Blick in die Presse

Blick in die Presse

Tshcechische Pressekommentare zur Wahl in Griechenland, zum anstehenden Referendum in der Slowakei und zu ein Jahr Regierung Sobotka

4. 2. 2015 - Text: Josef FüllenbachTextauswahl und Übersetzung: Josef Füllenbach

Unzivilisiert | Die Tageszeitung „Právo“ findet, dass „am Aufstieg der radikalen Linken in Griechenland und Spanien auch die europäische sozialdemokratische Linke ihren Teil Schuld trägt. Sie antwortete nämlich seit dem Ende der bipolaren Welt und der dann folgenden beschleunigten Globalisierung des korporativen Kapitalismus unter dem Taktstock der liberalen Philosophie mit keiner radikaleren Lösung der sich auftürmenden Probleme. (…) Darauf hätte die europäische demokratische Linke schon lange entschieden reagieren können und sollen. Ob es ihr gelungen wäre, wirksame Gegenmaßnahmen im Ringen mit der europäischen Rechten durchzusetzen, ist natürlich nicht sicher, aber sie hat es nicht einmal versucht. Änderungen im nicht funktionierenden internationalen Finanzsystem werden sich nun wohl nicht auf organisierte und zivilisierte Weise und vielfach nicht einmal demokratisch abspielen.“

Unverantwortlicher Solitär | Das Wochenmagazin „Echo“ resümiert das erste Jahr der Sobotka-Regierung: „Eine so beliebte Regierung hatte Tschechien schon lange nicht mehr. Nach einem Jahr im Amt vertraut den Ministern fast die Hälfte der Bevölkerung, zwei Drittel würden bei Wahlen für die Regierungsparteien ČSSD, ANO und Volkspartei stimmen. Der Grund liegt darin, dass die Regierung jedweder unpopulären Maßnahme ängstlich ausweicht. Der Prüfungstermin, an dem sich zeigen wird, wie fähig die Leute sind, die Tschechien regieren, rückt aber unaufhaltsam näher. (…) Der Kampf gegen die Korruption zählte zu den wichtigsten Wahlversprechen aller Koalitionsparteien, zu deren Erfüllung aber rührten die Minister keinen Finger – oder rührten sie nur sehr wenig.“ Außer einer Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments „endeten alle anderen diesbezüglichen Pläne mit einem Fiasko oder der Verschiebung auf unbestimmte Zeit. Das Gesetz über den Öffentlichen Dienst wurde in einer Version verabschiedet, die der Vorgabe widerspricht, dass die Beamten von den Politikern unabhängig sein sollen. Von der Schlussfassung distanzierte sich auch Minister Dienstbier (ČSSD), den seine Kollegen seither als unverantwortlichen Solitär ansehen, allerdings ließ sich auch die Europäische Kommission vernehmen, die es ablehnt, dem Plan der Nutzung der europäischen Fonds für die Jahre 2014 bis 2020 zuzustimmen, sofern das Gesetz keiner gründlichen Revision unterzogen wird.“

Unappetitliche Debatte | Das bevorstehende Referendum in der Slowakei über Ehe und Familie geißelt die Wochenzeitung „Respekt“ mit scharfen Worten: „Das Entsetzen der liberalen Minderheit über das Niveau der Debatte lässt sich gut verstehen. In einer Gesellschaft, die sich noch nicht richtig mit ihrer Verantwortung für den Holocaust auseinandergesetzt hat, der von dem damaligen selbständigen slowakischen Staat mit reichlicher Unterstützung der katholischen Kirche organisiert wurde, wird erneut eine Minderheit als Geschwür am Körper der Nation gezeichnet. Und die katholische Kirche stützt den Zug gegen die Homosexuellen aus dem Hintergrund mit einer Verve, die eine Deutung durch einen Psychoanalytiker verdiente. (…) Trotz der unappetitlichen Debatte voller Lügen und Demagogie erlebt die slowakische Gesellschaft allerdings auch eine andere Erfahrung: Nie hat sich in den slowakischen Medien und sozialen Netzen eine solch mächtige Woge von Meinungen erhoben, die Menschenrechte und Gleichstellung verteidigen. Es ist nur ein scheinbares Paradox. Es kann noch dazu kommen, dass die Gesellschaft aus diesem Zivilisationszusammenstoß besser und freier hervorgeht, als sie vorher war.“