Willkommen bei den Wutbürgern

Willkommen bei den Wutbürgern

Drinnen überreicht Zeman der Kanzlerin Blumen – draußen entlädt sich der Hass der Demonstranten

1. 9. 2016 - Text: Milena FritzscheText: Milena Fritzsche und Jan Nechanický; Fotos: J. Nechanický

Jan hat seinen Sohn und eine EU-Fahne mit auf die Prager Burg gebracht. Er habe keine großen Erwartungen, sagt er kurz vor dem Treffen Merkels mit Zeman. Er hoffe aber, dass der Präsident die Kanzlerin höflich und freundlich empfange.

Sorgen hätte sich Jan nicht machen müssen. Zumindest vor den Augen der Journalisten verhält sich der Präsident gegenüber seinem Gast ausgesprochen charmant. Er betritt den Thronsaal  der Prager Burg durch die rechte Tür, die Kanzlerin kommt von links. Er überreicht ihr einen Blumenstrauß. Nichts wird dem Zufall überlassen. Das Band, das die Blumen zusammenhält, passt farblich zu Merkels Halskette. Zeman redet lächelnd auf die Besucherin ein. Sie strahlt zurück, wiederholt immer wieder „Danke“ – auch auf Tschechisch. Als Physikerin hat sie einige Monate in der damaligen Tschechoslowakei geforscht, die Vokabeln sind ihr nicht ganz fremd.

Die beiden Politiker betrachten eingehend den Blumenstrauß. Damit müssen sich die Journalisten zufriedengeben. So unaufgeregt wie Merkel und Zeman den Raum betreten haben, entschwinden sie wieder, diesmal gemeinsam durch die rechte Tür.

Für Aufregung sorgt Merkels Besuch dagegen in der ganzen Stadt. Insgesamt waren für Donnerstag vergangener Woche neun Demonstrationen angemeldet. Kritiker und Anhänger der Kanzlerin hatten in den sozialen Netzwerken eingeladen.
Am späten Nachmittag versammeln sich die Gegner von Merkels Flüchtlingspolitik vor allem am Kleinseitner Ring. Etwa 200 Menschen sind gekommen. Auf ihre Plakate haben sie starke Symbole gemalt. Manche halten Kruzifixe in die Höhe, andere durchgestrichene Moscheen und Hakenkreuze. Viele Plakate sind auf Deutsch verfasst. „Frau Merkel, kein Diktat, sonst Czexit“, ist zum Beispiel zu lesen. Oder „Merkel muss weg“.

Ein älterer Mann steht mit einem Plakat in der Menge. Da­rauf ist etwas von „Protektorat“ und „Regierungskollaborantenbande“ zu lesen. Man dürfe ihn Karl nennen, sagt er. Gerne unterhält er sich auch auf Deutsch mit Journalisten – und macht Merkel für die „schlechte Lage“ in Europa verantwortlich. „Sie handelt nur auf Anweisung der USA, die sagen, dass wir alle Muslime aufnehmen müssen.“ Zeman sei auch nicht ideal, betont er. Überhaupt fühle er sich von keiner Partei gut vertreten. Wie eine bessere Politik aussehen müsste, lässt er offen. Klar ist für ihn nur: „Ich will keine Flüchtlinge hier haben.“ Er deutet auf einen Fisch, den ein Demonstrant an einer Angel trägt. „Das ist eine Makrele“, sagt er grinsend. „Genauso wollen einige hier Merkel hängen sehen.“

Etwas verloren beobachtet der Buchhändler Martin das Geschehen. Er stimmt ein, wenn alle auf Deutsch skandieren: „Merkel muss weg.“ Er sei hier, weil er mit der Politik der EU nicht einverstanden ist und Angela Merkel hasse. Sie will die europäische Kultur vernichten“. Zeman halte er dagegen für einen fähigen Politiker: „Seine Meinung ist beständig und er ist ein guter Diplomat.“ Die anderen tschechischen und euro­päischen Politiker seien alle korrupt und darüber hinaus „Kollaborateure, die mit den USA zusammenarbeiten.“ Flüchtlinge sieht er nicht gerne in seinem Land. Frauen und Kindern würde er aber helfen. Ansonsten müsse man die Kriege in den betroffenen Ländern beenden. „Es ist keine Lösung, wenn die alle hierher kommen.“

Demonstranten auf dem Kleinseitner Ring fordern die Schließung aller Grenzen in Europa.

Mehrheit gegen Merkel
Eine Tschechin lehnt jegliches Gespräch ab, als sie das Wort „Presse“ hört. Eine andere, ältere Frau ist zum Interview bereit. Sie zweifle aber noch, ob sie bei der Demonstration richtig sei, sagt sie. Ihren Namen möchte sie daher nicht nennen. Sie könne die Rolle der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingskrise nicht beurteilen, nehme Merkel aber als eher negativ wahr. „Sie trägt allerdings nicht allein die Schuld an der Flüchtlingskrise. Da sind andere Leute im Hintergrund, die ihr sagen, was sie tun muss.“

Vier Menschen stehen bei-einander. Einer hat eine große Deutschlandfahne dabei. Auf eine tschechische Frage reagieren sie nicht – sie kommen aus Deutschland. Mit Journalisten würde er schon sprechen, sagt der Fahnenträger. Fragen seien in Ordnung, aber bitte keine Fotos. Auch seinen Namen wolle er auf keinen Fall nennen. Sie sind nicht zufällig in Prag, sondern extra angereist, um „gegen die Merkel-Politik zu demonstrieren. Sie ist heute hier und es muss ein Zeichen gesetzt werden.“ Proble­matisch sei es, dass sich die Bundeskanzlerin „nicht vor die Menschen traut, weil sie garantiert ausgebuht werden würde. Ihre Flüchtlingspolitik hat uns in ganz Europa zugrunde gerichtet.“ Über tschechische Politik haben sich die Deutschen noch nicht informiert. Lediglich „den Prager Oberbürgermeister“ habe er mit Merkel im Fernsehen gesehen, sagt einer der Männer. Er meint allerdings den tschechischen Minister­präsidenten Bohuslav Sobotka. In dem Moment beginnt Tatjana Festerling als Vertreterin von Pegida auf der Bühne zu sprechen. Ihrer Meinung nach, könne Merkel „vergiftet“ werden. Die Rede wird ins Tschechische gedolmetscht. Der Ausruf „Merkel muss weg“ bedarf keiner Übersetzung, das verstehen alle. „Pegida, Pegida“, ruft die Menge.

Ortswechsel zur Prager Burg. Die einzige Menschenansammlung bilden die Touristen, die an der neu eingeführten Sicherheitsschleuse anstehen, um die Burg zu besichtigen. Zu Füßen des Masaryk-Denkmals sitzen drei Menschen und halten EU-Flaggen in den Händen. Sie wirken verloren. Der Zahnarzt Petr und der Lehrer Pavel erzählen, sie seien hier, um Merkel zu unterstützen. Die Kanzlerin brauche diese Solidaritätsbekundungen, meinen sie. „Es gibt zu viele Tschechen, die gegen Merkel sind und heute auch demons­trieren. Wir wollen dafür sorgen, dass es ausgeglichener ist.“

Das gelingt ihnen nicht. Nach einer Weile haben sich etwa 30 Merkel-Unterstützer zusammengefunden. Auf einem großen Transparent verkünden sie, dass Flüchtlinge willkommen seien. Doch insgesamt fallen sie auf dem großen Platz nicht besonders auf. Warum sind nur so wenig Menschen gekommen? Einer der Organisatoren ist Jan Cemper, Chemiker und Mitglied der tschechischen Grünen. Verschiedene Prager Initiativen gegen Rassismus, erklärt er, hätten sich im Vorfeld von der Unterstützer-Demonstration distanziert. Die meisten sind linksorientiert und wollen Merkel deshalb keine Sympathie bekunden.

Petr und Pavel sind trotzdem gekommen. Sie stört vor allem, in welcher Form die Kritiker gegen die Kanzlerin protestieren und dass sie ihrem Hass mit Hakenkreuzen und Makrelen an der Angel Ausdruck verleihen. Einen Funken Hoffnung haben sie aber: „Tschechien ist eben noch eine junge Demokratie, die Menschen müssen noch lernen, mit solchen Situationen umzugehen.“