Blick in die Presse

Blick in die Presse

Tschechische Pressekommentare zu den Russland-Sanktionen, zur Lage im Nahen Osten und zur Schließung des Delikatessen-Kaufhauses Julius Meinl in Prag

8. 10. 2014 - Text: Josef FüllenbachTextauswahl und Übersetzung: Josef Füllenbach

Wurststand | Das Wirtschaftsmagazin „Ekonom“ bemerkt zu der vor allem von Äußerungen Präsident Zemans angefachten Debatte über die Sanktionen gegen Russland: „Wir hören oft, dass die Sanktionen gegen Russland unwirksam sind. Das ist möglich, aber mit einem ausreichenden Maß an Gewissheit werden wir das erst nach geraumer Zeit feststellen (hundertprozentig wohl nie). Sanktionen müssen sich nämlich nicht sofort bemerkbar machen. Der Rubel und die Moskauer Börse können zwar gleichsam als Barometer der künftigen Entwicklung rasch reagieren, aber Probleme wird die russische Wirtschaft hauptsächlich erst dann zu spüren bekommen, wenn die mit Sanktionen belegten Unternehmen ihre Schulden refinanzieren oder für neue Vorhaben Kredite aufnehmen wollen. Ebenso werden sich verschlechterte Fähigkeiten der Rohölförderung als Folge der Unterbindung des Technologietransfers erst nach einigen Jahren zeigen. Kurz – die russische Wirtschaft ist ein sehr komplizierter Organismus und eine Reihe, wenn nicht die Mehrheit, ökonomischer Maßnahmen kommt erst nach einiger Zeit zum Tragen. Wenn wir übrigens auf dem Wenzelsplatz einen Wurststand eröffnen, werden wir auch nicht schon in Monatsfrist zu einem Schluss kommen, ob das eine gute oder schlechte Investition war.“

Abrahams Kinder | Die Wochenzeitschrift „Katolický týdeník“ schaut mit Sorge in den Nahen Osten, wo der „Islamische Staat“ immer mehr an Boden gewinnt: „Die Ankündigung, dass es keinen militärischen Einsatz auf dem Boden geben wird, aber die Bombardierungen lange dauern werden, wird nur dazu führen, dass sich die ohnehin schon großen Emigrationswellen noch weiter verstärken. Die Flüchtlingslager im Nahen Osten aber platzen aus allen Nähten, und die Bereitschaft der westlichen Länder, weitere Tausende Flüchtlinge aufzunehmen, erlahmt. Ist die Zeit jetzt nicht reif dafür, diese Verantwortung an die Vereinten Nationen zu übertragen und für Bodenoperationen ihr Mandat zu gewinnen? Denn das ist doch gerade ein wertvolles Beispiel, bei dem sich die Mitglieder des Sicherheitsrats einigen könnten. Auf diese Weise sollte nicht nur die Kriegsagenda diskutiert werden, das heißt wie der Islamische Staat niederzuringen ist, sondern auch die Friedensagenda, wie sich die ganze Region am besten befrieden lässt. Damit die Kinder Abrahams hier erneut in Frieden zusammenleben und die Zivilisation von Neuem sprießen kann.“

Ramschware | Die Prager „Hospodářské noviny“ bezweifelt die vom Geschäftsführer des Luxuskaufhauses für Lebensmittel „Julius Meinl“ gegebene Erklärung für die Betriebsschließung nach nicht einmal einem Jahr, dass es in Prag „nicht genügend Interessenten für Qualitätslebensmittel gibt“. Es habe vielmehr „der gesunde Verstand gesiegt“ und sich gezeigt, dass „sich in Tschechien die Leute mit überdurchschnittlichem Einkommen nicht für dumm verkaufen lassen“. Der Misserfolg von „Julius Meinl“ könne „für die Geschäftsleute eine Lehre sein, dass auch in Tschechien ein normaler Lebensmittelmarkt entstehen könnte. Ein solcher, auf dem Qualitätsware nicht mit Luxus gleichgesetzt wird und nicht automatisch bedeutet, dass sie überteuert ist. Bloß ein wenig teurer als der Durchschnitt. Aber bis dies geschieht, bleiben wir auch weiterhin in dem Teil Europas, in dem wir schon vor fünfundzwanzig Jahren nicht sein wollten. Der ist heute schon nicht mehr politisch definiert, sondern ökonomisch. Als Paradies billiger Ramschware.“