Klänge aus einer anderen Welt

Klänge aus einer anderen Welt

Sascha Reckert ist einer von ganz wenigen Glasharmonikaspielern. Für „Lípa Musica“ kommt er nach Tschechien

13. 10. 2016 - Text: Jan NechanickýText: Jan Nechanický; Foto: Lípa Musica

Sascha Reckert hat besondere Talente. Er ist Erfinder, Helfer, Radfahrer und Musiker. Zu einem solchen Mann passt ein besonderes Instrument. Ein Instrument, das heute kaum noch jemand kennt, das aber einst eine wichtige Rolle in der Musikwelt spielte – die Glasharmonika.

Als Student leitete Reckert in Münster ein Musiktheater und suchte für die Produktion nach einer außergewöhnlichen Musik. Bei seiner Recherche entdeckte er eine Schallplatte, auf der Klänge einer sogenannten Glasharfe aufgenommen waren. Was er hörte, überzeugte ihn. Genau solche Töne brauchte das Theater. Doch die Schallplatte war die einzige Spur, die die Glasklänge hinterlassen hatten. Es gab keine Instrumente aus Glas mehr und auch niemanden, der sie hätte spielen können.

Reckert entschied sich also, selbst eine Glasharfe zu bauen. So entstand das Verrophon. Ein von dem Musiker selbst erfundenes Instrument, das er bis heute spielt. Das Verrophon besteht aus gläsernen Röhren verschiedener Längen, die senkrecht in eine Konstruktion aus Holz eingelassen sind. Wenn man mit angefeuchteten Fingern über die Ränder der Glasröhren fährt, erzeugen sie einen sphärischen Klang, der sich zunächst nach Flöte, Oboe, Fagott oder Streichern anhört.

Erst als er weiter recherchierte, erfuhr Reckert von einem Instrument namens Glasharmonika, das schon zu Mozarts Zeiten entwickelt wurde. Erfunden hat es 1761 der amerikanische Staatsmann und Naturwissenschaftler Benjamin Franklin. Eine Glasharmonika besteht aus ineinandergeschobenen Glasschalen, die an einer waagerechten Achse angebracht sind. Diese wird durch ein Pedal oder durch einen Motor in Bewegung gesetzt. Gespielt wird sie ähnlich wie das Verrophon, auch der Klang ist vergleichbar.

Auch dieses Instrument wollte Sascha Reckert ausprobieren – und musste es deswegen selbst bauen. Das haben seit der Epoche der Klassik nur wenige gemacht. Ganz unerfahren im Instrumentenbau war Reckert aber nicht. Er hatte Kontrabass und Gambe gespielt, letztere sogar gebaut. Zudem hat er verschiedene Ausbildungen absolviert, lernte Metallbau, Holzbau, Geigenbau und in einer Glashütte.

Doch eine Glasharmonika anzufertigen, ist ein langwieriges und komplizierteres Unterfangen, als es die Herstellung des Verrophons war. Selbst ein erfahrener Instrumentenbauer braucht dafür mindestens ein halbes Jahr. Ein Verrophon kann man dagegen in einigen Tagen zusammensetzen.

Für die Produktion einer Glasharmonika musste Reckert in einer Glashütte lernen, wie man mit dem Material umgeht und wie man es stimmt. Später machte er noch einige Neuerfindungen, um die Glasschalen so aufzuhängen, dass sein Instrument funktionierte. Seitdem führt er darauf alles auf, was er findet.

Am Anfang hatte er nur die eine Schallplatte, von der er sich die Stücke abhörte und nachspielte. Er merkte jedoch, dass es sich um Bearbeitungen handelte. Da er sich schon früher für historische Aufführungspraxis begeistert hatte, wollte er die Stücke so auf die Bühne bringen, wie sie im Original gedacht waren. Also suchte er in Museen und fand Kompositionen, die eigens für Glasinstrumente geschrieben waren. Er fand auch heraus, dass nicht nur Mozart für Glas komponiert hatte, sondern viele Musiker seiner Zeit – darunter Johann Adolph Hasse, Johann Gottlieb Naumann und Anton Reicha. Auch bei Hector Berlioz, Camille Saint-Saëns, Carl Maria von Weber und Ludwig van Beethoven finden sich Werke für Glasharmonika, genauso bei modernen Komponisten wie Carl Orff und Luigi Nono. Am bekanntesten sind die Passagen in zwei Opern von Gaetano Donizetti und Richard Strauss. Sowohl „Lucia di Lammermoor“ als auch „Frau ohne Schatten“ führte Reckert später mit großen Orchestern wie den Wiener und Berliner Philharmonikern auf.

Glas und Wasser
Mittlerweile spielt er jedoch fast nur noch das Verrophon. Dieses Instrument ist dynamischer und kräftiger im Klang. Es passt viel besser zu modernen Orchestern und Instrumenten. Auch die Reparaturen und der Transport sind einfacher und billiger.

Reckert arrangiert aber auch gerne Stücke, die ursprünglich für andere Instrumente geschrieben wurden. So spielte er mit Glasinstrumenten die gesamte „Winterreise“ von Franz Schubert, Jazzarrangements und Lieder von Marlene Dietrich. Zudem komponieren immer wieder Musiker eigens für sein Ensemble für Glasmusik „Sinfonia di vetro“.

Da Reckert das Verrophon selbst erfunden hat, brachte er sich auch das Spielen selbst bei. Die Technik bezeichnet er als relativ einfach. Die größten Probleme entstehen, wenn sehr schnell gespielt werden muss. Ein Solo im Orchester zu übernehmen, sei vor allem Nervensache, wie Reckert sagt. Man müsse ruhig bleiben, um den Sängern und dem Dirigenten zu folgen und dabei seine Virtuosität zu zeigen.

Reckert baut noch immer Glasinstrumente, aber fast ausschließlich für seine Ensemblekollegen. Die Aufträge sind rar, denn weltweit gibt es nur etwa zehn professionelle Spieler. Der Nachwuchs fehlt und den Preis von mindestens 50.000 Euro für ein Instrument möchte selten jemand aufbringen. Außerdem hat Reckert nur wenig Zeit. Er spielt Konzerte und etwa 60 bis 80 Opern im Jahr, ist also viel unterwegs – und das nicht nur mit Musik.

Seit einigen Jahren baut und installiert der Musiker Wasserfilter in Entwicklungsländern. Als Tourist hatte er in Afrika Probleme mit der Wasserversorgung miterlebt und entschied sich, etwas dagegen zu unternehmen. Gemeinsam mit einem weiteren Erfinder, einem Ingenieur, und mithilfe seiner Kontakte aus der Musikwelt installiert er nun Anlagen, die mit wenig Aufwand und ohne Strom bis zu 20.000 Menschen mit frischem Wasser versorgen können.

Beim internationalen Musikfestival Lípa Musica spielt Sascha Reckert gemeinsam mit Ruth Baaten Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Gottlieb Naumann, Ludwig van Beethoven, Robert Schumann und anderen.

Kirche der Geburt von Johannes dem Täufer, Kamenický Šenov, Samstag, 15. Oktober, 19 Uhr, Eintritt: 8 Euro