Kommentar: Kämpfen statt resignieren

Kommentar: Kämpfen statt resignieren

Was Erinnerungen an die Revolution verraten

12. 11. 2014 - Text: Corinna AntonText: Corinna Anton; Foto: Šjů

 

Wie war das damals eigentlich mit der Revolution? Wer Menschen diese Frage stellt, bekommt viele Antworten. Einen objektiven Tatsachenbericht bekommt er nicht. Erinnerungen sind Konstruktionen der Vergangenheit, keine Rekonstruktionen. Sie sagen mehr über den gegenwärtigen Standpunkt derjenigen aus, die sich erinnern, als sie darüber verraten, was „tatsächlich“ passiert ist. Wer aus der Vergangenheit erzählt, legt keine alte Platte auf, sondern er erschafft im Moment des Erinnerns eine Welt, sein Weltbild, ein Stück seiner Identität.

Wenn sich Menschen an die Samtene Revolution erinnern, ist in Tschechien oft von zerbrochenen Illusionen und enttäuschten Hoffnungen die Rede. Von der „gestohlenen Revolution“, von Machenschaften und Mächtigen, die die Republik ausgenommen hätten, vom betrogenen „einfachen Volk“. Mag sein, dass sich einige bereichert haben, ihre Positionen ausgenutzt und, und, und. Sich rückblickend als Opfer der neuen Verhältnisse zu sehen und an allem, was nicht gut läuft, „denen da oben“ die Schuld zu geben, ist allerdings zu einfach. Denn wo sollen all die Betrüger nach 1989 plötzlich hergekommen sein? Vom Himmel gefallen? Aus dem Westen eingewandert?

Die meisten Politiker wurden von irgendjemandem gewählt – oder sie profitierten vom Desinteresse der Nichtwähler. Und wo blieb das „einfache Volk“? Wenn ihm an den Errungenschaften der Revolution, am Sieg von Wahrheit und Liebe, gelegen ist, dann muss es dafür auch weiterhin kämpfen, statt sich resigniert vom politischen Geschehen abzuwenden. 25 Jahre sind eine kurze Zeit für eine historische Bilanz. Noch ist es nicht zu spät dafür, sich dafür einzusetzen, dass die Erinnerungen nach 50 Jahren Demokratie anders aussehen werden als heute; dass das „einfache Volk“ vom Opfer zum Helden der Geschichte wird.