Engagiert und avantgardistisch

Engagiert und avantgardistisch

Das Dokumentarfilmfestival in Jihlava stellt aktuelle politische Themen in den Fokus

21. 10. 2015 - Text: Stefan WelzelText: Stefan Welzel; Foto: APZ

 

Was macht ein gutes Filmfestival aus? Interessante Beiträge – bestimmt. Prominente Ehrengäste – zweifelsohne. Ein spannendes Rahmenprogramm – ein Muss. Filmfestivals sind heute keine monothematische Angelegenheit mehr, sie sind vielmehr Schauplatz, Bühne und Spielwiese für Kinoschaffende und Fans gleichermaßen.

In Jihlava kultiviert das „Internationale Dokumentarfilmfestival“ („Mezinárodní festival dokumentárních filmů Jihlava“) seit bald zwei Jahrzehnten eine Vielseitigkeit, die weit über das simple Projizieren von Filmen in Lichtspielhäusern hinausgeht. Vom 27. Oktober bis 1. November wird auf Workshops, Diskussionsforen und Partys nicht nur über die ästhetische und inhaltliche Relevanz von über 250 Dokumentarfilmen debattiert, sondern mit Experten und Vertretern aus Politik und Medienwelt auch aktuellen gesellschaftlichen Themen nachgegangen.

Für die 19. Ausgabe haben Festivaldirektor Marek Hovorka und sein Team zwei besondere Ehrengäste eingeladen. „Wir freuen uns sehr darauf, mit Marija Aljochina von ,Pussy Riot‘ und Julian Assange zwei weltweit bekannte Aktivisten für die Redefreiheit in unserem Rahmenprogramm begrüßen zu dürfen“, verkündete Hovorka bei der Pressekonferenz Ende September in Prag. Und auch wenn Assange lediglich aus der equadorianischen Botschaft in London zugeschaltet sein wird, allein sein Name steht für den Geist der fünftägigen Veranstaltung, die sich auch als Ort für politische Auseinandersetzungen versteht. Seit fünf Jahren bildet das „Inspirationsforum“ einen Raum für gesellschaftskritischen Diskurs an der Seite des umfangreichen Filmprogramms.

In diesem werden in der Kategorie „Česká radost“ („Tschechische Freude“) der beste tschechische Dokumentarfilm, in „Mezi moři“ („Zwischen den Meeren“) die beste Dokumentation aus Ostmitteleuropa, unter „Opus bonum“ der beste weltweite Beitrag und in der Rubrik „Fascinace“ („Faszination“) der überzeugendste Experimentalfilm prämiert. In der außerhalb des Wettbewerbs laufenden Sektion „Fascinace: Věčnost“ („Faszination: Ewigkeit“) stehen philosophische Annäherungen an das Thema Tod und Religion im Fokus.

Französischer Pionier
Einen besonderen Höhepunkt stellt außerdem die Retrospektive zum Schaffen des ukrainisch-französischen Filmemachers Eugène Deslaw dar. Der 1898 in Kiew geborene Regisseur war für das Genre der Dokumentation ähnlich wegweisend wie sein sowjetischer Zeitgenosse Sergei Eisenstein für den Spielfilm. Hovorkas Mitarbeiter waren während der vergangenen zwölf Monate unzählige Stunden in den Filmarchiven Europas unterwegs, um nun fünf Kurzfilme und die 60-minütige „Vision fantastique“ aus dem Jahr 1957 zu präsentieren.

Doch trotz nostalgischer Nebenkategorien bleiben die Filmtage in Jihlava hauptsächlich der Aktualität verpflichtet: Sektionsübergreifend behandeln zahlreiche Filmbeiträge, Theatervorstellungen und Live-Radiodokumentation die Flüchtlingskrise und ihre Folgen für Europa.

Für all diejenigen, die nach den anspruchsvollen Debatten etwas müde werden und geistige Zerstreuung brauchen, ist ebenso gesorgt: Ein Konzertprogramm sowohl in Jihlava als auch in der rund 200 Kilometer entfernten Hauptstadt bieten die ersehnte Abwechslung, wenn Assange, Deslaw, Eisenstein und Co. Gitarrenriffs und Discobeats Platz machen.

Internationales Dokumentarfilmfestival Jihlava, Dienstag bis Sonntag, 27. Oktober bis 1. November, mehr Informationen unter www.dokument-festival.cz