Eine Partnersuche wie im richtigen Leben

Eine Partnersuche wie im richtigen Leben

Deutsche und tschechische Kommunen entwickeln vorbildliche Verbindungen. Dabei gehen sie manchmal auch ganz unterschiedliche Wege

5. 2. 2015 - Text: Klaus HanischText: Klaus Hanisch; Foto: Pottiga/APZ

Wolfgang Sell ist ein Mann der Tat. Im November nahm der Bürgermeister von Pottiga aus den Händen von Fußball-Weltmeister Bastian Schweinsteiger in Berlin einen „Bambi“ entgegen. Die Jury des Medienpreises sah in ihm einen „stillen Helden“, weil er sich in vielfältiger Weise um neun Kinder aus seiner Gemeinde kümmerte, die ihre Eltern bei einem schweren Autounfall im Dezember 2013 verloren hatten.

Auch die Partnerschaft zwischen Pottiga und der tschechischen Stadt Plesná (Fleißen) entsprang seiner Tatkraft. „Mich hat bewegt, dass wir so nah beieinander liegen und doch so wenig voneinander wissen“, erklärt das Gemeindeoberhaupt, „und dass es abseits der normalen Sprachbarrieren auch noch andere Barrieren gibt.“
Sell arbeitete vor der Wende in der DDR in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG), die Kontakte zu einer LPG in der damaligen Tschechoslowakei hatte. „Daran habe ich mich als Bürgermeister eines Tages erinnert“, so Sell. Langjährige Bekannte von dort gaben ihm einen Tipp, vermittelten den ersten Kontakt. Sell fuhr ins knapp 80 Kilometer entfernte Plesná. Daraus entstand 2012 eine dauerhafte Verbindung zwischen beiden Kommunen. Entscheidend dafür war, dass er in Plesná mit Bürgermeister Petr Schaller einen Gleichgesinnten fand. „Er ist ein dynamischer Mann, der wie ich etwas für seine Gemeinde erreichen will“, sagt Sell.

„Spiegelgleiche Projekte“
Pottiga lag während der deutschen Teilung direkt an der Grenze zur Bundesrepublik. Sie verlief durch die Saale, deshalb gab es mehrere spektakuläre Fluchtversuche. Innerhalb des Grenzstreifens durfte der Ort nur mit einer Sondergenehmigung betreten werden.

Heute ist Pottiga im Süden des thüringischen Saale-Orla-Kreises wieder nahe an einer Grenze – diesmal zu Tschechien. Andernorts hatten und haben Grenzbewohner oft Vorbehalte gegenüber den Nachbarn. Viele befürchteten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem EU-Beitritt Tschechiens, dass die Kriminalität steigen könnte. Nicht so in Pottiga. „Wir sind weit genug weg, um derartige Ressentiments zu haben“, wehrt Sell ab. Dafür stellten sich andere Bedenken ein: „Haben wir mit unserer Größe für eine Partnerschaft überhaupt genug zu bieten?“ Denn Pottiga zählt nur knapp 400 Einwohner, Plesná dagegen fünfmal so viele. Die Lösung bestand darin, die gesamte Region – zumindest gedanklich – in diese Partnerschaft einzubeziehen und zu stärken.

Dafür verwirklichen Pottiga und Plesná nach den Worten des Bürgermeisters gerade „spiegelgleiche Projekte“. In beiden Partnergemeinden entstehen Informationszentren für Touristen in alten Gebäuden. Dort sollen Gäste künftig die Möglichkeit erhalten, sich über alles Interessante zu informieren, was es im Umkreis von 50 Kilometern zu entdecken gilt. Und es gebe so viele schöne Dinge, die man diesseits und jenseits der Grenze tun könne, sagt Wolfgang Sell.

Sein Ziel lautet deshalb: „Wir wollen einen grenzüberschreitenden Tourismus in beiden Ländern entwickeln.“ Dadurch werden Nachbarn aus Tschechien öfter nach Deutschland kommen und umgekehrt. Man soll sich sehen und damit kennenlernen. Zum Beispiel beim Wandern, Wassersport, Angeln oder Radfahren.

In den Gesprächen mit Bürgermeister Schaller habe sich gezeigt, dass viele Tschechen genau jene Freizeitangebote schätzen, die Pottiga und seine Umgebung bieten können. „Unsere Radwege gefallen auch den Tschechen“, hat Sell schon erfahren. In einer Datenbank sind bereits 50 Ausflugsziele enthalten. Im Untergeschoss des Zentrums wird eine „Böhmische Stube“ entstehen, dazu eine deutsch-tschechische Bibliothek, zweisprachige Schautafeln und entsprechende Multimedia-Angebote mit Internet-Zugang.

Sell hofft, sein Zentrum in einem alten Gebäude am Markt im Frühjahr einweihen zu können. Es sollte einst kaum mehr als 200.000 Euro kosten, wird nun aber rund eine Million Euro verschlingen. Denn der Ausbau der großen ehemaligen Dorfwirtschaft erfolgt Stück für Stück. Doch Sell ist es gelungen, 85 Prozent der Kosten durch Zuschüsse zu decken.

Das Gegenüber in Plesná wurde bereits Ende 2014 eröffnet. Es war früher Hotel, Bücherei und Kino. Jetzt wird es zu einer Tourismuszentrale im Erdgeschoss und einem Saal für 200 Gäste umgebaut. Sogar mit einer Kabine für einen Übersetzer, speziell für deutsch-tschechische Kontakte.

Neben den Gemeinden werden der Landkreis Saale-Orla und der Kreis Karlsbad (Karlovy Vary) und damit die westböhmische Region im Umkreis von 50 Kilometern vorgestellt. Und auch dort gibt es einen zweiten Bauabschnitt, der Mitte Februar abgeschlossen werden soll. Beide Zentren werden mit Mitteln der Euregio Egrensis gefördert. Denn Pottiga und Plesná sind Mitglieder in dieser Region, die im Jahr 1993 zur Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Tschechien gegründet wurde.

Im Mai 2013 berichtete die „Ostthüringer Zeitung“, dass alle Versuche Pottigas gescheitert seien, Landesmittel für die Renovierung ihres „Sorgenkindes“ in der Ortsmitte zu bekommen. Eine Partnerschaft mit einer tschechischen Kommune als Vernunftehe, damit beide Kommunen an EU-Gelder für den Umbau leer stehender Gebäude kommen, wäre nichts Unrechtes. Doch Wolfgang Sell bestreitet gegenüber der „Prager Zeitung“, dass wirtschaftliche Erwägungen dafür entscheidend waren. „Das war nicht geplant“, beteuert er, „es hat sich so ergeben.“

Tatsächlich sind zwischen den Kommunen bereits zahlreiche Verbindungen auf verschiedenen Ebenen entstanden. Aus Plesná fuhr ein Bus mit Familien und vielen Kindern vor, als Pottiga sein Kinderfest feierte und dabei den neuen Spielplatz einweihte. Nicht viel später besuchten Senioren die Nachbarn und wanderten gemeinsam durch Thüringen.

Anschließend suchten knapp 50 Bewohner Pottigas den tschechischen Ort auf. Ihnen schlossen sich Bürger aus den Nachbargemeinden Blankenberg und Birkenhügel an. Pottiga brachte einen selbst gefertigten, geknüpften Wandbehang mit den Wappen von Pottiga und Plesná als Gastgeschenk mit, die Gastgeber überreichten einen Pottigaer Brunnen aus Lebkuchen, Schokolade und Zuckerguss.

Beinahe schon Tradition ist jetzt Besuch aus Plesná auf dem Pottigaer Marktfest im September, das bereits seit 1856 gefeiert wird und zu dem auch tschechische Händler mit Erzeugnissen aus ihrer Heimat kommen.
Wolfgang Sell, im letzten Jahr 60 geworden, hat seinen Bürgern die Partnerschaft mit Plesná „von oben“ ans Herz gelegt. Zumal auch eine gemeinsame Sitzung der deutschen und tschechischen Stadt- und Gemeinderäte am Anfang stand. Bürger beiderseits der Grenze haben damit begonnen, sie nun zu leben.

Nicht von heute auf morgen
Dagegen will Jasmin Dorner in Welden unweit von Augsburg eine Partnerschaft „von unten“ auf die Beine stellen. „Wir brauchen ein breites Fundament“, sagt die 25-jährige Gemeinderätin. Dies auch, weil Kommunalpartnerschaften oft von einzelnen Personen abhängen, mit ihrem Engagement stehen und fallen. Aus diesem Grund ist ihre Gemeinde noch keine offizielle Verbindung mit Nové Strašecí eingegangen, einer mittelböhmischen Kleinstadt in der Nähe von Kladno. Und das obwohl bereits enge Kontakte bestehen. Gegenseitige Besuche gab es auf dem Weldener und auf dem tschechischen Christkindlesmarkt. Fußballer und Musiker fanden Partner, ebenso Modellbaufreunde.

Trotzdem wird diese Partnerschaft erst in Arbeitskreisen dies- und jenseits der Grenze vorbereitet. „Ein Vertrag zwischen uns wäre schnell geschlossen, doch es bringt nichts, wenn man solch eine Verbindung von heute auf morgen eingeht“, lautet Dorners Credo, „wir wollen zunächst möglichst viele Bürger und Vereine ins Boot holen.“
Wichtig war ihr stets, dass „die Struktur zwischen beiden Gemeinden ähnlich“ ist. Welden zählt rund 3.500 Einwohner und Nové Strašecí etwa 5.000. Das passe gut, glaubt die Vorsitzende des Weldener Arbeitskreises. Zudem liegen die tschechischen Partner nur knapp fünf Autostunden entfernt. Dorthin könne man auch schnell mal zu einem Besuch übers Wochenende fahren. „Freitag nach der Arbeit hin, Sonntagabend zurück, das hat sich schon bewährt“, so Dorner.

Und dies war eine wichtige Voraussetzung für die Kommune, die 25 Kilometer von Augsburg entfernt ist. Schon im Internet wies sie darauf hin. Denn Welden suchte seine Partnergemeinde über die Homepage „European Twinning“. Seit den frühen fünfziger Jahren bringt dieses Programm Bürger in Europa zusammen. Es will dabei helfen, besonders ähnliche Städte und Dörfer zu verbinden. Und es funktioniert nicht anders als andere Kontaktbörsen. Auf einer Liste im Internet stellen Kommunen ihre Besonder- und Eigenheiten vor. Automatisch erhalten sie dann eine E-Mail mit Vorschlägen.

Durch Unterschiede lernen
Schon 2008 nahm der Arbeitskreis „Gemeindepartnerschaft“ in Welden seine Arbeit auf, und alsbald auch die Suche auf dieser Homepage. „Es gab schnell viele Anfragen“, erinnert sich Jasmin Dorner, „darunter waren auch Städte und Gemeinden aus Italien oder Polen.“

Der Arbeitskreis ging systematisch vor, erstellte Leitlinien, siebte aus. Und sprach mit Bürgern. „Natürlich wäre manchen von ihnen ein Partner in Frankreich oder Italien lieber, allein schon wegen der Sonne“, lacht Dorner. Doch die meisten Kriterien sprachen für Nové Strašecí: Natur, Musik, sogar eine gemeinsame Kelten-Geschichte. Deshalb gibt es dort auch ein Heimatmuseum wie das Ganghofer-Museum in Welden. All dies erläuterte der Arbeitskreis den Bewohnern, Vereinsmitgliedern und Gemeinderäten in Veranstaltungen.

Erstmals trafen sich die künftigen Partner im Herbst 2011, als eine tschechische Delegation in Welden zu Gast war. Wie in Pottiga begeisterte die Tschechen auch in Welden, dass es rundum so viele Radwege gibt. „Fahrradtouren sind in Tschechien sehr beliebt“, fand Jasmin Dorner heraus.

Umgekehrt beobachten die Weldener die Bemühungen des Arbeitskreises aufmerksam. „Sie fragen nach und begrüßen oft auch Aktivitäten“, erklärt Dorner. Bürger der Gemeinde mit böhmischen oder mährischen Wurzeln reagieren abwartend, aber positiv. „Ich verstehe ihre Zurückhaltung“, so die junge Frau, „wir dürfen nicht vergessen und brauchen auch eine Geschichtskultur. Deshalb wollen wir auch nicht einfach nur machen, sondern gemeinsam wachsen, zum Nachdenken anregen und eine einheitliche Identität finden.“

Dies ist auch ihre eigene Motivation. „Ich verstehe mich als junge Europäerin, wir sollten Gemeinsamkeiten finden, aber auch Unterschiede lernen. Das ist nicht zuletzt aktive Friedensförderung. Und dafür hilft gerade ein direkter Austausch.“

Die Sprache ist dabei kein Problem. Tschechische Schüler lernen Englisch oder Deutsch. Ältere tschechische Bürger sprechen noch die deutsche Sprache. Sonst hilft oft Englisch weiter. Doch haben sich auf beiden Seiten schon Dolmetscher gefunden. „Gut möglich, dass die Partnerschaft in nächster Zeit offiziell wird“, sagt Jasmin Dorner, „und das ist sehr wichtig.“