Vom Ehrgeiz getrieben

Vom Ehrgeiz getrieben

Zwei neue Filme über die Schauspielerin und Goebbels-Geliebte Lída Baarová erzählen nicht nur das tragische Leben einer Filmdiva, sondern auch viel über den Umgang mit der Geschichte

28. 1. 2016 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Fotos: APZ, CinemArt

Der Glamour hätte Ludmila Babková bestimmt gefallen. Am Mittwoch vergangener Woche fand in der Prager Innenstadt die Premiere des Films „Lída Baarová“ statt. Ein Reigen nationaler Schauspielstars gab sich ein Stelldichein. Hinzu kamen internationale Größen wie der Österreicher Karl Markovics, der eine Hauptrolle in dem Historiendrama spielt. Und sogar Staatspräsident Miloš Zeman ließ es sich nicht nehmen, seine Aufwartung zu machen. Er posierte auf dem roten Teppich an der Seite von Regisseur Filip Renč, der die Lebensgeschichte Babkovás, besser bekannt unter dem Namen Baarová, in Szene setzte.

Die im Jahr 2000 verstorbene Schauspielerin gehörte zu den schillerndsten und umstrittensten Künstlerinnen der Tschechoslowakei des 20. Jahrhunderts. Bereits zu Beginn der dreißiger Jahre machte sie sich, noch nicht einmal volljährig, in ihrer Heimat einen Namen als Filmsternchen. Es folgte 1934 der Ruf der Ufa in Berlin. Als Geliebte von Deutschlands Starschauspieler Gustav Fröhlich und später von Nazi-Propagandaminister Josef Goebbels schickte sie sich an, eine steile Karriere im Dritten Reich hinzulegen. Das Ende des Erfolgs kam abrupt, nachdem sich Goebbels auf Druck Hitlers von ihr distanzieren musste. Baarová kehrte in ihre Heimatstadt Prag zurück. Nach dem Ende des Krieges saß sie anderthalb Jahre im Gefängnis, ehe ihr 1948 über Österreich die Flucht nach Argentinien gelang. In Südamerika hielt es Baarová nicht lange. Zurück in Europa spielte sie ab 1950 in italienischen und spanischen Produktionen mit, ehe sie 1958 mit „Il Cielo brucia“ („Himmel in Flammen“) ihren letzten Film drehte und danach keine Aufträge mehr erhielt. Baarová starb einsam und verwitwet 86-jährig in Salzburg.

Taňa Pauhofová und Karl Markovics als Baarová und Goebbels

Ihr turbulentes Schicksal bot noch zu ihren Lebzeiten, vor allem aber nach ihrem Tod, Stoff für zahlreiche Theaterstücke und Dokumentationen. So inszenierte der zur Zeit im deutschsprachigen Raum gefeierte Bühnenregisseur Dušan Pařízek 2009 mit dem Stück „Goebbels/Baarová“ eine kritische Auseinandersetzung mit Baarovás Leben und der Beurteilung durch ihre Landsleute. Auch die Groteske „Gottland“ von Petr Štindl, basierend auf dem Roman von Mariusz Szczygieł, behandelt unter anderem Baarovás wechselvolle Karriere und ihre Beziehungen zu den herrschenden Eliten. Die Inszenierung läuft seit Jahren äußerst erfolgreich im Prager Schwanda-Theater. Nun feiert Lída Baarová erneut ein posthumes „Comeback“. Denn nicht nur die tschechische Großproduktion von Renč – mit 80 Millionen Kronen einer der teuersten Filme der vergangenen Jahre hierzulande – sondern auch eine 95-minütige Dokumentation von Helena Třeštíková mit dem Titel „Zkáza krásou“ („Verhängnisvolle Schönheit“) lief soeben in den Kinos an.

Renč steht dabei eindeutig für den künstlerischen Mainstream, was auch seine bisherigen Werke verdeutlichen. Produktionen wie „Rebelové“ oder „Román pro ženy“ zu Beginn der nuller Jahre sorgten für volle Kinos, gehören aber eher in die Kategorie der seichten Unterhaltung. In „Lída Baarová“ zeigt er eine von naivem Ehrgeiz getriebene Protagonistin, die zum Spielball grotesk dargestellter Nazi-Teufel wird. Einen davon, nämlich Josef Goebbels, spielt Karl Markovics. Nicht nur für deutsche Zuschauer irritierend ist dabei die Tatsache, dass seine Stimme tschechisch synchronisiert wurde.

Doch das ist bei weitem nicht alles, was bei der Renč-Produktion schief lief: Wenn in Liebesszenen vor dem Kaminfeuer zu Fratzen verzerrte Gesichter aus dem lodernden Feuer grinsen, provoziert das eher ein höhnisches Lachen als ein (wohl beabsichtigtes) Schaudern. Gleichzeitig fragt sich der Zuschauer, ob er nun Empathie für Baarová empfinden soll, oder ob sie als „Nazi-Flittchen“ abgestempelt werden kann, wie es in der Tschechoslowakei nach 1945 der Fall war. Beides greift zu kurz. Renč bedient viele Klischees und wurschtelt sich ungelenk durch Baarovás Vita, um am Ende keine Angriffsfläche für eine politische Wertung zu bieten. Der Regisseur gab zwar im Vorfeld der Premiere zu, einfach nur ein Liebesdrama erzählen zu wollen. Ob sich die historisch so stark aufgeladene Geschichte Baarovás dafür eignet, darf aber angezweifelt werden.

Auf jeden Fall vermittelt er ein Bild, das vieles offen lässt. Die meisten Zuschauer dürften sich mit der Hauptfigur identifizieren, wie das bei einem Spielfilm normalerweise auch beabsichtigt ist. Dadurch schwindet die Möglichkeit, eine nüchterne Dis-tanz zu einer Frau aufzubauen, die sich – wie viele andere in ihrer Epoche – den unangenehmen Umständen der Zeit anpasste und sich vom Schicksal treiben ließ. Genau diesen Aspekt hätte aber auch Renč ins Visier nehmen können. Stattdessen bedient er den verlockenden fatalistischen Ansatz, dem man in Tschechien so oft begegnet.

Eine deutlich anspruchsvollere und weitestgehend objektive Analyse nimmt hingegen Helena Třeštíková in „Zkáza krásou“ vor. Bereits 1995 besuchte die angesehene Dokumentarfilmerin Baarová in Salzburg und ließ eine offensichtlich stets Angetrunkene ihr Leben erzählen. Daraus wurde damals eine 30-minütige Dokumentation. Nun holte Třeštíková das Material wieder hervor und verband es mit umfangreichen Originalaufnahmen aus den dreißiger und vierziger Jahren.

Die 66-jährige Pragerin verwendet Szenen aus alten Filmen, um die Aussagen Baarovás mit passenden Bildern zu unter­malen. Dabei scheut sie sich nicht, die Porträtierte in derer tiefen inneren Zerrissenheit zu zeigen. Třeštíková leuchtet somit auch ein Stück weit das Dilemma einer ganzen Nation unter der Naziherrschaft aus. Wo fängt Kollaboration an, wo Anbiederung und wo Widerstand? Baarová konnten nach 1945 weder Spitzelaktivitäten noch Denunzierung nachgewiesen werden. Im Gegenteil: Sie sorgte im Rahmen ihrer Möglichkeiten sogar für das materielle Überleben einiger Kollegen – natürlich dank guter Beziehungen zur deutschen Elite im Protektorat.

Dokumentarfilmerin Helena Třeštíková besuchte 1995 die damals 81-jährige Baarová in Salzburg.

Doch so eindrücklich Třeštíková es schafft, weit in Baarovás Seele zu blicken, so ist sie nicht davor gefeit, ähnlich wie viele vor ihr in die Fatalismus-Falle zu tappen. Auch sie hinterlässt dem Publikum das Gefühl, lediglich einer gebeutelten Frau zugeschaut zu haben, die von fremden Mächten hin und her geschleudert wurde, ohne selbst viel Einfluss auf das Geschehen nehmen zu können. Das ist zwar nicht ganz falsch, spricht Baarová aber auch von einem großen Maß an Verantwortung frei. Symptomatisch die suggestive Frage von Třeštíková, ob Baarová denn jemals in ihrer Karriere einen Menschen mit einem derart tragischen Leben dargestellt hat, wie sie selbst eines führte. Die Antwort kommt bestechend schnell und ehrlich: „Ich denke nein.“

Die tschechischen Medien ließen vor allem an „Lída Baarová“ von Renč kaum ein gutes Haar. Die „Hospodárské noviný“ spricht von einer „kitschigen und unbeabsichtigten Parodie“, während „Idnes“ dem Film „Schablonenhaftigkeit im Stile von ,Titanic’“ vorwirft. Besser weg kommen Třeštíková und ihre Doku.

Baarová hätte wohl den Spielfilm der viel kritischeren Dokumentation vorgezogen – und sich so dargestellt gesehen, wie sie es gewollt hätte. In der Fiktion übernahm Zdenka Procházková die Rolle der in Salzburg lebenden, gealterten Baarová. Die 89-jährige Schauspielerin sprach nach der Premiere von einer „sehr ehrgeizigen Person, die alles für ihre Karriere tat, was sie nur konnte“. Sie lernte Baarová einst gar persönlich kennen und lieferte damit in einem Satz das vielleicht treffendste Fazit zum ambivalenten Wesen des einstigen Filmstars ab.

 


 

Das Leben der Lida Baarová

Lida Baarová   Am 7. September 1914 als Ludmila Babková in Prag geboren, wuchs Baarová in einer kleinbürgerlichen Beamtenfamilie im Stadtteil Nusle auf. Bereits mit 17 Jahren stand sie in den neu errichteten Barrandov-Studios erstmals vor der Kamera. 1934 engagierte sie die deutsche Filmproduktionsgesellschaft Ufa, worauf sie mit gerade einmal 20 Jahren nach Berlin zog. 1935 gelang ihr an der Seite von Gustav Fröhlich in Gerhard Lamprechts „Barcarole“ der Durchbruch. Dank intensivem Deutschunterricht schaffte es Baarová, ihren tschechischen Akzent fast zur Gänze abzulegen. Nicht zuletzt dank ihres Sprachtalents, aber auch aufgrund ihrer gesanglichen und tänzerischen Fähigkeiten folgten weitere Engagements in Deutschland. Privat verkehrte sie zunächst mit ihrem Filmpartner Fröhlich, ehe eine Affäre mit Reichspropagandaminister Josef Goebbels ihr für den Rest ihres Lebens den Stempel als Nazi-Geliebte aufsetzen sollte.

Auf Betreiben von Marta Goebbels befahl Adolf Hitler 1938 das Ende der Liaison. Kurz darauf erhielt die Schauspielerin Berufsverbot. Nach der Rückkehr in ihre Heimat wirkte Baarová wieder in tschechischen Produktionen mit. Doch 1941 folgte auch im „Protektorat Böhmen und Mähren“ ein Spielverbot.

Nach dem Zweiten Weltkrieg saß Baarová 18 Monate im Gefängnis Pankrác ein. Vom Vorwurf der Kollaboration wurde sie letzten Endes freigesprochen, doch hatte die Haft auch für ihre Familie weitreichende Folgen. Ihre jüngere Schwester Zorka, ebenfalls Schauspielerin, erhielt weder beim Theater noch beim Film Rollenangebote und nahm sich daraufhin das Leben. Die Mutter starb während eines Polizei-Verhörs an Herzversagen – ein weiterer schwerer Schicksalsschlag. 1948 emigrierte Baarová mit ihrem Mann Jan Kopečký zunächst nach Südamerika, später nach Österreich. Von hier aus startete sie eine zweite Karriere beim italienischen und spanischen Film. Höhepunkt war die Rolle der Giulia Curti in Federico Fellinis Klassiker „Die Müßiggänger“ im Jahr 1953. Danach verblasste der Starruhm allmählich. Nach 1958 drehte Baarová keine Filme mehr. Inzwischen wieder geschieden, verarmte die bald 50-Jährige und litt unter gesundheitlichen Problemen. 1969 heiratete Baarová den österreichischen Arzt Kurt Lundwall, welcher bereits drei Jahre später verstarb. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 lebte Baarová fortan alleine und zurückgezogen in Salzburg. Ihre Affäre mit Goebbels stritt sie bis in die 1980er Jahre vehement ab.