„Kein Film über Neonazis“

„Kein Film über Neonazis“

Der deutsch-afghanische Regisseur Burhan Qurbani zu Gast bei den „Tagen des Europäischen Films“

15. 4. 2015 - Text: Stefan Welzel

Der Erfolg kam für Burhan Qurbani aus dem nordrhein-westfälischen Erkelenz überraschend. Dennoch zeigte sich der deutsche Regisseur mit afghanischen Wurzeln eher gelassen, als er am Donnerstag vergangener Woche bei den „Tagen des Europäischen Films“ („Dny evropského filmu“) seinen jüngsten Streifen „Wir sind jung. Wir sind stark.“ vorstellte. Der Eröffnungsbeitrag des Festivals, das in dieser Woche von Prag nach Brünn und danach in weitere tschechische Städte zieht, handelt von einer Jugendbande während der fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Qurbani liegt viel daran, seinen Film, dessen Hintergrund und Symbolik genau zu erläutern. PZ-Redakteur Stefan Welzel traf den 34-Jährigen, um mit ihm über Pegida, wiederkehrende Geschichte, Medienkritik und politische Filme zu sprechen.

Herr Qurbani, in Prag haben in den Kinos Lucerna und Světozor etwa tausend Zuschauer Ihren Film gesehen. In Deutschland läuft er seit Ende Januar und lockt das Publikum weiterhin an. Überrascht Sie der Erfolg?

Burhan Qurbani: Wir dachten, den Streifen gehen höchstens 10.000 Leute schauen. Nun sind es schon über 80.000. Das ist ein Wunder und großartig angesichts der Tatsache, dass es ein sehr politischer Film ist. Dazu ist er auch noch in Schwarz-Weiß. Natürlich treffen wir damit den thematischen Nerv der Zeit angesichts von Pegida und brennenden Asylantenheimen. Diese Brisanz haben wir 2010, als wir mit der Arbeit am Film begannen, nicht erahnen können.

Wie kamen Sie darauf, ausgerechnet einen Film über die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen zu drehen?

Qurbani: Weil die Ereignisse drohten, aus dem kollektiven Gedächtnis zu verschwinden. Ich war zwar noch sehr jung damals, kann mich aber deutlich an die Bilder erinnern. Als Erwachsener fing ich an, darüber zu recherchieren und habe kaum etwas gefunden. Es gab eine ZDF-Dokumentation und ein Buch. Sonst nichts. Erst zum 20. Jahrestag war das Thema dann wieder präsent. Für mich ist klar, dass wir Filmemacher die Aufgabe haben, den Finger in die Wunde zu legen.

Ist „Wir sind jung. Wir sind stark.“ ein politisches Statement eines linken Regisseurs?

Qurbani: Ich habe eine linke Grundhaltung, bin aber kein Aktivist. Ich will den Film nicht als ein politisches Statement verstanden wissen. Das würde ihm die Glaubwürdigkeit nehmen. Ich drehe keine Filme, weil ich Propaganda machen will. Aber Deutschland hat eigentlich eine reiche Politfilm-Tradition, die in den letzten Jahren leider etwas eingeschlafen ist. Ich habe aufgrund meiner Migranten-Herkunft und der Geschichte meiner Eltern einen bestimmten Blick auf Deutschland. Wenn ich den umsetzen will, dann mache ich das in Form des politischen Films.

Sie arbeiten viel mit Metaphern. Ist das eine kleine Reminiszenz an den symbolisch oft etwas überfrachteten Film aus den arabischen oder persischen Ländern?

Qurbani: In diesen Regionen der Welt benutzen Filmemacher starke Chiffren, weil sie die Missstände nicht so direkt wie bei uns ansprechen können. Sind diese Sinnbilder stark genug, kann sie jeder Zuschauer aus dem jeweiligen Kulturkreis verstehen. Das aktuelle iranische Kino ist ein gutes Beispiel dafür. Dort benutzen Regisseure Metaphern, weil sie vieles nicht offen sagen dürfen. Das macht Filmemacher erfindungsreicher. Ich benutzte in „Wir sind jung. Wir sind stark.“ zum Beispiel das Symbol des Drachen, der sich in den eigenen Schwanz beißt. Damit will ich zeigen, wie sich Geschichte wiederholt, wie uns die Vergangenheit einholen kann. Das passiert ja gerade auch wieder mit dem Aufkommen fremdenfeindlicher Tendenzen, die bei weitem kein rein deutsches Phänomen sind.

Ihr Film ist bis kurz vor Schluss in Schwarz-Weiß gehalten. Warum dieses Stilmittel?

Qurbani: Wenn man etwas in Schwarz-Weiß dreht, erhält es einen abstrakten und historisierenden Effekt. In dem Moment, als wir das Geschehen farbig werden ließen, haben wir es quasi in die Gegenwart transportiert. Das zieht den Zuschauer stärker in die Szenerie hinein, die kühle Distanz fällt weg.

Eine Ihrer Figuren spricht während eines Fernsehinterviews im Film von der Pornografie der Medien. Eine pointierte Kritik an der Berichterstattung von damals oder allgemeine Medienkritik?

Qurbani: Diesen Satz habe ich gar nicht geschrieben, er wurde vom Schauspieler improvisiert. Das war das, was ihm spontan einfiel. Und er hat natürlich recht. Wir hatten nicht die Zeit, einen Film über die Rolle der Medien von damals zu drehen, dabei wäre es absolut möglich gewesen. Aber natürlich ist das auch als allgemeine Kritik zu verstehen.

Wurde der Film an Originalschauplätzen gedreht?

Qurbani: Nein, in Halle. Das berühmt gewordene Sonnenblumenhaus existiert, ist aber bewohnt. In Halle konnten wir für wenig Geld einen ganzen abbruchreifen Block mieten.

Die nachgestellten Gewaltszenen wirken sehr echt und gehen unter die Haut. Wurde Ihnen da selbst nicht ein wenig mulmig hinter der Kamera?

Qurbani: Im Prozess des Filmemachens bin ich rein technisch auf meine Arbeit konzentriert. Als Berater stand uns Wolfgang Richter zur Seite. Er war damals Ausländerbeauftragter in Rostock und meines Erachtens ein wahrer Held. Er stand zu den eingeschlossenen Migranten und hat mit ihnen diese Hölle durchgemacht. Er war beim Drehen dabei. Durch seine Reaktion habe ich gemerkt, wie nah wir an der Realität sind. Dieser Zwei-Meter-Mann stand mit wässrigen Augen da und sagte später, dass es genau so war.

Ihre Hauptdarsteller sind bis auf Devid Striesow alles junge Erwachsene um die 20 Jahre, die sich nicht persönlich an die Ereignisse von damals erinnern. Wie lief diese Zusammenarbeit?

Qurbani: Die Kids hatten den Anspruch, ihre Figuren bestens zu kennen. Mein Koautor Martin Behnke und ich hatten wiederum den Anspruch, jeder Hauptfigur einen möglichst umfangreichen Hintergrund zu geben. Wir haben die jeweiligen Biografien dann mit den Schauspielern zusammen erarbeitet. Das gab ihnen den nötigen Unterbau, um darauf ihren Charakter zu konstruieren. Im Spiel selbst ließen wir ihnen dann auch die Freiheit zu improvisieren.

Als weiteres Element fällt die ruhige Kameraführung als Kontrast zu dem wilden, in sich zerrissenen Verhalten der Protagonisten auf …

Qurbani: Ich wollte keinen typischen deutschen Sozialrealismus mit Wackelkamera und dieser „Alles-ist-scheiße-Einstellung“, wenn man aus einer ostdeutschen Plattenbausiedlung kommt, sondern eine Form finden, die nicht versucht, gesellschaftliche Klischees zu bedienen. Ich habe deshalb bewusst einen Film über normale Jugendliche gemacht, und nicht über Neonazis.

Das Filmfestival findet ab 17. April in Brünn und danach bis 26. April in weiteren Städten wie Pilsen, Hradec Králové oder Jablonec nad Nisou statt. Mehr Informationen unter www.eurofilmfest.cz