Am Fuße der heiligen Käseglocke

Am Fuße der heiligen Käseglocke

Der Říp im Böhmischen Mittelgebirge bietet nicht nur für Wahlkampagnen eine reizvolle Kulisse

18. 6. 2014 - Text: Franziska NeudertText und Foto: Franziska Neudert

Spitze Bergkegel erheben sich vereinzelt aus einer weitläufigen, nahezu baumlosen Ebene. Bekrönt von Burgen und mittelalterlichen Ruinen prägen die in der weiten Niederung mitunter bizarr wirkenden Erhebungen das Böhmische Mittelgebirge im Norden Tschechiens. Ihr typisches Aussehen verdankt diese Region den gewaltigen basaltischen Lavaströmen und Tuffgesteinen, die sich hier über Jahrtausende hinweg nach Vulkanausbrüchen ablagerten. Der Naturforscher Alexander von Humboldt war von dem Landstrich so fasziniert, dass er nach seinem Besuch auf dem Donnersberg (Milešovka), der mit 836 Metern höchsten Erhebung, schwärmte, ihm sei die drittschönste Aussicht all seiner Reisen hier zuteil geworden.

Unter den markanten Kegelbergen fällt eine Erhebung aus der Reihe. Zwischen den spitzen Anhöhen wirkt sie wie ein abgelegter Hut, der in der Ebene vergessen wurde: Etwa 15 Kilometer nördlich von Mělník und fünf Kilometer südlich von Roudnice nad Labem (Raudnitz an der Elbe) erhebt sich der mythische Georgsberg, auf Tschechisch Říp. Wegen seiner augenfällig abgerundeten Form im Volksmund auch als „Käseglocke“ bezeichnet, gehört er mit nur 456 Höhenmetern zwar zu den kleineren Bergen des Böhmischen Mittelgebirges.

Umso größer ist seine Bedeutung als legendärer Ort der Besiedelung des Landes. Laut der sogenannten Chronica Boemorum – im zwölften Jahrhundert vom Chronisten Cosmas von Prag verfasst – soll Čech, der mythologische Urvater des slawischen Stammes der Tschechen, im Jahr 644 hier beschlossen haben, das Land zu besiedeln. Wie die Sage berichtet, zog Čech mit seinem Gefolge von Osten her durch die Lande, um eine neue Heimat zu finden.
Nachdem er die Oder, die Elbe und schließlich die Moldau überquert hatte, erblickte er den einsam aus der Ebene herausragenden Říp. Urvater Čech bestieg den Berg, beim Anblick des ausgedehnten Landes zu seinen Füßen wusste er, dass hier die Zukunft seines Volkes liegen würde und blieb.

Mit aufkeimendem Nationalitätsbewusstsein Mitte des 19. entwickelte sich der Berg zu einem Symbol der tschechischen nationalen Wiedergeburt. Der Říp wurde zum Veranstaltungsort unterschiedlicher politisch motivierter Aktionen. 1914 fand hier eine Antikriegsdemonstration gegen den Ersten Weltkrieg statt, 1939 demonstrierten zahlreiche Tschechen gegen die deutsche Besetzung und die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren.

Später verbanden verschiedene Parteien einen Besuch auf dem heiligen Berg mit ihrem Wahlkampf. So erklomm im Vorfeld der Parlamentswahlen 2006 beispielsweise Altbundeskanzler Gerhard Schröder mit dem damaligen tschechischen Premier Jiří Paroubek den mythischen Gipfel, um den Sozialdemokraten medienwirksamen Auftrieb zu verleihen.

Beeindruckende Sicht
Wer auf den Spuren des tschechischen Urvaters wandeln will, sollte im Dorf Rovné haltmachen. Am Fuße des Říp befindet sich ein Parkplatz, ein rot gekennzeichneter Wanderpfad weist den überraschend kurzen, jedoch steilen Weg nach oben. In etwa 20 Minuten gelangt man zum Gipfel. Dort fällt der erste Blick auf ein Gasthaus: „Was Mohammed Mekka, das ist dem Tschechen der Říp“ verheißt eine Aufschrift an der hölzernen Fassade den Ausflüglern. Wie der gut gefüllte Freisitz zeigt, ist der Říp gerade wegen der kleinen Schenke das Ziel vieler Pilgerer. Ein schmaler Pfad verbindet sie mit der Georgsrotunde, einer Gedenkstätte, an deren Stelle sich im zwölften Jahrhundert eine romanische Kapelle befand.

Wirklich beeindruckend an diesem kleinen Berg ist der Ausblick. Bei klarer Sicht kann man in nordöstlicher Richtung bis zum Ještěd in Liberec blicken, im Westen ragt unverkennbar der Berg Hazmburk (Hasenburg) empor. Die Anhöhe mit der gotischen Burgruine erreicht man von Rovné ausgehend mit dem Auto in einer halben Stunde.

Mit dem Aufstieg beginnt man am besten in Klapý, von dort führt ein gelb markierter Wanderweg durch einen Kirschhain hinauf zur Burg. Mit 418 Metern ist der Berg zwar nicht so hoch wie der Říp, für die Route zum Gipfel muss man dennoch mehr Zeit einplanen. Auf dem Plateau verbindet ein Rundweg die präg­nanten zwei Burgtürme, die den Berg mit ihrer Silhouette zu einem Wahrzeichen des Böhmischen Mittelgebirges machen.

Ende des 13. Jahrhunderts vom Adelsgeschlecht der von Lichtenburgs erbaut, ging sie später in den Besitz des Jan Zbyněk Zajíc (auf Deutsch: Hase) von Valdek über, der die Burg um den ovalen Turm im Osten erweitern ließ. Dem Hasen in seinem Wappen entsprechend, wurde die Burg fortan als Hasenburg bezeichnet. Vom Burgturm zeigt sich dem Besucher eine regelrecht atemberaubende Sicht auf das Umland. Humboldts schwärmerische Worte über den Blick vom Gipfel der Milešovka kann der Wanderer hier gewiss nachvollziehen.