Blick in die Presse

Blick in die Presse

Tschechische Pressekommentare zu Merkels Dominanz in der EU, zur Fremdenfeindlichkeit der Tschechen und zur Griechenlandkrise

26. 2. 2015 - Text: Josef FüllenbachTextauswahl und Übersetzung: Josef Füllenbach

Traum erfüllt | Die Prager „Lidové noviny“ konstatiert, dass sich der Traum von der einen Telefonnummer für Europa erfüllt hat: „Es ist die Nummer der deutschen Kanzlerin, die heute formell und informell über alles Wichtige entscheidet, von Griechenland bis zur Ukraine.“ Das habe aber auch seine Schattenseiten. Man stelle sich eine „Situation vor, in der jeder wüsste, dass die wichtigste Person in den USA der Gouverneur von Texas ist. (…) Europa hat mit der Gewichtsverschiebung zu Merkel zu verstehen gegeben, dass die Integration beendet ist. (…) Falls Merkel Ambitionen hätte, Präsidentin der EU-Kommission zu werden, wäre das ein Signal, dass es Europa mit der Integration ernst meint. Wenn der Kommissionschef ein Politiker des kleinsten Landes wird, dann wird seine Bedeutung entsprechend eingeschätzt (…) Die EU ist so aufgestellt, dass die kollektive Entscheidungsfindung die Kleineren und Schwächeren schützt. Die volle Übergabe der wirklichen Führung und Vertretung nach Berlin stört dieses Gleichgewicht. (…) Deutschland ist nicht nur am größten und stärksten, sondern auch reichlich eigenartig und sonderbar.“ Dazu zählten die Wichtigkeit von Exporterfolgen für das nationale Prestige und die fehlende Einsicht, dass Exporte für andere notwendig Importe bedeuten; ferner der deutsche Pazifismus: „Wäre es nicht besser, wenn der, der führt und repräsentiert, auch mehr mit militärischer Stärke drohen könnte?“ Und nicht zuletzt das merkwürdige deutsche historische Bewusstsein, „dass wir es mit den Russen doch noch immer hinbekommen haben. (…) Falls die Deutschen das Gefühl haben, es mit den Russen zu können, gilt das leider auch umgekehrt. Es ist von Anfang an das Ziel Chinas und Russlands, direkt mit Berlin zu verhandeln und die EU zu ignorieren und zu schwächen. Wenn die EU darauf eingeht, handelt sie nach dem chinesisch-russischen Drehbuch.“

Seelenzustand | Die Tageszeitung „Právo“ empfindet „den tschechischen Widerwillen gegen Immigranten als offensichtlich kontraproduktiv, weil unser Land wegen der niedrigen Geburtenrate rasch in eine demographische Falle gerät, in der es schwer sein wird, die Renten- und Sozialsysteme zu finanzieren. Schon heute gibt es ganze Wirtschaftszweige, zum Beispiel das Bauwesen, die ohne die Arbeit der ‚billigen’ Einwanderer ernste Probleme hätten. Unsere Immigranten belasten auch nicht besonders das Sozialsystem, noch stellen sie eine dominante Quelle von Gewalt oder gar Terrorismus dar. Noch ‚interessanter’ ist, wie die Tschechen auf der Hut sind vor den Zuwanderern aus der EU, wo doch bislang aus den anderen EU-Ländern durchweg vermögendere und besser ausgebildete Menschen zu uns kamen, die häufig für bedeutende internationale Firmen arbeiten. Also Leute, die bei uns Arbeitsplätze für viele Tschechen schaffen. (…) Die Ergebnisse sagen daher viel mehr über den Zustand der ‚tschechischen Seele’ aus als über reale mit der Zuwanderung verbundene Bedrohungen oder Probleme.“

Trunkenbolde im Gasthaus | Das Wochenmagazin „Respekt“ versucht eine vorläufige Bilanz der Krise um Griechenland: „Für die Zukunft Europas ist es günstig, dass die Taktik von Syriza nicht aufgegangen ist. Hätten die Populisten ihr Ziel erreicht, drohte der Union eine Reihe anderer radikaler Parteien, die gemäß dem neu erprobten Rezept mit dem symbolischen Revolver in der Hand zu Verhandlungen in der EU kommen würden. Der Zusammenstoß mit Syriza ist ein Muster dafür, wie die europäische Zusammenarbeit nicht funktionieren darf. Europa kann es sich nicht erlauben, vom Prinzip der Kompromisslösungen überzugehen zu einseitigen Angriffen mit einer hasserfüllten Rhetorik. In diesem Sinne ist es auch gut zu begreifen, dass der größte Feind Griechenlands heute nicht Deutschland und weitere Gläubiger sind, sondern seine eigenen populistischen Politiker, die es mit unerfüllbaren Versprechungen überhäufen. Griechenland löst seine ökonomischen Schwierigkeiten nicht dadurch, dass es über deren Ende bei Wahlen abstimmt, ebenso wenig wie Trunkenbolde im Gasthaus ihre Biere nicht durch Akklamation für bezahlt erklären können.“