Weile gab es dann auch Spanisch-Tische, später sogar hin und wieder Japanisch.
Fast ohne Akzent
Am Tisch mit der deutschen Fahne sitzt der erst 20-jährige Truong Quang Vu, der vor zwei Jahren aus Vietnam nach Tschechien kam, ohne ein Wort Tschechisch zu sprechen. Die ersten zehn Monate absolvierte er einen Intensivkurs an der Karls-Universität, heute studiert er dort Wirtschaftswissenschaften. Nebenbei begann er vor anderthalb Jahren Deutsch zu lernen. Sein Akzent ist mittlerweile kaum noch zu hören. Seine Mutter wohne an der Grenze, es gebe dort nur deutsches Fernsehen, sagt der junge Mann. „Aber jeden Sonntag mit Muttersprachlern zu sprechen, hat mir natürlich auch geholfen.“
Über solche Stammgäste freut sich Glezgo am meisten. Er beobachtet drei Teilnehmertypen: Zum einen seien da die Tschechen, die gerne von der großen Expat-Community in Prag profitieren wollen, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Zum anderen sind es die Expats, die interessiert an der Sprache ihrer Wahlheimat sind. Und zu guter Letzt, sagt er, gebe es auch noch die Leute, die neu in der Stadt sind und statt der Sprache vor allem neue Leute kennenlernen wollen.
Natürlich sind die Grenzen zwischen den Gruppen nicht immer klar. Der Philosophiestudent Maciej Borys aus Polen zum Beispiel ist für nur drei Monate während der Recherche für seine Doktorarbeit in Prag. „Ich habe bereits in Polen einen Tschechisch-Kurs besucht, bevor ich nach Prag zog. Aber hier kann ich mich verbessern und außerdem nette Leute kennenlernen, ich kenne ja sonst niemanden in der Stadt. Außerdem bekommt man so auch interessante Ausgehtipps von Einheimischen“, erklärt der 28-Jährige. Er ist erst zum zweiten Mal dabei, will aber definitiv öfter kommen. Dass es so viele interessante Menschen und Sprachen gibt, habe ihn wirklich überrascht. Und nachdem er tagsüber im Jan-Patočka-Archiv recherchiert, weiß er nun auch, wo oder mit wem er die Abende und Wochenenden verbringen kann.
So ist der Sonntagnachmittag im Globe nicht nur für Maciej einer der selteneren Momente in Prag, bei denen sich Expats und Einheimische wirklich begegnen.
Speak Easy Praha. Jeden Sonntag ab 15 Uhr im Café und Buchladen Globe, Pštrossova 6, Prag 1
Auf unbestimmte Zeit verschoben
Neue Formen des Unterrichts