Am anderen Ende der Welt
Der Pilsener Maler Gottfried Lindauer wurde mit zahlreichen Maori-Porträts in Neuseeland berühmt. In Europa blieb er nahezu unbekannt
10. 12. 2014 - Text: Franziska NeudertText: fn/ph; Bild: Paora Tuhaere, 1895/Auckland Art Gallery Toi o Tāmaki
Sie tragen exotische Vogelfedern, traditionellen Stammesschmuck und ihre Gesichter sind mit filigranen Mustern verziert. Selbstbewusst und stolz blicken sie den Betrachter an. Als würdevolle Individuen hielt Gottfried Lindauer die indigenen Einwohner Neuseelands auf seinen Porträts fest. Wie kein anderer Maler widmete sich der gebürtige Pilsner im 19. Jahrhundert der Kultur der Māori. Als Lindauer ein Jahr alt war, wurde Neuseeland zur britischen Kolonie ernannt. Als er 34 Jahre später dorthin auswanderte, machte die Anzahl der Māori nur noch ein Zehntel der Inselbewohner aus. Mit bis zu 1.000 Porträts schuf er lebendige Bildnisse ihrer Angehörigen, die bis heute von den Māori verehrt werden. Während Lindauer in Neuseeland als namhafter Künstler gefeiert wird, blieb er jenseits der Inselgrenzen nahezu unbekannt. Die Berliner Nationalgalerie präsentiert nun erstmals 48 Bilder Lindauers, die noch nie zuvor außerhalb Neuseelands zu sehen waren.
Lindauer kam 1839 als Sohn eines Gärtners in Pilsen zur Welt. Von 1855 bis 1861 studierte er an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo unter anderem die Maler Joseph Führich und Leopold Kupelwieser zu seinen Lehrern gehörten. In dieser Zeit änderte er seinen tschechischen Vornamen Bohumír in Gottfried. Zunächst konzentrierte sich Lindauer auf religiöse Kunst. Er beteiligte sich beispielsweise an der Ausgestaltung der Kirchen in Valášské Klobouky und Vizovice in Südmähren.
1864 kehrte Lindauer nach Pilsen zurück, wo er sich mit einem eigenen Atelier als Porträtmaler selbständig machte. Da die Fotografie als Bildmedium immer populärer wurde, hatte Lindauer mit rückläufigen Nachfragen zu kämpfen. Außerdem erschwerte ihm die drohende Einberufung zum Militärdienst den Alltag. So entschied sich der Maler auszuwandern. Wie viele andere wollte er als Siedler in einer der Kolonien ein besseres Leben finden.
1873 begab sich Lindauer auf den Weg nach Hamburg, von dort verließ er am 10. Mai 1874 den Hafen in Richtung Süden. Knapp drei Monate später erreichte er Wellington. Bereits um 1870 lebten etwa 250.000 Einwanderer in Neuseeland, sie kamen vor allem aus Großbritannien und Irland, aber auch aus anderen europäischen Ländern. Um sich als Maler auf der Insel bekanntzumachen, reiste Lindauer anfänglich viel umher. Er porträtierte wohlhabende Siedler und fertigt Genremalereien an.
1874 ließ sich Lindauer in Auckland nieder. Hier traf er auf Henry Partridge, der ihn beauftragt, Porträts von namhaften Māori anzufertigen. Für mehr als 30 Jahre sollte der britische Geschäftsmann bei Lindauer Bilder in Auftrag geben – angetrieben von der Überzeugung, die Kultur der Māori vor der Verdrängung durch die europäischen Einwanderer bewahren zu müssen. Im Stil klassischer europäischer Herrschaftsporträts schuf Lindauer detailgetreue, Fotografien ähnelnde Porträts der Māori. Sie zeigen die Ureinwohner in ihrer Tracht, mit tätowierten Gesichtern, traditionellen Attributen und Waffen.
Für die Bilder studierte Lindauer ausgiebig die Sprache der Gesichtstätowierungen, der sogenannten Moko. Sie gelten als eine Art Geburtsurkunde, ihr Muster beinhaltet Informationen über Herkunft und Stammeszugehörigkeit ihrer Träger. Indem er die Māori derart präzise abbildete, schuf Lindauer nicht nur historische Zeugnisse ihrer Kultur, sondern auch zeitlose Bilder. Sie gehören heute zum spirituellen Erbe der Māori und werden, da sie die Genealogie der Ureinwohner dokumentieren und damit eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart schlagen, als heilig betrachtet.
Lindauer erhielt auch von den Māori-Häuptlingen zahlreiche Aufträge. Sie verehrten ihn, da er ihnen mit Respekt begegnete und ihren Ahnen ein bleibendes Antlitz verlieh. So berichtete der Entdecker und Reisende Josef Kořenský (1847–1938) in seinen Schriften, dass jeder Māori anerkennend nicken würde, sobald der Name Lindauers fiele.
Über Partridge und Lindauers zweiten Förderer Walter Buller gelangten einige Porträts nach London, wo sie als Repräsentanz der Kolonie Neuseeland vorgestellt wurden. Lindauer selbst reiste zwischen 1900 und 1914 mehrfach nach Europa. In Böhmen traf er während eines längeren Aufenthalts auf das Sammlerpaar Josepha und Vojtěch Náprstek, die zwei Bildnisse für ihr Museum in Prag erwarben.
Obwohl Lindauer großes Ansehen genoss, sah er sich in den Jahren zwischen 1914 und 1916 ebenso wie viele andere Auswanderer aus dem Habsburger Reich heftigen Anfeindungen ausgesetzt. In diesen Jahren entstanden nur wenige Bilder.
Seine schwindende Sehkraft setzte 1919 Lindauers Beruf ein Ende. Sieben Jahre später verstarb er in Woodville im Süden der Nordinsel, wo er seit 1889 wohnte.
Das künstlerische Erbe Lindauers befindet sich heute überwiegend in Neuseeland. Von vielen Māori werden seine Bilder als Teil ihrer Wirklichkeit betrachtet. Vor den Porträts vollziehen sie Rituale und äußern ihre Gefühle, als seien sie lebendige Wesen. Für die Kunstgeschichte bedeuten die Bilder einzigartige Zeugnisse. Lindauer gehörte zu den wenigen Malern, die im späten 19. Jahrhundert ausschließlich Porträts einer indigenen Bevölkerung schufen – und dass, ohne sie als kuriose Exoten darzustellen.
In seiner Heimat blieb sein Werk unbekannt. Das soll sich nun ändern. Im kommenden Jahr will Pilsen, die Kulturhauptstadt Europas 2015, ihrem verkannten Sohn eine Ausstellung widmen. Im Mai sollen die Bilder erstmals überhaupt in Pilsen in der Westböhmischen Galerie zu sehen sein.
Gottfried Lindauer. Die Māori Portraits. Alte Nationalgalerie Berlin, geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr, donnerstags 10–20 Uhr, Eintritt: 12 Euro (ermäßigt 6 Euro), bis 12. April 2015
Einige Bilder Lindauers sind in der Dauerausstellung des Náprstek-Museums zu sehen. Betlémské náměstí 1 (Prag 1), geöffnet: täglich außer montags 10–18 Uhr, mittwochs 9–18 Uhr, Eintritt: 100 CZK (ermäßigt 70 CZK)
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