Tereza kocht nicht mehr

Tereza kocht nicht mehr

Eine junge Frau ernährt sich von Rohkost – und macht daraus ein erfolgreiches Unternehmen

21. 9. 2016 - Text: Adéla VopěnkováText: Adéla Vopěnková; Fotos: Lifefood

 

Es sei nicht schlimm, ab und zu ein bisschen gedämpften Brokkoli zu essen, sagt Tereza Havrlandová. „Das müssen Sie dann nur mit ein paar Kilo frischem Obst und Gemüse wieder ausgleichen.“ Auf dieser Idee hat die 34-Jährige nicht nur ihren neuen Speiseplan und ihr Leben aufgebaut – darauf fußt auch ihr 200-Millionen-Kronen-Geschäft.

Ihre Anleitung für ein ausgeglichenes Leben ist nicht das, was ihr manche vorwerfen: das Handy wegzuwerfen, frühestens ab 11 Uhr zu arbeiten, nicht zu kochen, Gletscher­wasser zu trinken und mindestens ein halbes Jahr intensiv Sport zu treiben, am besten irgendwo, wo es warm ist, an einem sonnigen Strand. Das tatsächliche Rezept für ein besseres Leben, das sich laut Tereza Havrlandová bald positiv auf den Körper und den Kontostand auswirkt, ist deutlich bescheidener. Es geht vor allem um Arbeit, Disziplin und eine Überzeugung, der man etwas opfern muss.

Was brachte sie zum „Raw Food“ (was übersetzt Rohkost heißt und tatsächlich Essen bezeichnet, das vor allem aus frischen pflanzlichen Zutaten besteht, die bei höchstens 42 Grad Celsius gesund verarbeitet wurden)? Ihre Antwort klingt fast wie ein Monolog auf einem Teleshopping-Kanal: „Als Kind war ich pummelig, schon in jungen Jahren machte ich ständig irgendwelche Diäten. Ich hatte gesundheitliche Probleme, auch mit der Verdauung. Ich war bei vielen Ärzten, aber sie konnten mir nicht helfen.“

Die Therapie, die sie sich selbst verordnete, war ein schritt­weiser und kompletter Neustart. Zuerst verzichtete sie auf ihr geliebtes Hühnerfleisch, mit 22 hörte sie ganz auf, Fleisch zu essen, dann setzte sie im Laufe der Jahre weitere Lebensmittel auf die Liste der verbotenen Stoffe. Dafür verantwortlich ist auch ein wenig ihre Schwester, die ihr aus den USA ein Buch über „Raw Food“ schickte.

In einer Zeit, in der in den Restaurants hierzulande der kulinarische Höhepunkt für Vege­tarier panierter Blumenkohl war, bedeutete das, dass sie auf das ausschweifende Studenten­leben verzichten musste, das ihre Kommilitonen an der juristischen Fakultät der Prager Wirtschaftsuniversität führten – Alkohol trinken und in Kneipen herumsitzen kam nicht mehr in Frage. Ein Nebeneffekt war, dass sie eine Menge Zeit für sich gewann, zum Lesen und Nachdenken. Und auch für Sport und Reisen. Damit beschäftigte sie sich zwei Jahre, als sie Neuseeland, Frankreich und Australien erkundete.

Die Produkte von Lifefood sollen auch „normale“ Kunden ansprechen.

Zur Rückkehr gezwungen
Noch vor zehn Jahren, als sie sich beim Kitesurfen in Australien in die Wellen stürzte, habe sie im Traum nicht gedacht, dass sie Chefin einer großen Firma werden könnte, noch dazu ihrer eigenen. „Meine Fantasie endete damals bei einem eigenen Restau­rant“, erinnert sie sich. Sie hätte wahrscheinlich weiter geträumt, wenn sie sich nicht eines Tages beim Sport eine schwere Verletzung an der Schulter zugezogen hätte, die sie zur Rückkehr nach Tschechien zwang.

Der blaue Horizont wich von einem Tag auf den anderen den grauen Prager Wolken und den langweiligen Monaten der Ge­nesung. Weil ihr außer der Sonne auch das gute Essen fehlte, und weil sie aus Australien sogenannte Superlebensmittel kannte (Lebensmittel mit einem hohen Anteil gesundheitsfördernder Stoffe), kam sie auf die Idee, diese zu importieren. In begrenzten Mengen für sich und ihre Freunde, das war der Plan. Damit wollte sie ihren Lebensunterhalt verdienen, im Idealfall etwa 15.000 Kronen (etwa 550 Euro) im Monat, mehr hätte sie nicht gebraucht.

Bis 2011 verdiente sie aber keine einzige Krone. „Das war ein Plus-Minus-Null-Geschäft. Was ich einnahm, gab ich sofort wieder für weitere Waren aus.“ Es war sogar noch ein wenig schlimmer – Havrlandová verschuldete sich ziemlich. Warum sie nicht aufhörte? „Ich konnte nicht einfach aussteigen. Ich musste eine Menge Geld zahlen, also habe ich immer wieder etwas Neues ausprobiert.“

Heute macht ihr Unternehmen Lifefood 214 Millionen Kronen (knapp acht Millionen Euro) Umsatz, hat mehr als 100 Angestellte und exportiert nach Großbritannien, Deutschland, Italien und Polen – insgesamt in 30 Länder. Den Durchbruch brachte letztendlich die Herstellung eigener Produkte, die 2007 begann. Tereza hatte in Australien viele Snacks probiert, kleine Mahlzeiten für zwischendurch, die sie ausgezeichnet fand. Aber ihr war klar: Wenn sie die importieren wollte, wären die Preise so hoch, dass die Kunden hierzulande sie nur ausgelacht hätten. „Die einzige Möglichkeit war, selbst zu produzieren.“ Doch damit begannen die nächsten Probleme.

„Mein Unternehmen war auf einmal nicht mehr ich allein. Ich habe eine halb verfallene Bäckerei im Prager Stadtzentrum gemietet, die ich zu einer Trockenanlage für Kekse umbaute, und ich stellte die ersten Mitarbeiter ein.“ Die Lage war dramatisch. Havrlandová arbeitete 16 Stunden täglich und nachts wachte sie mit Angstschweiß auf, weil sie nicht wusste, ob sie genug verdienen würde, um die Löhne und Rechnungen zu zahlen.

Wahrscheinlich hätte das alles ein schlechtes Ende genommen, wenn Tereza nicht den bewundernswerten Willen hätte, sich in Wellen zu stürzen, die ihr bis über den Kopf reichen. Und wenn sie nicht das Glück gehabt hätte, auf einen Investor aus Deutschland zu treffen, der ihr dabei half.

Das Ergebnis ist die Firma, an der Havrlandová noch immer die Mehrheit hält und die ihren Umsatz jedes Jahr steigert.

Die Rezepte denken sie sich bei Lifefood selbst aus. Der Entwicklung neuer Produkte widmen sie viel Aufwand, manchmal dauert es Monate. Die Snacks und Kekse des Unternehmens sind mittlerweile im Handel erhältlich, zum Beispiel in den Drogerie­märkten von dm in Österreich und Serbien. Auch eine holländische Kette hat sie im Angebot. In Tschechien bekommt man sie vor allem in Reformhäusern und Bioläden, aber Gespräche werden gerade auch mit einer wichtigen Einzelhandelskette geführt.

Am besten verkaufen sich angeblich Energieriegel, auch wenn der Markt schon voll mit solchen Produkten ist. „Von der Rohkost-Community allein können wir nicht leben“, sagt Havrlandová. Ihre Produkte hätten zwar Rohkost-Qualität, zielten aber eher auf „Mainstream-Kunden“ ab, auf „normale Menschen, die sich Gedanken darüber machen, was sie essen“.

Kein offizielles Siegel
In den Jahren, in denen sie sich nun mit gesunder Ernährung befasst, seien ihr alle Versuche, die Menschen in Schubladen zu stecken, lächerlich vorgekommen, sagt die Unternehmerin. „Die Menschen in Rohkostesser und Nichtrohkostesser einzuteilen, ist unnatürlich. Auch wenn jemand es noch so sehr will, kann er kein hundertprozentiger Rohkos­tesser sein. Wer sein Essen nicht selbst zuhause zubereitet, dem kann es leicht passieren, dass er etwas für Rohkost hält, was es gar nicht ist.“

Im Unterschied zu Bio- gibt es nämlich bei Raw-Produkten keine offiziellen Siegel. Die Hersteller geben auf der Ver­packung oft etwas an, was nicht ganz der Wahrheit entspricht. „Weil es keine Vorschriften gibt, verschweigen sie zum Beispiel, dass die Cashewnüsse, die sie verwenden, nicht kalt geschält wurden“, sagt Tereza. Bei ihren eigenen Produkten ist sie streng. Die Zulieferer der Rohstoffe aus aller Welt sucht sie selbst aus und kontrolliert sie mehrfach. Sie weiß, was man für welchen Preis zubereiten kann.

Weil Havrlandová ein immer breiteres Publikum ansprechen will, sehen ihre Produkte teilweise so aus, wie man es hierzulande gewohnt ist. Neben Proteinmischungen, Süßwasseralgen und gemahlenen Affenbrotbaumfrüchten findet man auch „normale“ Schokolade, Chips und Würste, jedoch aus entsprechenden Zutaten. „Die Leute sind vorsichtig. Oft können sie sich nicht vorstellen, wie man diese Sachen isst, deshalb versuche ich, das zu vereinfachen“, erklärt Tereza und zeigt ihren neuesten Hit – eine Rohkost-Wurst, die in Großbritannien für den Preis „Innovativstes Produkt des Jahres“ nominiert wurde.

„Doch wir sind nun mal in Tschechien und es ist mir hier schon passiert, dass eine Frau zu mir kam, um zu fragen, wie oft sie unsere Kekse pro Tag einnehmen soll.“ Die „orthodoxe Rohkost-Gemeinde“, falls man sie überhaupt so nennen könne, zähle in Tschechien etwa 30.000 Anhänger, sagt Havrlandová, zumindest nach der Größe entsprechender Facebook-Gruppen zu urteilen. Selbst wenn das stimmen würde, wären es zu wenig potenzielle Kunden, meint sie; und die Zahl hält sie für übertrieben.

Unsinn ist ihrer Meinung nach auch das Argument, wer „raw“ lebe, ernähre sich nicht ausgewogen. „Im Gegenteil. Die Leute achten sehr genau darauf, was sie in welchen Mengen konsumieren. Fragen Sie doch mal jemanden, der typisch tschechisch isst, wie viele Kalorien er bei einer Mahlzeit zu sich genommen hat und woraus genau sein Gericht bestand.“ Wer darüber mit Tereza diskutiert, begibt sich auf dünnes Eis. Sie ernährt sich seit mehreren Jahren ausschließlich „raw“. Eine Weile lehnte sie es sogar ab, jegliches in der Zivilisation zugängliche Wasser zu trinken. Stattdessen aß sie mehr Obst, das auch Wasser enthält. Mittlerweile trinkt sie wieder Wasser, allerdings gefiltert, damit es kein Chlor oder andere Stoffe enthält. Wenn sie gefragt wird, ob sie auch konventionelle Speisen ist, grübelt sie ein bisschen, dann nennt sie gekochte Kartoffeln und gegrillte Aubergine. Aber danach hört ihre Kompromiss­bereitschaft auch bald schon wieder auf.

Ein Handy besitzt sie zwar, doch sie versucht, es möglichst wenig zu gebrauchen. Und im Büro nutzt sie kein drahtloses Internet. Im Winter verlegt sie ihren Arbeitsplatz regelmäßig für drei Monate nach Brasilien, wo sie im Ozean Kitesurfen kann. „Genau wie in Prag arbeite ich auch dort acht Stunden am Tag, mit meinen Mitarbeitern bin ich über Skype in Kontakt. Ich muss mich jeden Tag darum kümmern, dass die Firma läuft.“ Die Technologie betrachtet sie dabei als notwendiges Übel – genau wie das Fliegen.

Der Artikel erschien zuerst auf Tschechisch im Magazin „Reportér“ (September 2016). Übersetzung: Corinna Anton