Begehrtes Schlüsselwerk

Begehrtes Schlüsselwerk

Die Prager Nationalgalerie muss nach langem Rechtsstreit die „Madonna von Eichhorn“ an die Kirche zurückgeben

9. 3. 2016 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Narodní galerie v Praze und APZ

Fromm blickt Maria mit dem Jesuskind auf den Betrachter. Wenn sie wüsste, welchen Medienrummel sie ausgelöst hat, würde sie ihren Glauben vielleicht verlieren. Seit beinahe drei Jahren streiten sich die katholische Pfarrei in Veverská Bítýška (Eichhorn Bittischka) und die Prager Nationalgalerie vor Gericht um die „Madonna von Eichhorn“ („Madona z Veveří“), ein kostbares frühgotisches Marienbild. Bisher war die Tafel im Prager Agneskloster zu sehen, in der Dauerausstellung mittelalterlicher Sakralkunst der Nationalgalerie. Sie stammt jedoch aus der nicht erhaltenen  Kapelle der Burg Veveří.

Nachdem die tschechische Regierung im November 2012 die schrittweise Rückführung des nach 1948 verstaatlichten Kircheneigentums beschlossen hatte, forderte die Pfarrei im südmährischen Veverská Bítýška das Bild zurück. Im Dezember vorigen Jahres sprach ein Prager Gericht das Gemälde in letzter Instanz der Pfarrei zu. Die Nationalgalerie wollte es dennoch nicht herausgeben und forderte weitere Dokumente vom Denkmalschutzamt an. Daraufhin drohte die Pfarrei mit Pfändung. Nun gibt die Nationalgalerie das Tafelbild nach langem Hin und Her zurück. Am Montag ist es nach Brünn gereist, wo es künftig zu sehen sein wird.  

Dass die Eigentumsverhältnisse keineswegs eindeutig auf der Hand liegen, erklärte der Direktor der Nationalgalerie Jiří Fajt vor kurzem in der Tageszeitung „Hospodářské noviny“. Er bedauerte das mediale Aufsehen, das vor allem auf die National­galerie ein schlechtes Licht geworfen habe. „Natürlich respektieren wir die Entscheidung des Gerichts“, so Fajt. „Die Nationalgalerie würde niemals die Ungerechtigkeiten totalitärer Regime verteidigen.“ Zur Kirche pflege sie gute Beziehungen, das zeigten viele Leihgaben wie zum Beispiel der Hohenfurther Altar. „Als Organisation, die staatliches Eigentum verwaltet, sind wir jedoch dazu verpflichtet, alle rechtlichen Mittel zu nutzen, um den Fall zu prüfen. Wir müssen gewährleisten, dass ein Nationales Denkmal, zu dem das Bild vor kurzem ernannt wurde, nicht gefährdet wird“, sagt Fajt.
Im Fall der „Madonna von Eichhorn“ war das kompliziert.

Ungeklärte Eigentumsrechte
Der Leiter der Sammlung für Alte Kunst in der Nationalgalerie Marius Winzeler erklärt den Streit mit zwei verschiedene Auffassungen über die Eigentumsrechte. „Aus unserer Sicht waren sie nicht eindeutig geklärt“, so Winzeler.

Ursprünglich befand sich das Tafelbild in der Kapelle der Burg Veveří. Vermutlich hatte es Jan Heinrich von Luxemburg, der jüngere Bruder Karls IV., um 1350 erworben und in die Kapelle bringen lassen, als er zum mährischen Markgrafen ernannt wurde. Einige Hundert Meter vor der Burg entstand im Mittelalter eine Siedlung mit einer Kirche und einem Friedhof. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Friedhofskapelle zerstört, nicht jedoch die Burg. Da das Gemälde den Krieg unbeschadet überstand, kann es sich damals nicht in der Friedhofskapelle befunden haben. Das behauptet laut Fajt aber die Pfarrei von Veverská Bítýška. Bei der Nationalgalerie geht man davon aus, dass das Bild erst um 1700 in die Friedhofskapelle gebracht wurde, nachdem diese wieder aufgebaut worden war.

In der Kapelle nahe der Burg Veveři wurde die „Madonna von Eichhorn“ etwa ab 1700 aufbewahrt.

Im 18. Jahrhunderte erhoben sowohl die Burgbesitzer als auch die Pfarrei Anspruch auf die Friedhofskapelle. Die Eigentumsverhältnisse wurden geklärt, als die Kapelle 1887 als Besitz der Burgherren in das Grundbuch eingetragen wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Burg mit dem umliegenden Anwesen der staatlichen Forstverwaltung zugesprochen. Da sie dem Landwirtschaftsministerium unterstellt war, gelangte das Bild damit in Staatsbesitz.

Im Jahr 1932 wurde die „Madonna von Eichhorn“ von der Presse wiederentdeckt, die von einem gotischen Meisterwerk in der Friedhofskapelle in Veveří berichtete. Das Gemälde ging 1938 als Leihgabe der staatlichen Forstverwaltung in die Sammlung der Tschechoslowakischen Staatsgalerie über und wurde 1958 deren Nachfolgerin, der Nationalgalerie, als Eigentum überschrieben.

„Es wurde von einer staatlichen Institution an eine andere staatliche weitergegeben“, sagt Winzeler. „Letztendlich gab es aber eine Grauzone, in der die Kirche geltend machen konnte, dass das Inventar dieser Friedhofskapelle zum Kircheneigentum und nicht zum Grundbesitz gehörte. Da­rauf gründete sich auch die richterliche Entscheidung, die wir letztlich akzeptieren müssen.“

Für die Sammlung der Nationalgalerie bedeutet das Urteil einen großen Verlust. Das Gemälde gilt gemeinsam mit der „Madonna von Zbraslav“ als bedeutendstes Madonnenbild aus der Zeit Karls IV. und stellt in verschiedener Hinsicht ein Schlüsselwerk dar, wie Marius Winzeler sagt.

Nördlich der Alpen entwickelte sich Böhmen im 14. Jahrhundert zu einem Zentrum der sakralen Tafelmalerei, „die hier in unglaublicher Qualität ganz eigene Ausprägungen hervorbrachte“, so Winzeler. Die „Madonna von Eichhorn“ entstand zwischen 1345 und 1350 in Prag und wird dem Maler des Hohenfurther Altars zugeschrieben, der zu den wichtigsten Künstlern am Hof Karls IV. zählte. „Auch deshalb steht sie historisch in enger Verbindung zum Hof Karls IV. Den hohen Rang des Bildes verdeutlicht die einzigartige malerische Qualität“, erklärt Winzeler. In ­Typus und Ausdruck wurde es zum Vorbild für viele andere ikonenhafte Mariendarstellungen.

Auch ikonographisch wird das Tafelbild als Schlüsselwerk betrachtet: „Die beiden Kronen Mariens belegen einen hohen Anspruch, der mit dem Thema königlicher Würde verbunden ist“, so Winzeler. Die offene Krone verweise auf die Bedeutung Marias als Himmelskönigin, das Diadem auf ihre Rolle als mystische Braut Jesu.

Wer das wertvolle Gemälde nun sehen will, muss nach Brünn reisen. Dort ist es ab 16. März im Diözesanmuseum ausgestellt.