Freies Geleit zum Scheiterhaufen

Freies Geleit zum Scheiterhaufen

Vor 600 Jahren stellte sich Jan Hus dem Konzil in Konstanz. Auf seiner Reise durch Deutschland traf er auf zahlreiche Sympathisanten

8. 10. 2014 - Text: Friedrich GoedekingText: Friedrich Goedeking; Foto: Hussitenstaedte

Vor genau 600 Jahren, am 11.Oktober 1414, brach Jan Hus von der Burg Krakovec westlich von Prag zu einer Reise nach Konstanz auf, um dort vor dem Konzil seine Rechtgläubigkeit zu verteidigen. Auf Krakovec hatte Hus Zuflucht gefunden, nachdem gegen ihn knapp zwei Jahre zuvor der päpstliche „Große Bann“  verhängt worden war, der „allen gläubigen Christen verbot, dem ungehorsamen Johann Hus Speise und Trank zu reichen, ihn zu beherbergen, mit ihm zu sprechen“. Wegen seiner fundamentalen Kirchenkritik war Hus zum Irrlehrer und Ketzer erklärt worden. Er hatte die Autorität des Papstes in Frage gestellt und erkannte nur Christus als das Haupt der Kirche an. Ebenso hatte er die Heiligenverehrung, den Reliquienkult und den Ablass verurteilt, die Käuflichkeit kirchlicher Ämter angeprangert und vom reichen Klerus die Rückkehr zur Armut nach dem Vorbild Jesu gefordert. Um sicher nach Konstanz zu gelangen, hatte Hus den deutschen König Sigismund um freies Geleit gebeten. Nachdem der König ihm dies mündlich zugesichert hatte, brach Hus mit einem Tross von 30 Reitern und zwei Wagen auf.

Auf seinem Weg durch Westböhmen wurde Hus von zahlreichen Anhängern begrüßt. Wie aber würde es um seine Sicherheit in Deutschland bestellt sein? Schließlich gehörten beispielsweise die deutschen Professoren in Prag zu seinen schärfsten Kritikern und Feinden. Doch auf seinem Weg durch die Oberpfalz nach Nürnberg und weiter durch Franken und Schwaben nach Konstanz wurde er von der deutschen Bevölkerung überaus freundlich aufgenommen. Von Nürnberg schrieb er seinen Prager Freunden: „In der ersten deutschen Stadt Bärnau erwartete mich der Pfarrer mit seinen Helfern; als ich in seine Stube trat, schob er mir gleich eine große Kanne Wein hin, billigte in aller Freundschaft mit seinen Amtsgenossen meine Lehre, versicherte auch, er sei mir immer gewogen gewesen.“ In allen größeren deutschen Städten ließ Hus durch seine Begleiter den folgenden Anschlag in deutscher Sprache an die Türen der Kirchen heften: „Magister Jan Hus zieht jetzt hier nach Konstanz, um daselbst den Glauben zu bezeugen, den er bisher bekannt hat, noch bekennt und, so Gott will, bis zu seinem Tode bekennen wird. So jemand ihm einen Irrtum oder eine Ketzerei vorwerfen wolle, so möge er sich zum Konzil begeben, denn dort ist der Magister Jan Hus bereit, vor jedem Gegner von seinem Glauben Rechenschaft zu geben.“

Gespräche bis in die Nacht
In Sulzbach wurde gerade Landgericht gehalten. Hus wandte sich an die Richter und Stadtältesten: „Ich bin der Magister Jan Hus, von dem ihr wohl, wie ich vermute, viel Böses gehört habt; befragt mich darüber.“ Aber auch hier erhielt Hus für seine Überzeugungen nur Zustimmung. In Nürnberg, wo voraus reisende Kaufleute seine Ankunft schon gemeldet hatten, drängte sich das Volk in den Gassen, um Hus zu begrüßen. Bis in die Nacht hinein dauerten die Gespräche, die Hus mit den Pfarrern und Magistern, aber auch mit den einfachen Bürgern führte. Mit Genugtuung stellte er auch hier fest, dass er wider Erwarten viele Anhänger in Deutschland hatte. Beim Abschied versicherten ihm die Nürnberger, dass seine Lehre wahrhaft christlich sei und sie selber schon seit vielen Jahren sich dazu bekennen würden.

Gegen Ende seiner Reise stellt Hus fest, dass er in Deutschland keinem Feind begegnet sei. Vom Bannfluch, den die Kirche über ihn verhängt habe, rede niemand. Vielmehr bitte man ihn beim Abschied um seine Schriften. In jedem Gasthaus hinterlasse er deshalb eine Abschrift seiner Auslegung der Zehn Gebote, die dann vom Wirt an die Wände geklebt würde.

Das Wohlwollen, das ihm die deutsche Bevölkerung entgegenbrachte, bestärkte Hus in seiner Zuversicht, vor dem Konzil Gehör zu finden und keine Verurteilung seiner Lehre befürchten zu müssen. Doch bereits drei Wochen nach seiner Ankunft in Konstanz wurde er   verhaftet. Seine tschechischen und deutschen Gegner aus Böhmen hatten die Kardinäle davon überzeugt, Hus den Prozess zu machen, um zu verhindern, dass Böhmen zum Ketzerland würde. Der Papst hatte den Kardinälen nachgegeben, weil er ihre Unterstützung brauchte, um sich gegen zwei Gegenpäpste durchzusetzen. König Sigismund gab seinen Protest gegen die Verhaftung auf, weil ihm die Theologen darlegten, dass ein Ketzer keinen Anspruch auf ein freies Geleit habe. Drei Ansprachen hatte Jan Hus für die Konzilsväter in Konstanz vorbereitet: Über den Frieden, den Glauben und die Gebote Jesu. Zur freien Rede bekam er aber keine Gelegenheit. Stattdessen wurde er dreimal verhört. Versuchte er ausführlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, wurde er meist niedergeschrien oder ausgelacht. Nach einem halben Jahr schwerer Kerkerhaft erlitt er den Ketzertod auf dem Scheiterhaufen.

Wegbereiter für Luther
In den Augen seiner Anhänger starb Jan Hus als Märtyrer, der standhaft für eine Reformation der Kirche eingetreten war. Auch nach seinem Tod bekannten sich Deutsche zu Jan Hus. Martin Luther würdigte ihn als den wichtigsten Wegbereiter der deutschen Reformation mit dem Bekenntnis „Wir sind alle Hussiten“. Nirgendwo wurde das Andenken an Jan Hus im 16. Jahrhundert so lebendig erhalten wie in Deutschland, wo um 1550 die Schriften von Jan Hus gedruckt wurden, in Ausgaben, die noch heute benutzt werden.

Die Erinnerung an seinen Weg nach Konstanz wird seit Mitte der neunziger Jahre von der deutsch-tschechischen Vereinigung der Städte mit hussitischer Geschichte und Tradition wachgehalten. Der Verein lädt jedes Jahr zu mehrtägigen Pilgerwanderungen auf den Spuren von Jan Hus ein. Menschen aus Tschechien und Deutschland machen sich auf den Weg zu Fuß, zum Teil in historischen Kostümen. Sie wollen damit ein Zeichen im Sinne der Völkerverständigung setzen und vor allem in Deutschland das Interesse an Jan Hus als den Begründer der ersten europäischen Reformation wieder erwecken.

Weitere Informationen über die Vereinigung der Städte mit hussitischer Geschichte und Tradition unter www.hussitenstaedte.net