Über den Rand des Tintenfasses

Über den Rand des Tintenfasses

Ilse Tielschs Beiträge über Identität und Freiheit sind in einem Sammelband erschienen

4. 12. 2014 - Text: Maria Hammerich-MaierText: Maria Hammerich-Maier

Die Freiheit des Wortes hat viele Facetten. Für die Ehefrau und Mutter Ilse Tielsch bestand sie während eines langen Lebensabschnittes darin, den Mut und die Muße zu finden, um trotz doppelter Belastung und Widerständen im sozialen Umfeld den Computer hochzufahren und zu schreiben. Im Jahr ihres 85. Geburtstags hält Ilse Tielsch mit dem kürzlich erschienen Buch „Von der Freiheit schreiben zu dürfen“ Rückschau. Der schmale Band vereinigt bisher nicht veröffentlichte Dankesreden, Vorträge und Aufsätze der österreichischen Schriftstellerin.

Den Vortrag, dem der Buchtitel entliehen ist, hat die Autorin 1989 in Brasilien gehalten. Die gebürtige Mährerin thematisiert darin die Hürden, die schreibende Frauen zu überwinden haben. „Oh ja, wir haben durchaus die Freiheit, in den Nächten aufzuholen, was uns bei Tag nicht möglich ist.“

Trotz der Anmutung einer bloß eingeschränkten Freiheit, sich als Schriftstellerin zu betätigen, hat es Ilse Tielsch zu einem stattlichen Œuvre gebracht, das 23 selbstständige Buchpublikationen umfasst. Neben dem kontinuierlichen Strom von Lyrik, der ihre gesamte Schaffenszeit begleitet, gehört die Romantrilogie „Die Ahnenpyramide“, „Heimatsuchen“ und „Die Früchte der Tränen“ zu Tielschs bekanntesten Werken. Sie entstand in den achtziger Jahren und setzt sich mit der Herkunft der Autorin auseinander. Ilse Tielsch wurde 1929 im südmährischen Auspitz geboren und floh als 16-Jährige im April 1945 nach Österreich.

Die prägende, unwiederbringliche Kindheit, das Einssein mit sich selbst über alle biographischen Bruchlinien hinweg, empfundene Heimat und Heimatlosigkeit beherrschen als wiederkehrende Themen Tielschs literarisches Werk wie auch das jüngste Buch.

„Manche ihrer Sätze haben die Qualität einer Gedankenzündkerze“, würdigte Schriftstellerkollege Helmut A. Niederle im Nachwort die oft frappierende Wirkung der Begriffsprägungen der Laureatin. Etwa wenn diese in ihrem Aufsatz „Gegen Intoleranz und Hass“ von einer „nationalen Flurbereinigung“ schreibt, die bereits nach dem Ersten Weltkrieg im Namen des Nationalstaates eingesetzt habe. Aus dem Modergeruch der Gräben, die in den folgenden Jahrzehnten durch Umsiedlung, Flucht und Vertreibung aufgerissen worden seien, lasse sich bis heute immer wieder politisches Kleingeld münzen. Der Präsident des österreichischen PEN-Clubs hebt die „fugenlose Verlötung des Reflektierens allgemeiner Zeitumstände und persönlicher Erfahrungen“ im Werk Ilse Tielschs hervor.

Die Autorin wirbt in ihrem literarischen Werk für Toleranz und Besonnenheit, und das sowohl beim Blick auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart. Sie warnt vor dem Wiederaufleben alter faschistischer Haltungen und mahnt die Zweifelhaftigkeit dessen an, was im Gewand des Fortschritts auftritt, während es nicht selten Niedergang und neuen Heimatverlust auslöst. Sie hat, mit den Worten einer alten Redewendung „ihre Seele ins Tintenfass gesetzt“ und sucht wie Heinrich Heine über dessen Rand hinaus nach ähnlich gestimmten Seelen.

Ilse Tielsch: Von der Freiheit schreiben zu dürfen. Driesch-Verlag, Drösing 2014, 125 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-902787-29-3