Mit der Kamera gemalt

Mit der Kamera gemalt

Der Fotograf Jörg Sasse stellt erstmals in Tschechien aus. Für das Haus der Kunst in České Budějovice entwarf er eine umfassende Werkschau

12. 3. 2015 - Text: Franziska NeudertText: Franziska Neudert; Foto: „2572“ von Jörg Sasse

 

Ihn interessiere der Punkt, an dem das Bild an der Wand den Verweis auf die gewesene Wirklichkeit berührt, sagte Jörg Sasse vor vielen Jahren über seine Arbeit. „Der Punkt, an dem man meint, etwas erkannt zu haben, das sich im nächsten Moment jedoch wieder entzieht.“ Der Fotograf gehört zu den Schlüsselfiguren der Düsseldorfer Fotoschule, die ab den späten sechziger Jahren unter Bernd und Hilla Becher mit ihrer scheinbar objektiven Sichtweise einen neuen Stil in der Fotografie begründete.

Von Anfang an kreiste Sasses Werk um die Beziehung zwischen Abbild und Wirklichkeit und darum, wie die Fotografie Erinnerungen und Realität zu manipulieren vermag. Beispiele für sein künstlerisches Spiel mit der Wirklichkeit sind derzeit im Haus der Kunst in České Budějovice (Dům umění) zu sehen. Es ist die erste umfassende Werkschau des Künstlers in Tschechien. Er konzipierte sie eigens für die südböhmische Galerie.

Bekannt wurde der 1962 im nordrhein-westfälischen Bad Salzuflen geborene Künstler mit analogen Fotografien alltäglicher Interieurs, beispielsweise von Schaufenstern und Wohnungen seiner Freunde. Durch die kurze Distanz zu den Objekten entstanden reduzierte, fast abstrakte Kompositionen. Seit Beginn der neunziger Jahre nutzte Sasse vor allem die Aufnahmen anderer, um sie als Grundlage für seine Bilder zu verwenden: Fotografien aus Nachlässen oder von Flohmärkten bearbeitete er am Computer nach – veränderte unter anderem Farbe, Perspektive, Schärfe und Bildausschnitt, löschte einzelne Elemente und fügte neue hinzu. Auf diese Weise entstanden vollkommen neue Bilder, deren Ursprung sich mitunter nicht mehr ausmachen lässt. Sie bewegen sich im Grenzbereich zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, zwischen Fotografie und Malerei und spielen dadurch mit den Wahrnehmungsgewohnheiten des Betrachters.

Bilder, die er nur geringfügig veränderte, nannte Sasse „Skizzen“. In einen Teil dieser Skizzen griff er stärker ein; die entfremdeten Ergebnisse bezeichnete er als „Tableaus“. Während digital bearbeitete Fotos meist darauf angelegt sind, die Bildqualität zu verbessern und einen schärferen Ausschnitt des Gesehenen zu vermitteln, scheint Sasse das Gegenteil anzustreben: Seine Bilder zielen darauf ab, die Wahrnehmung des Betrachters herauszufordern. Sie entziehen sich der Zuordnung zu Realem und Fiktion. Wer denkt, der Titel der ausgestellten Werke könnte bei deren Deutung helfen, irrt. Sämtliche Bezeichnungen bestehen aus zufällig generierten vierstelligen Zahlenfolgen.

Jörg Sasse: File Transfer. Dům umění města České Budějovice, geöffnet: täglich außer montags 10 bis 13 Uhr und 13.30 bis 18 Uhr, Eintritt frei, bis 22. März, www.c-budejovice.cz