Zu viele Anträge

Zu viele Anträge

Immer mehr Menschen beziehen Sozialleistungen. Doch die Arbeitsämter haben kaum Zeit für Kontrollen

6. 8. 2014 - Text: Corinna AntonText: ca/čtk; Foto: MPSV

Mindestens fünf bis zehn Prozent der Menschen, die Sozialleistungen vom Arbeitsamt erhalten, beziehen Gelder zu Unrecht. Diese Zahlen nannte kürzlich Marie Bílková, Generaldirektorin des Arbeitsamtes, im Tschechischen Fernsehen. Besonders häufe sich der Missbrauch bei Geldern, die im Falle materieller Not gezahlt werden, sagte Bílková. Sie umfassen die Hilfe zum Lebensunterhalt, Wohngeld sowie außerordentliche Soforthilfen. Ob die staatlichen Hilfen zu Recht gezahlt werden, sollen eigentlich die Sozialarbeiter kontrollieren, die bei den Arbeitsämtern beschäftigt sind. Doch bisher reicht ihnen die Zeit dafür nicht.

Die genannten fünf bis zehn Prozent seien die untere Grenze, erklärte die Chefin des Arbeitsamtes: „Wenn die Kollegen einmal dazu kommen, Überprüfungen durchzuführen, so zeigen die Erfahrungen, liegen die Zahlen deutlich höher – vor allem in den Regionen, in denen es viele Unterkünfte gibt und große Anonymität herrscht.“ Das gelte etwa für die Kreise Ústí nad Labem, Liberec und Mährisch-Schlesien.

Landesweit hat die Zahl der Menschen, die finanzielle Hilfe vom Arbeitsamt erhalten, in den vergangenen Jahren stark zugenommen: Während die Ämter im Dezember 2011 noch in etwa 135.600 Fällen Zuschüsse in Höhe von 461 Millionen Kronen gezahlt hatten, waren es im März dieses Jahres 980 Millionen Kronen in 247.600 Fällen. Einen sprunghaften Anstieg gab es laut Bílková zuletzt vor allem beim Wohngeld. Die Gesamtsumme, die dafür gewährt wurde, stieg 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent. Ende 2011 hatten diese Zulage noch etwa 27.200 Empfänger bezogen, im März 2014 waren es 74.800. Der Anstieg ist Bílková zufolge nicht nur auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen, sondern auch darauf, dass die Arbeitsämter zu wenig Zeit haben, die Anträge zu überprüfen.

Diese berichten schon länger, dass sie mit der Kontrolle nicht nachkommen. Die Arbeitsämter führten zu Beginn des Jahres eine Untersuchung durch, bei der sie feststellten, dass bis zu 50 Prozent ihrer Unterlagen nicht mit den Informationen ihrer Klienten übereinstimmten. „Wir haben keine Chance zu überprüfen, ob das, was die Menschen beim ersten Mal angegeben haben, immer noch stimmt“, hatte Bílková damals bereits beklagt, für die Arbeit mit den Klienten bleibe kaum noch Zeit.

Im Schnitt gäbe es in jedem vierten Fall Widersprüche zwischen den Unterlagen und den Angaben der Klienten, heißt es nun in einer Mitteilung des Arbeitsministeriums an die Regierung. Die ist den Forderungen der Arbeitsämter mittlerweile entgegengekommen – allerdings nur halb: Man brauche 1.200 Fachkräfte, um die Missstände zu beheben, hatten die Arbeitsämter bereits im Januar gefordert. Die Regierung hat der Einstellung von 600 zugestimmt. Sie werden derzeit bereits gesucht und eingestellt. Künftig sollen sie unter anderem kontrollieren, ob Empfänger von Bezügen auch weiterhin Anspruch auf die Gelder haben, die sie schon eine Weile beziehen.

Das Arbeitsministerium hofft, dass sich die zusätzlichen 600 Beschäftigten für den Staat schnell lohnen: Wenn fünf bis zehn Prozent der ausgezahlten Leistungen eingespart werden könnten, weil die Empfänger tatsächlich keinen Anspruch darauf haben, sollen die Kosten für die neuen Mitarbeiter schon binnen eines Jahres wieder ausgeglichen sein. Ob es dabei bleibt oder noch mehr Fachkräfte eingestellt werden, darüber will die Regierung noch in diesem Jahr verhandeln.

Sozialhilfe: Wer bekommt wie viel
Eine Person oder eine Familie ist in materieller Not, wenn sie nicht über genügend Einkommen verfügt und ihre Lebensumstände es ihr nicht ermöglichen, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. So definiert es das Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten. Eine weitere Bedingung ist, dass die Person oder Familie nicht in der Lage ist, ihre Situation aus eigener Kraft zu verbessern. Der Mindestbedarf (Životní minimum) liegt in Tschechien bei 3.410 Kronen (rund 124 Euro) pro Monat für Alleinstehende und 10.560 Kronen (385 Euro) für eine Familie mit zwei Kindern. Für arbeitsfähige Menschen unter 68 Jahren gilt das Existenzminimum (Existenční minimum). Es beträgt 2.200 Kronen (etwa 80 Euro) pro Monat und wurde eingeführt, „um die Motivation für Erwachsene in materieller Not zu steigern“, wie es das Ministerium formuliert. Nicht enthalten sind in diesen Sätzen die Kosten für Wohnen. Wohngeld können Menschen beantragen, deren Einkommen nicht ausreicht, um „angemessene Kosten“ für eine Wohnung zu decken.   (ca)