„Hinterlasse nichts als Fußspuren!“

„Hinterlasse nichts als Fußspuren!“

Barbora Faiglová unternimmt mit ihrer Kamera Streifzüge durch verfallende Gebäude

18. 2. 2015 - Text: Peter Huch

Der Begriff „Urbex” steht für „Urban Exploration” („urbane Erkundung”). Meist sind es Fotografen mit einem Faible für Motive von Zerfall und Niedergang, die als Entdecker tätig werden. Sie machen sich auf die Suche nach verlassenen Gebäuden, die schon seit längerer Zeit nicht mehr in Betrieb sind und damit langsam dem Vergessen anheimfallen. Das Spektrum der Bauten ist breit gefächert. Es reicht von alten Villen und ehemaligen Kasernen bis hin zu Krankenhäusern oder maroden Tunnelsystemen. Der Grada-Verlag hat nun eine Fotokollektion verschiedener solcher „verlorener Orte” in Buchform herausgebracht („Urbex – Opuštěná místa v Čechách”). PZ-Mitarbeiter Peter Huch sprach mit der 24-jährigen Koautorin Barbora Faiglová über ihre Lieblingsorte,  ungeschriebene Gesetze der Urbex-Anhänger und den Schauder, den knarrende Fußböden auslösen.

Frau Faiglová, wie kann man sich die Tätigkeit einer Urbex-Fotografin vorstellen?

Barbora Faiglová: Urban Exploration handelt vom Entdecken verwaister Gegenden, genauer gesagt von Bauten, die einst vom Menschen geschaffen wurden, aber nicht länger genutzt werden und daher verfallen. Urbane Entdecker suchen gezielt nach diesen ausgestorbenen Orten. Für mich ist es eine Gelegenheit, architektonisch oder historisch interessante Gebäude zu erforschen. Die Kunst der Fotografie scheint oftmals die einzige Möglichkeit, das Verfallende vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren. Nicht selten bilden sich durch unsere Arbeit kleine Vereine, die sich für die Rettung der Gebäude einsetzen.

Es klingt, als würden Sie das schon eine Weile machen. Was motiviert Sie?

Faiglová: Seit ungefähr drei Jahren gehe ich nun schon dieser Leidenschaft nach. Ich interessiere mich generell für Geschichte, aber auch für das Reisen, Schreiben und die Fotografie. Urbex verbindet all das miteinander. Jede Umgebung bietet neue Möglichkeiten, etwas zu entdecken. Ansonsten liebe ich auch die ruhigen Momente: Die Stille in einem verlassenen Bau, tropfendes Wasser, abblätternde Wandfarbe …

Gibt es einen Ort, der es Ihnen besonders angetan hat?

Faiglová: Da gibt es viele. Lieblingsplätze habe ich nicht nur in Tschechien sondern auch in Belgien, Frankreich und Deutschland. Das Schloss Miranda in Belgien, ein verwunschenes Chateau, das wie ein Spukschloss wirkt, hat mich besonders in seinen Bann gezogen. Auch in Deutschland gibt es so einen Ort: Hotel „Overlook“, benannt nach dem Hotel in Stanley Kubricks Gruselfilm „The Shining“. In Tschechien sind es die Barrandov-Terrassen in Prag. Die Orte, die mich am meisten reizen, sind alte Villen, Denkmäler, Sanatorien und Krankenhäuser. Aber auch Kanalisationen und Industriekomplexe sind faszinierend.

Das klingt gespenstisch. Unternehmen Sie Ihre Erkundungen alleine?

Faiglová: Meistens nicht. In einer Gruppe mit Freunden macht es mehr Spaß, auch wenn mal ein Ausflug dabei ist, an dem es nichts zu entdecken gibt. Auch wenn wir Gebäude, die zu unsicher wirken, nicht betreten, ist es immer besser, nicht alleine zu sein. Falls doch mal etwas Unvorhergesehenes passieren sollte.

Was für Situationen blieben Ihnen da in Erinnerung?

Faiglová: Die eindrücklichsten Momente entstehen in der Dunkelheit. Da herrscht eine völlig andere Atmosphäre vor. Plötzlich ist das Gebäude ein geheimnisvoller, mystischer Ort mit einer sehr lauten Stille und knarrenden Dielen. Da kann man sich leicht erschrecken. Erst vor kurzem habe ich so etwas wieder erlebt: Wir waren in einem Sanatorium. Unser einziger Führer durch die Finsternis war ein schmaler Lichtkegel. Auf einmal schlug eine Tür durch einen Windstoß mit einem lauten Knall zu. Auch in den anderen Etagen hörten wir von Zeit zu Zeit die Türen knallen. Sogar der von den Wänden rieselnde Putz machte Geräusche. In Sanatorien herrscht insgesamt eine ziemlich geheimnisvolle Atmosphäre.

Ein Hobby, das sich um das Besichtigen verfallender Gebäude dreht, klingt morbide…

Faiglová: Zumindest ist es kein Hobby für jedermann. Es ist teuer und auch meist am Rande der Legalität. Letzteres kann zu großen Problemen führen, auch wenn ich bisher Glück hatte und in keine Konflikte geriet. Außerdem kann bei jedem Schritt große Gefahr lauern, denn die Gebäude sind oft in schlechtem Zustand.

Fühlen Sie eine bestimmte Verantwortung hinsichtlich des Umgangs mit Ihren Erkundungsobjekten?

Faiglová: Meine Meinung über Menschen, denen nichts heilig ist, hat sich durch Urbex gefestigt. Die Gebäude verfallen meist nicht von selbst, sondern werden mutwillig zerstört. Die Regeln, denen wir als Dokumentierende folgen, sind ungeschrieben. Wir sind weder Vandalen noch Diebe. Allgemein gilt: Mach Fotos und hinterlasse nichts als Fußspuren!

Ihre Bilder waren zunächst nur im Internet zu sehen. Wie kam es zu dem Buch?

Faiglová: Die Idee kam vom Verlag. Die Auswahl der Orte für das Buch war wirklich schwierig; der Platz ist beschränkt und man muss sich entscheiden. Was schade ist, denn es gäbe eine Vielzahl von Gebäuden, die es Wert wären, erinnert zu werden. Aber wir sind glücklich über die Möglichkeit, überhaupt ein Buch zu veröffentlichen. Die Meisten interessieren sich nur für gewöhnliche, gut erhaltene Denkmäler – wir wollen die Aufmerksamkeit auch auf das im Zerfall Begriffene lenken.

Barbora Faiglová und Katka Havlíková: Opuštěná místa v Čechách. Grada Verlag, Prag 2014, 144 Seiten, 499 CZK, ISBN 978-90-247-5336-2

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