Genesung unter Kontrolle

Genesung unter Kontrolle

Kranke Arbeitnehmer dürfen das Haus nur auf Verschreibung des Arztes verlassen

20. 8. 2014 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Com Salud

Bettruhe und Kamillentee oder doch ein wenig Bewegung an der frischen Luft? Wer in Tschechien krankgeschrieben ist, sollte sich das gut überlegen. Kranke müssen jederzeit zu Hause erreichbar sein oder unter einer anderen Adresse, die sie vorher melden. Eine Erlaubnis für „Spaziergänge“ gibt es höchstens sechs Stunden am Tag auf Verschreibung des Arztes. Ob die Regeln eingehalten werden, überwachen die Mitarbeiter der Sozialversicherung. Allein im ersten Halbjahr 2014 führten sie 88.469 Kontrollen durch. Etwa jeder siebte Versicherte bekam während seiner Krankenzeit Besuch von einem Inspektor. 1.460 Menschen wurde das Krankengeld gekürzt oder gestrichen, weil die Kontrolleure sie nicht angetroffen haben.

Hana Nykličková will das nicht riskieren. Nach einer Operation ist sie mehrere Wochen krankgeschrieben, der Arzt hat angeordnet, dass sie sechs Stunden pro Tag das Haus verlassen darf, und zwar zwischen 12 und 18 Uhr. „Bisher kam noch kein Kontrolleur“, erzählt die 47-Jährige. Dennoch muss sie jederzeit damit rechnen, dass jemand an der Tür klingelt, um zu überprüfen, ob sie sich auskuriert. „Nach einer Operation ist das meiner Meinung nach totaler Blödsinn. Manchmal geht es mir vormittags besser, aber da darf ich das Haus nicht verlassen. Nachmittags dürfte ich, aber dann fühle ich mich wieder schlechter oder das Wetter spielt nicht mit.“

Offizielle Stellen sehen darin kein Problem. Wer Krankengeld bezieht, müsse sich an die Regeln halten und Kontrollen ermöglichen, heißt es bei der Sozialversicherung. Eine Sprecherin verweist auf die „Spaziergänge“. In Ausnahmefällen und mit vorheriger schriftlicher Genehmigung durch die Behörden dürfe der behandelnde Arzt auch erlauben, dass schwer kranke Menschen selbst bestimmen, wann sie das Haus für ein paar Stunden verlassen, heißt es in einer Mitteilung der Sozialversicherung. Wer kontrolliert wird, bestimmen die Mitarbeiter der Behörde selbst, sie können aber auch auf Anregungen des Arztes oder des Arbeitgebers reagieren. Letzterer kann sich in den ersten beiden Wochen sogar selbst mit einem Hausbesuch vergewissern, ob sich sein Mitarbeiter um Genesung bemüht.

Dass das wirklich nötig ist, bezweifelt Hana Nykličková. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass so viele eine Krankheit vortäuschen. Und es lässt sich ja wohl niemand freiwillig operieren, nur damit er krankgeschrieben wird.“ Zumal es sich in Tschechien auch finanziell nicht lohnt, krank zu sein. Wer ein bis drei Tage nicht arbeiten kann, bekommt für diese Zeit keinen Lohn. Wer nur ein Kratzen im Hals und ein bisschen Schnupfen hat, muss also finanzielle Einbußen in Kauf nehmen, wenn er sich schonen will. Viele riskieren daher lieber, dass es schlimmer wird und der Arzt sie länger krankschreibt. Vom vierten bis zum 14. Kalendertag haben Kranke Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber. Allerdings beläuft sich diese auf lediglich rund 50 Prozent des Gehalts und wird nur für Arbeitstage gewährt. Ab der dritten Woche schließlich greift das staatliche Krankengeld. Es ist ungefähr so hoch wie die Lohnfortzahlung und wird auch für Wochenend- und Feiertage gezahlt.

Dass die Tschechen oft blaumachen ist auch einer aktuellen Umfrage zufolge nicht anzunehmen. Im Gegenteil: Die Erhebung des Internetportals Profesia.cz ergab Anfang des Jahres, dass jeder zweite Tscheche sich wegen des drohenden Verdienstausfalls krank zur Arbeit schleppt und Verständnis für Kollegen hat, die angeschlagen ins Büro kommen, weil sie den Verdienstausfall nicht in Kauf nehmen wollen.

VIELE FEHLTAGE

Wenn Arbeitnehmer in Tschechien krank werden, dann richtig. 43 Tage sind Kranke im vergangenen Jahr im Durchschnitt ausgefallen. Der Sozialversicherung zufolge ist die Zahl im Vergleich zu 2012 um zwei Tage zurückgegangen. Im Verhältnis zu Angaben aus anderen Ländern erscheint sie dennoch auffallend hoch. In Deutschland etwa waren Arbeitnehmer 2012 im Schnitt 12,2 Tage krankgemeldet, wie die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in ihrem jüngsten Bericht schreibt. Allerdings sind die Angaben aus unterschiedlichen Ländern nur bedingt vergleichbar, weil ihnen nicht dieselben Definitionen und Methoden zugrunde liegen.

Messen lässt sich jedoch, dass die Tschechen immer länger fehlen. 1993 fielen Angestellte im Schnitt noch 23,2 Tage wegen Krankheit aus. Um das zu ändern, wurde 2008 erstmals die „Kadenzzeit“ eingeführt wurde – die Regelung, nach der in den ersten drei Tagen kein Lohn gezahlt wird. Kurz darauf wurde sie vom Verfassungsgericht gekippt, seit Januar 2009 gilt sie allerdings wieder.