Journalistischer Gründergeist

Journalistischer Gründergeist

Seitdem der heutige Finanzminister Andrej Babiš im Sommer 2013 die Mediengruppe Mafra übernommen hat, entwickelt die tschechische Medienlandschaft eine neue Dynamik

4. 2. 2015 - Text: Katharina WiegmannText: Katharina Wiegmann; Foto: P. Huch

„Journalism can never be silent“, Journalismus kann niemals schweigen. So lautet das kämpferische Motto des Magazins „Echo“. Von März bis Oktober 2014 war es zunächst ausschließlich online abrufbar, seit November erschien jede Woche eine neue Ausgabe in gedruckter Form. „Echo“ ist nur eine von mehreren Neugründungen des vergangenen Jahres auf dem tschechischen Medienmarkt. Auslöser dieser Dynamik ist vor allem ein Mann: Andrej Babiš. Der amtierende Finanzminister und Chef der politischen Bewegung „ANO“ kaufte vor zwei Jahren die Mediengruppe Mafra, die unter anderem die renommierten Tageszeitungen „Mladá fronta Dnes“ und „Lidové noviny“ herausgibt.

Vorreiter Bakala
Nach der Samtenen Revolution investierten vor allem westliche Unternehmen in tschechische Verlagshäuser. Ihnen ging es weniger um die Förderung von Qualitätsjournalismus, sondern in erster Linie um Rentabilität. Doch nach dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 zogen sie sich zunehmend zurück. Tschechische Geschäftsleute – Oligarchen, wie sie kritische Stimmen bezeichnen – witterten ihre Chance. Einer davon ist Unternehmer und Multimillionär Zdeněk Bakala. Bereits 2004 hatte er die liberale Wochenzeitschrift „Respekt“ erworben, im August 2008 sicherte er sich dann die Mehrheitsanteile am Verlag Economia, der unter anderem die Wirtschaftszeitung „Hospodářské noviny“ und das Magazin „Ekonom“ herausgibt. Allerdings sorgte diese Übernahme längst nicht für so viel Furore und aktiven Protest unter den angestellten Redakteuren wie der Kauf der Mafra-Gruppe im Sommer 2013. Denn zu dieser Zeit hatte Andrej Babiš schon längst Ambitionen auf politische Ämter.

Roman Hájek, der als Kommunikationswissenschaftler an der Prager Karls-Universität bereits mehrere Artikel über die jüngsten Veränderungen in der tschechischen Medienlandschaft veröffentlichte, will Babiš keine Manipulationsabsichten unterstellen. „Ob er die Medienagenda wirklich beeinflusst, ist schwer zu sagen“, meint Hájek. Doch solche Vorwürfe muss sich Babiš gefallen lassen, erst recht nachdem er sich kurz nach der Übernahme bei der Redaktion von „Lidové noviny“ persönlich beschwerte, weil sie nicht über eine Pressekonferenz seines Lebensmittelkonzerns Agrofert berichtet habe. „Der Redakteur hatte dieses Telefonat aufgenommen. Es kam zu einer öffentlichen Debatte, in deren Verlauf sich Babiš entschuldigte“, erinnert sich Hájek, der den „ungeschickten Versuch der Einflussnahme“ als eine Ausnahme bezeichnet. Allerdings räumt er ein: „Als Inhaber beeinflusst er natürlich indirekt die Ausrichtung der Zeitungen, zum Beispiel durch Personalentscheidungen.“

Babiš löst Echo aus
Dalibor Balšínek konnte sich nicht vorstellen, für einen Politiker zu arbeiten. Deshalb trat er im November 2013 nach über vier Jahren von seinem Posten als Chefredakteur der „Lidové noviny“ zurück. Viele seiner Kollegen, die bei Mafra angestellt waren, teilten die Vorbehalte – die Idee, ein eigenes Medium zu gründen, war schnell geboren.

Bereits im März 2014 ging „Echo24“ online. Die Echo-Gruppe um Balšínek ist das bislang aufsehenerregendste Resultat der journalistischen Protestbewegung. „Echo“ profiliert sich vor allem durch Kommentare und Analysen aus Politik und Wirtschaft. Investigativen Journalismus wollen sie anderen überlassen, zum Beispiel der Redaktion von „Reportér“. Die Macher des seit September 2014 monatlich erscheinenden Reportage-Magazins und der dazugehörigen Internetseite sind zu einem großen Teil Journalisten, die zuvor für die Zeitung „Mladá fronta Dnes“ recherchierten – inklusive ihres ehemaligen Chefredakteurs Robert Čásenský.

Neben den beiden inhaltlich und formal eher traditionellen Magazinen gibt es zwei weitere Projekte, die für Impulse in der hiesigen Medienlandschaft sorgen könnten: Der Non-Profit-Newsdesk „Hlídací pes“ (auf Deutsch: „Wachhund“) will nach dem Vorbild der US-amerikanischen Plattform „ProPublica“ den aus wirtschaftlichen Gründen vernachlässigten Investigativjournalismus und die Kontrollfunktion der Medien gegenüber der tschechischen Politik stärken.

Aus ganz ähnlichem Grund will „Free Czech Media“ in Kürze mit einer Internetseite an die Öffentlichkeit. Die Gruppe von Journalisten und Akademikern um Pavel Šafr, ehemals Chefredakteur des Wochenmagazins „Reflex“, setzt sich vor allem für die Unabhängigkeit der Medien von politischer Einflussnahme ein.

Geringer Einfluss
Doch beleben all diese Neugründungen die öffentliche Debatte? Medienwissenschaftler Hájek ist skeptisch: „Wie nachhaltig die derzeitige Dynamik wirklich ist, wird sich noch zeigen. Vor allem Reportér und Echo haben aufgrund kluger Businesspläne und ihres erfahrenen Personals aber gute Erfolgsaussichten.“ „Echo“ habe sich nach Ansicht des Kommunikationswissenschaftlers zudem den Ruf als derzeit kritischstes Medium auf dem Markt erarbeitet.

Beide Medien könnten interessante Quellen für neue Debatten sein. „Allerdings darf man nicht vergessen, dass das Personal weitgehend gleich geblieben ist. Die Themen, die Kommentatoren wie Daniel Kaiser und Lenka Zlámalová früher bei Lidové noviny verfolgten, bearbeiten sie jetzt eben bei Echo.“ Zudem sei der gesamtgesellschaftliche Einfluss von Qualitätsmedien in Tschechien eher gering – „leider haben öffentliche Debatten bei uns nicht sehr viele Teilnehmer“, meint Hájek.