Vom Arbeiterjungen zum Nationalhelden

Vom Arbeiterjungen zum Nationalhelden

„Zátopek“ von Jan Novák und Jaromír 99 ist eine großartige Hommage an eine Sportlegende. Der Comic erzählt die Geschichte des einst besten Langstreckenläufers der Welt

13. 4. 2016 - Text: Petr JerabekText: Petr Jerabek; Bild: Voland & Quist

 

Als kleiner Junge flitzt Emil durchs Dorf, um für den Lehrer Schinken zu holen. Jahre später bekommt er von seinem Trainer Birnen, wenn er mal wieder einen nationalen Rekord aufgestellt hat. Und schließlich misst er sich mit den Besten der Welt im Kampf um olympisches Gold. In ihrer Graphic Novel „Zátopek“ schildern der Schriftsteller Jan Novák und der Zeichner Jaromír 99 den Aufstieg eines mährischen Arbeiterjungen zum besten Langstreckenläufer seiner Zeit. Die deutsche Übersetzung ist jetzt erschienen – einige Tage vor dem tschechischen Original.

Der Comic geht auf ein Drehbuch zurück, das Novák geschrieben hatte. Weil aus dem Film nichts wurde, arbeitete der Autor den Text für einen Comic um. Jaromír Švejdík alias Jaromír 99, Sänger (Priessnitz, Umakart) und Zeichner („Alois Nebel“), war von Nováks Text begeistert: „Es ist mir nicht gelungen, darin etwas Überflüssiges zu finden“, sagte der 52-Jährige dem Magazin „Interview“.

Das Buch schlägt den Bogen von Zátopeks Kindheit im mährischen Kopřivnice in den zwanziger Jahren über seine Arbeit in der Schuhfabrik Baťa in Zlín bis hin zum Höhepunkt seiner sportlichen Karriere, den olympischen Spielen 1952: In Helsinki gewinnt Zátopek drei Goldmedaillen.

Anschaulich werden sein exzessives Training und seine Erfolge dargestellt. Zugleich nähern sich Novák und Jaromír 99 aber auch dem Menschen Zátopek und bilden eine politisch bewegte Zeit ab. Der Leser lernt Zátopek als zielstrebigen und hartnäckigen, aber auch lebensfrohen und schlitzohrigen Zeitgenossen kennen, der seinen Kopf ein ums andere Mal gegen den Widerstand von Partei­funktionären durchsetzt. So zum Beispiel vor Olympia 1952, als sich der Favorit weigert, nach Helsinki zu fliegen, wenn nicht auch der Mittelstreckenläufer Stanislav Jungwirth mitdarf. Dieser wurde aus politischen Gründen aus der Mannschaft ausgeschlossen. Das Regime gibt nach: Die beiden Athleten können verspätet nach Helsinki fliegen.

Politische Umbrüche
Bei aller spürbaren Sympathie für ihren Helden verklären die Autoren Zátopek nicht. Eindrucksvoll stellen sie seinem Aufstieg das Schicksal seines ersten und einzigen Trainers Jan Haluza gegenüber. Während Zátopek sportlich von Erfolg zu Erfolg eilt, in der Armee Karriere macht und sich vom Regime als Propagandafigur einspannen lässt, wird der Katholik Haluza festgenommen, angeklagt, wegen „umstürzlerischer Betätigung“ verurteilt und muss im Uranbergwerk schuften.

Politisch brisant ist das Werben Zátopeks um die Speerwerferin Dana Ingrová. Hing in seinem Elternhaus schon vor dem Zweiten Weltkrieg ein Stalin-Bild, blickt von der Küchenwand ihrer Familie auch nach der Machtergreifung der Kommunisten noch der erste tschechoslowakische Präsident Tomáš Garrigue Masaryk. Danas Familie passt so gar nicht zum sozialistischen Vorzeigeathleten, sie gilt als politisch unzuverlässig. Zátopek lässt sich die Hochzeit aber nicht ausreden und bekommt grünes Licht aus dem Verteidigungsministerium. Der Preis: „Beim Parteitag der Kommunistischen Partei wirst Du mit einer Fackel einlaufen und die Flamme dem Präsidenten überreichen.“

Geschickt lässt Jaromír 99 die politischen Umbrüche in seine Zeichnungen einfließen. Bilder von Machthabern werden auf- und abgehängt, die Slogans auf den Fabrikgebäuden in Zlín ändern sich. Den Autoren ist eine gut recherchierte und großartig umgesetzte Comic-Hommage an einen legendären Athleten geglückt, die nebenbei auch ein Stück Geschichte von den Zwanzigern bis in die fünfziger Jahre hinein schildert. Nicht nur für Sportinteressierte eine spannende Lektüre.

Gequältes Gesicht
Jaromír 99 hat für „Zátopek“ erstmals bei einem Comic Farben verwendet: „Viele empfinden die fünfziger Jahre als düster, mir gefallen dagegen die leuchtenden Farben sowjetischer Propagandaplakate.“ Von ihrer Ästhetik ließ sich der Zeichner inspirieren, blieb aber seinem holzschnittartigen Stil treu. Dabei beschränkt er sich neben Schwarz auf Ziegelrot, Türkis und Ocker. Mit gezielter Farbökonomie – immer wieder kommt er eine ganze Seite lang mit einer Farbe weniger aus – hat Jaromír 99 kraftvolle und ausdrucksstarke Zeichnungen geschaffen, die zugleich deutlich mehr Leichtigkeit ausstrahlen als seine bisherigen Comics.

Eine Herausforderung für Jaromír 99 war auch, dass ihm erstmals reale Personen als Vorlage für einen Comic dienten. Er studierte Fotos, Filme und Archivmaterial, reiste nach Kopřivnice und Zlín. Orte, Köpfe und die Atmosphäre der Zeit hat er mit seiner ganz eigenen Handschrift genauso hervorragend eingefangen wie Zátopeks verkrampft wirkenden Laufstil und gequälten Gesichtsausdruck. Dieser sorgt für eine der unterhaltsamsten Szenen des Comics, als Zátopeks Eltern den Olympiasieger inständig bitten, doch zumindest bei Wettkämpfen im Ausland keine Grimassen zu schneiden und sich um ein Lächeln zu bemühen: „Du würdest uns nicht blamieren mit deiner rausgestreckten Zunge.“

Jan Novák/Jaromír 99: Zátopek. Aus dem Tschechischen von Mirko Kraetsch, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2016, 208 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-863911-38-6

Großformatige Drucke aus „Zátopek“ sind bis Ende Mai im Haus „Schwarzer Schwan“ in der Prager Neustadt zu sehen. Art & Event Gallery Černá Labuť (Na Poříčí 25, Prag 1)