Modernisierung mit Hindernissen

Modernisierung mit Hindernissen

Vor dem Sudetendeutschen Tag sorgt ein Richtungsstreit für dicke Luft in der Landsmannschaft

13. 5. 2015 - Text: Petr JerabekText: Petr Jerabek; Foto: čtk/DPA/Daniel Karmann

Menschen in farbenfrohen Trachten, zünftige Blasmusik und bayerische Spitzenpolitiker am Rednerpult vor bunten Heimatfahnen: Die Bilder vom 66. Sudetendeutschen Tag werden wohl jenen aus den Vorjahren gleichen, dennoch steht das Pfingsttreffen dieses Mal unter heiklen Vorzeichen. Ausgerechnet in diesen Wochen, in denen an den Beginn der Vertreibung vor 70 Jahren erinnert wird, ist innerhalb der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) ein Richtungsstreit ausgebrochen. Die Harmonie des Sudetendeutschen Tags in Augsburg ist in Gefahr.

„Die Stimmung in meiner Bezirksgruppe und in allen Kreisgruppen ist katastrophal“, sagt der Vorsitzende der SL in Oberbayern, Johann Slezak. „Ich rechne mit einem unruhigen Sudetendeutschen Tag.“ Slezak gehört zu einer Gruppe von Verbandsfunktionären, die sich gegen eine vor wenigen Wochen beschlossene Satzungsänderung auflehnen und gegen die SL-Spitze Stimmung machen. Auch auf dem Pfingsttreffen will er mit seinen Mitstreitern „deutliche Zeichen setzen“.

Die SL-Bundesversammlung hatte Ende Februar mit einer Mehrheit von mehr als 70 Prozent eine Änderung der Satzung beschlossen. Danach werden die Abschnitte gestrichen, in denen von der „Wiedergewinnung“ der Heimat und dem „Recht auf Rückgabe (…) des konfiszierten Eigentums“ die Rede ist.

Blick nach vorn

Mit Bernd Posselt steht erstmals ein Volksgruppensprecher an der Spitze der Sudetendeutschen, der die Vertreibung selbst nicht erlebt hat. Der CSU-Politiker arbeitet eifrig daran, das Image der Landsmannschaft aufzupolieren und den Verband für eine Zukunft ohne Erlebnisgeneration aufzustellen.
So will er auch das neue Grundsatzprogramm verstanden wissen, das gleichzeitig mit der Satzungsänderung beschlossen wurde: Es sei „geeignet, künftige Generationen anzusprechen und die verletzte Würde der Erlebnisgeneration einer breiteren, nicht betroffenen Öffentlichkeit verständlich zu machen“, sagt er. Die Formulierung „Wiedergewinnung der Heimat“ stamme aus den fünfziger Jahren und könne missverstanden werden „als Grenzänderung oder als kollektive Rücksiedlung“, betont Posselt. „Und das hält sowieso kein vernünftiger Mensch für möglich oder erstrebenswert.“

Die Satzungsänderung brachte der Landsmannschaft über Parteigrenzen hinweg viel Zustimmung in Deutschland und in Tschechien ein. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wertete Mitte März in einem Interview mit der „Prager Zeitung“ den „Verzicht der Sudetendeutschen auf Restitution und Entschädigung“ als „wahrhaft historisch“.

Post für Seehofer

In Teilen der Landsmannschaft aber löste der Beschluss Unmut aus. Unter der Führung der Bezirkschefs von Oberbayern und Schwaben, Slezak und Felix Vogt-Gruber, formierte sich Widerstand. „Die Mehrheit der Sudetendeutschen ist keineswegs bereit, auf Restitution oder Entschädigung ihres völkerrechtswidrig konfiszierten Eigentums zu verzichten“, argumentierte Slezak. Und Vogt-Gruber klagte in einem Brief an schwäbische Vertriebene: „Die Rechte der Sudetendeutschen werden abgeschafft.“ Die neue Satzung wollen sie gerichtlich stoppen.

Nicht nur gegen Posselt, auch gegen Seehofer richtet sich die Wut der Modernisierungsgegner. Wegen seiner Äußerung in der „Prager Zeitung“ gehen sie sogar juristisch gegen den Ministerpräsidenten vor. Seehofer verbreite eine Unwahrheit, wenn er vom Verzicht der Sudetendeutschen auf Entschädigung spreche, so die Argumentation. In der Staatskanzlei ging ein Anwaltsschreiben ein, in dem Seehofer eine „unwahre Tatsachenbehauptung“ vorgeworfen und von ihm eine Unterlassungserklärung gefordert wird.

Man habe jenem Anwalt kürzlich mitgeteilt, „dass die geforderte Unterlassungserklärung nicht abgegeben wird, weil ein Unterlassungsanspruch nicht gegeben ist“, sagt Staatskanzleisprecher Rainer Riedl auf Anfrage. Zugleich versichert er, dass sich der Ministerpräsident als Schirmherr der Sudetendeutschen weiter nachhaltig für die Belange dieser Volksgruppe einsetzen werde. Seehofer wird am Pfingstsonntag einmal mehr als Hauptredner auf dem Sudetendeutschen Tag erwartet.

Zemans Spott

Das Treffen steht unter dem Motto „Menschenrechte ohne Grenzen“. Der 70. Jahrestag der Vertreibung ist für die Sudetendeutschen laut Posselt nicht nur Anlass zur Rückschau, „sondern auch eine Verpflichtung, uns ganz intensiv mit dem Ungeist der Vertreibungen heute zu beschäftigen“. Derzeit gebe es mehr Kriege und mehr Vertriebene als jemals seit dem Zweiten Weltkrieg. Daher lädt die Landsmannschaft unmittelbar vor dem Pfingsttreffen zu einem „Sudetendeutschen Menschenrechtskongress“ nach Augsburg ein.

Ein spöttischer Kommentar zur Satzungsänderung kam indes vom tschechischen Präsidenten Miloš Zeman: Die Landsmannschaft sei eine „völlig bedeutungslose Vereinigung, die ihren Einfluss verliert“ und sogar ihre territorialen Ansprüche habe aufgeben müssen, sagte er. Posselt wertet den Angriff als Auszeichnung: „Ich empfinde es als Kompliment, wenn Staatspräsident Zeman über die Satzungsänderung eines Vereins herzieht, den er eigentlich für unbedeutend hält.“