Grammatik und Gefühl

Grammatik und Gefühl

Seit 20 Jahren vermittelt das Bohemicum Regensburg-Passau Tschechischkenntnisse – und ein Gespür fürs Nachbarland

22. 6. 2016 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Karsten Dörre/CC BY-SA3.0

Ein vorsichtiges „Dobrý den“ reicht manchmal aus, um dem Gegenüber ein Lächeln zu entlocken. Es merkt zwar vielleicht, dass man aus Deutschland kommt. Aber es freut sich über das Interesse an der Sprache und über den Versuch, sich zumindest ein wenig auf sein Land einzulassen. Wie wichtig solche Signale für die deutsch-tschechischen – und besonders für die bayerisch-böhmischen Beziehungen sind, hat man im Kultusministerium bereits kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erahnt. Und weil es nicht nur bei „Dobrý den“ bleiben sollte, wurden damals die Universitäten angesprochen. „Im Interesse gutnachbarschaftlicher Beziehungen“, so war der Plan, sollten „Maßnahmen zur Förderung der Sprachkenntnisse und des kulturellen Wissens“ eingeleitet werden.

Was sich in der Sprache der Behörden recht trocken anhört, beginnt für viele Studenten in Regensburg und Passau mit der Frage, weshalb es in der tschechischen Grammatik sieben Fälle geben muss und wie man den Buchstaben „ř“ am besten ausspricht. Seit 20 Jahren bietet das Bohemicum aber nicht nur Sprachkurse an, sondern ein Gesamtprogramm, das die Teilnehmer für das Nachbarland sensibilisiert.

„Unsere Absolventen haben sicherlich einen differenzierteren Blick für den tschechischen Nachbarn bekommen“, sagt Renata Sirota-Frohnauer, Koordinatorin und Lektorin am Bohemicum. Sie war von Beginn an mit dabei und blättert kurz vor dem Jubiläum in den Gründungsdokumenten. Nach der Initiative des Ministeriums sei damals am Lehrstuhl für slavische Philologie ein Vorschlag ausgearbeitet worden, berichtet sie. Die Universität Regensburg habe die besten Aussichten, hieß es einige Monate später. Es sollte ein „Bohemicum zur deutsch-tschechischen Verständigung und Sprachförderung“ eingerichtet werden und die Universität ein Sprachlehrwerk und einen konkreten Studienplan entwickeln. Gemeinsam mit der Brünner Masaryk-Universität sollte ein Tschechisch-Lehrbuch für deutsche Muttersprachler entstehen.

Im Juni 1996, so steht es in den Unterlagen, tagte der Beirat für Wissenschaft und Hochschulfragen, um das Konzept erneut zu begutachten. Er lobte die „erheblichen Vorleistungen“ und das „außerordentliche Engagement“ der Verantwortlichen und kam zu dem Schluss, dass das Bohemicum einen „wesentlichen Beitrag zur deutsch-tschechischen Verständigung“ leisten könne – und zwar zu einem „günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis“.

Kurz darauf, am 1. November 1996 begann der erste Jahrgang in Regensburg, tschechische Verben zu konjugieren, nach den richtigen Endungen für Substantive im Genitiv Plural zu suchen und etwas über die Geschichte der Nachbarn zu lernen. Ab 1997 wurden die Kurse zudem auch in Passau angeboten.

Exotisch und unbekannt
Mittlerweile kann man neben dem „Studienbegleitenden Bohemicum“ – einer Ausbildung aus Sprachkursen, Landeskunde und Exkursionen – auch den binationalen Bachelorstudiengang Deutsch-Tschechische Studien absolvieren, den das Bohemicum in Kooperation mit der Prager Karls-Universität anbietet; zudem laufen wissenschaftliche und studentische Projekte und Publikationen; es gibt zum Beispiel eine Gruppe von Studierenden, die tschechische Filme untertitelt, und mit dem Projekt „Herbstlese(n)“ auch ein kulturelles Programm für die breite Öffentlichkeit.

Was bewog die meist jungen Menschen und einige ältere Gasthörer, eine so schwierige Sprache zu erlernen? Das habe sich im Laufe der Jahre ein wenig geändert, sagt Sirota-Frohnauer. Zu Beginn sei Tschechien für manche Studenten noch „exotisch“ gewesen, sie wollten wissen, was sich auf der anderen Seite des ehemaligen Eisernen Vorhangs verbarg. Mittlerweile ist das Land im Grenzgebiet nicht mehr so unbekannt. Durch Schulpartnerschaften oder Wochenendausflüge sind einige Teilnehmer bereits mit den Nachbarn in Kontakt gekommen, bevor sie sich für das Bohemicum interessieren. Früher wie heute gibt es zudem immer wieder Studenten, die aus familiären Gründen Tschechisch lernen wollen – zum Beispiel, weil ihre Vorfahren nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden oder später aus der Tschechoslowakei geflüchtet sind.

In den vergangenen 20 Jahren haben insgesamt etwa 500 Studenten das Bohemicum erfolgreich abgeschlossen. Besonders groß war das Interesse laut Sirota-Frohnauer zur Zeit der EU-Osterweiterung, als sich der Blick vieler Westeuropäer auf die nahen Nachbarländer richtete.

Mittlerweile sei ein „gewisses Maß an Normalität“ eingekehrt, sagt die Koordinatorin. Noch immer sind junge Menschen neugierig auf die Nachbarn und deren Kultur; zudem nehmen sie Tschechien aber auch selbstverständlich als Arbeitsmarkt wahr. Und manch einer kommt einfach aus Neugierde ganz ohne Vorkenntnisse mal vorbei – und arbeitet einige Jahre später selbst in Pilsen, Brünn oder Prag. So zum Beispiel eine Absolventin, die mittlerweile in Prag selbständig ist: „Tatsächlich hilft mir das Bohemicum immer noch weiter“, hat sie Sirota-Frohnauer zum Jubiläum geschrieben. „Dass mich Tschechien und Tschechisch so lange begleiten werden, hätte ich auch nicht gedacht, als ich damit angefangen und in der ersten Stunde Beneš für einen Kommunisten gehalten habe.“

Neben Grammatik und Geschichte lernen die Teilnehmer vor allem durch eigene Erfahrungen und Begegnungen, die Nachbarn zu verstehen – sei es bei einer Studienfahrt nach Prag oder Südböhmen, bei einem gemeinsamen Projekttag mit tschechischen Gleichaltrigen am Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) oder bei einer mehrwöchigen Sommerschule kurz vor der Abschlussprüfung. Hunderte Studenten haben auf diese Weise in den vergangenen 20 Jahren persönliche Kontakte ins Nachbarland geknüpft und so dazu beigetragen, die Mission der Verständigung zu erfüllen, die das Ministerium dem Bohemicum einst zugeschrieben hat.

Dürfte die Koordinatorin sich zum 20. Geburtstag etwas wünschen, wäre das vor allem, dass es in diese Richtung weitergeht. Tschechisch könnte zum Beispiel noch stärker an den Schulen vertreten sein und das Nachbarland noch mehr als interessanter Kultur- und Wirtschaftsstandort wahrgenommen werden.