Von wegen altmodisch

Von wegen altmodisch

Marie von Ebner-Eschenbach wurde in Mähren geboren. Hundert Jahre nach ihrem Tod kehrt sie langsam zurück

13. 7. 2016 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Fotos: APZ, Packa/CC BY-SA 3.0, Nostrifikator/CC BY-SA 3.0

von Ebner-Eschenbach als alte Frau, schwarz gekleidet und mit mürrisch-melancholischem Blick. Es hat wohl auch dazu beigetragen, dass die Dichterin weitgehend als bieder und altmodisch gilt und nur noch wenig gelesen wird. „Ebner-Eschenbachs Image ist heute nicht nur das einer immer schon alten, sondern das einer altmodischen Frau“, schreibt die Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl. „Was vor gut hundert Jahren Gegenstand der Verehrung war, ist zum Rezeptionshindernis geworden: Der ,gute Mensch von Zdislawitz‘, wie sie einmal genannt wurde, wirkt abschreckend in seiner Biederkeit.“

Hundert Jahre nach dem Tod Ebner-Eschenbachs hat Strigl eine neue Biografie der in Mähren geborenen Schriftstellerin vorgelegt. Flüssig und auch für Laien gut lesbar geschrieben, gelingt es der Autorin, Ebner-Eschenbach vom Bild der mitleidigen Matrone zu befreien, die jahrzehntelang als „Dichterin der Güte“ wahrgenommen wurde. Stattdessen stellt sie eine Frau vor, die durch ihre Modernität, ihre Gesellschaftskritik und ihren Einsatz für die Rechte der Frauen überrascht, die sich für sozial Benachteiligte einsetzt, den Antisemitismus angreift und dabei über Ironie und Witz verfügt.

Auf 440 Seiten zeichnet Strigl den Lebenslauf der 1830 auf Schloss Zdislawitz (Zdislavice bei Kroměříž) geborenen Freiin aus der Grafen-Familie Dubský nach. Ebner-Eschenbach musste hart um die Anerkennung als Autorin kämpfen; erst mit 60 Jahren gelang ihr der Durchbruch zur gefeierten Dichterin. Für Strigl ist sie eine „konservative Rebellin“, die sich schon in jungen Jahren für Literatur und Theater begeisterte, die Dichterin werden wollte wie ihre Vorbilder Schiller, Shakespeare und Grillparzer. An Selbstbewusstsein fehlte es ihr nicht: Schon mit 14 Jahren erklärte sie, sie sei entschlossen „entweder nicht zu leben oder die größte Schriftstellerin aller Völker und Zeiten zu werden“.

Auf Schloss Zdislawitz wurde die Autorin geboren.

Als Autorin musste sie von ihrer Familie viel Kritik ein­stecken. Ihrem Vater, dem patriarchalischen Graf Dubský, war die schreibende Tochter peinlich, die schon mit ihrer ersten Veröffentlichung, dem Briefroman „Aus Franzensbad“, mit ihrer beißenden Adelskritik Anstoß erregte. „Sie hat sich über alles lustig gemacht, was als heilig gegolten hat in ihren Kreisen: über den Adel und seine Oberflächlichkeit, über die Kirche, über Betschwestern aller Art. Also, sie war durchaus eine, die anecken wollte und das auch auf sich genommen hat“, so Strigl über die Zigarren rauchende Autorin. Verständnis fand Ebner-Eschenbach bei ihrem Mann, dem für Bildung und liberale Ideen aufgeschlossenen Offizier Moritz von Ebner-Eschenbach, den sie mit 18 Jahren heiratete.

Lange verschmäht
Der Freiherr unterstützte seine Frau in ihrem Engagement gegen den Antisemitismus, der seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland und Österreich auch das öffentliche Leben immer stärker mitbestimmte. Das Ehepaar wurde Mitglied im von Bertha von Suttner gegründeten „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“. Marie von Ebner-Eschenbach nannte den christlich-sozialen Bürger­meister der Stadt Wien, der Wahlkampf mit antisemitischen Parolen machte und gewann, einen „niederträchtigen Lügner“, und seine Parteifreunde „Spießgesellen“ und „Canaillen“.

In Tschechien hat man die deutschsprachige Autorin lange verschmäht. Das Schloss, in dem sie geboren wurde und als verheiratete Frau den Sommer verbrachte, wandelten die Kommunisten nach dem Krieg zum „Haus der Kultur“ um. Die wertvolle Bibliothek der Gräfin vernichteten sie. Der zwei Hektar große Park mit dem Grab verfiel lange Zeit – bis ihn der Kreis Zlín im vergangenen Jahr kostenlos an die gemeinnützige Initiative Czech National Trust übergab.

Diese hat sich vorgenommen, den Park und die Kapelle mit dem Grab der Autorin zu erneuern. Freiwillige haben bereits begonnen, Äste zu entfernen und Blumenwiesen neu anzu­legen. Die Arbeiten sollen etwa 15 Millionen Kronen (rund 550.000 Euro) kosten, die durch Spenden finanziert werden. Die Fertigstellung ist für 2020 geplant – dann würde die Schriftstellerin ihren 190. Geburtstag feiern. Ziel der Initiative ist es, an das literarische Erbe der Autorin zu erinnern, aber auch an ihre Beziehung zu ihrer mährischen Heimat und ihr soziales Engagement für Kinder und Arme.

Ihre Heimat Mähren spielt auch in Ebner-Eschenbachs Werk eine Rolle – zum Beispiel in „Meine Kinderjahre“.

Auch andernorts in Mähren kehrt die Schriftstellerin in die Erinnerung zurück. Auf Schloss Lysice im Bezirk Blansko, wo sie ihren späteren Mann kennenlernte, ist ihr seit Anfang Juni eine Dauerausstellung gewidmet. Das Mährische Landesarchiv will ihre Tagebücher zum Kulturdenkmal erklären, die Mährische Landes­bibliothek plant, ihre Werke zu digitalisieren, und der Verlag Barrister & Principal hat für dieses Jahr zwei Publikationen zum Thema angekündigt.

Damit holen die Tschechen allmählich eine der größten Schriftstellerinnen deutscher Sprache ins Bewusstsein zurück, die bereits vor über 100 Jahren engstirnigen deutschen und tschechischen Nationalisten vorhielt: „Vaterlandsliebe errichtet Grenzpfähle, Nächstenliebe reißt sie nieder.“

Daniela Strigl: Berühmt sein ist nichts – Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biografie. Residenz Verlag, Salzburg 2016, 440 Seiten, 26,90 Euro, ISBN 978-3-7017-3340-8


Im Glauben an eine bessere Welt
Eine vierbändige Werkauswahl zu Marie von Ebner-Eschenbach ist bereits im vergangenen Herbst erschienen. Darin findet sich unter anderem die mehrfach verfilmte Erzählung „Krambambuli“ über das Schicksal eines Hundes, der hin- und hergerissen ist zwischen der Treue zu seinem alten Herrn und seinem neuen Herrn. Dagegen erzählt „Lotti, die Uhrmacherin“ von einer überraschend modernen Frau, die als Unverheiratete ihr Selbstbewusstsein und ihre Unabhängigkeit vor allem ihrer Ausbildung verdankt. „Das Gemeindekind“ ist die Geschichte von Pavel Holub, der sich als Sohn eines Raubmörders den Vorurteilen der Dorfgemeinschaft zum Trotz seinen Platz in der Gesellschaft erkämpft. Gegen die zu ihrer Zeit verbreitete deterministische Ideologie, wonach Vererbung und Milieu den Menschen unausweichlich prägen, setzt Marie von Ebner-Eschenbach ein optimistisches Menschenbild und den Glauben an eine bessere Welt. In „Unsühnbar“ nimmt die Selbstbestrafung einer Ehebrecherin fast pathologische Züge an. Schuldgefühle wegen eines Seitensprungs überwältigen die Protagonistin, die schließlich den Freitod sucht. Die Kritik an der Diskriminierung der Frau, die Marie von Ebner-Eschenbach sonst auszeichnet, bleibt auf der Strecke. Dass der Autorin die von männlichen Normen geprägte Gesellschaft ein Dorn im Auge war, zeigen ihre Aphorismen wie zum Beispiel: „Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde: alle dummen Männer.“ In ihrem ersten Roman „Božena“ nimmt sich eine Dienstmagd der verstoßenen Tochter einer gutbürgerlichen Familie an. Mit der Geschichte der tschechischen Magd bekundet Marie von Ebner-Eschenbach auch ihre Sympathie für das tschechische Volk.

Marie von Ebner-Eschenbach: Leseausgabe im Schuber. 4 Bände, herausgegeben von Evelyne Polt-Heinzl, Daniela Strigl und Ulrike Tanzer, Residenz Verlag, Salzburg 2015, 1.400 Seiten, 75 Euro, ISBN 978-3-7017-1660-9