Zuhause bei Freunden?

Zuhause bei Freunden?

Straßenumfrage: Was die Menschen in Prag über Freundschaft und Familie denken

5. 6. 2014 - Interview: Franziska Benkel

Im Jahr 1914 schrieb Franz Kafka in sein Tagebuch, „die Eltern, die Dankbarkeit von ihren Kindern erwarten (…), sind wie Wucherer, sie riskieren gern das Kapital, wenn sie nur genug Zinsen bekommen.“ Wie denkt man in Prag 100 Jahre später über den Wert von Familie und Freundschaft? PZ-Mitarbeiterin Franziska Benkel fragte bei einer Einheimischen und drei Zugereisten nach. Sie wollte außerdem von ihnen wissen, ob sich diese Beziehungen in unserer globalisierten Zeit verändern und es Freunde fürs Leben gibt.

Jana Prinichová (59) aus Prag

„Ich habe nie eine eigene Familie gegründet, doch sind meine Mutter und mein Neffe die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Die beiden bedeuten für mich Sicherheit, umgekehrt ist es genauso. Allerdings hat Familie auch mit Erwartungen zu tun. Meine Mutter ist mittlerweile über 80 Jahre alt und ich trage eine gewisse Verantwortung für sie, auch wenn das mein eigenes Leben erheblich beeinträchtigt. Familie bedeutet auch, sich Sorgen zu machen und bedingungslos für den anderen da zu sein. Freundschaft beinhaltet für mich, dem anderen Ratschläge zu geben und Meinungen auszutauschen. Sicher können Freundschaften auch familienähnlich werden, doch sind sie unberechenbar und können sich im Laufe der Zeit verändern oder auch plötzlich vergehen. Deswegen glaube ich nicht so sehr an Freundschaften, die ein Leben lang halten.“

Peter Gibson (30) aus Ayr (Schottland)

„Niemand steht mir so nahe und ist mir so wichtig wie meine Eltern und meine Schwester. Wenn wir Zeit miteinander verbringen, reden wir über alles, was uns beschäftigt. Wir teilen eine Verantwortung füreinander und können uns zu hundert Prozent aufeinander verlassen. Freundschaften sind irgendwie generell kurzlebiger geworden. Seit ich hier in Prag wohne, sind meine Kontakte loser geworden. Mir reicht es, mit Menschen in einer Wohngemeinschaft zu leben, hier den gleichen Humor zu teilen und Gespräche führen zu können. Einfach weil es komfortabel für mich ist. Die engsten Freundschaften fand ich bisher beim Mannschaftssport. Dabei verbringt man viel Zeit miteinander und muss sich vertrauen können – das verbindet. An Freundschaften fürs Leben glaube ich nicht.“

Frieda Jankowski (28) aus München (Deutschland)

„Meine Freunde sind mittlerweile über ganz Europa verteilt, trotzdem stehen wir uns sehr nahe. Freundschaft bedeutet für mich ein Zuhause und Sicherheit. Dadurch, dass ich diese Gruppe hinter mir weiß, fällt es mir leichter, im Ausland zu arbeiten. Ich stand von Anfang an gar nicht unter dem Druck, sofort neue Bekanntschaften zu machen. Meine Eltern stellen zwar eine Art Basis dar, doch macht mich die Gewissheit, enge Freunde zu haben, unabhängiger. Ich fühle mich gegenüber meiner Familie nicht unbedingt verpflichtet. Man sucht sie sich schließlich nicht aus, deswegen kann man eine harmonische Beziehung auch nicht erzwingen. Freunde geben einem genau das, was man sucht. Ich schätze vor allem ehrliche Kritik und einen offenen Umgang.“

Emmet O’Dwyer (27) aus Melbourne (Australien)

„Ich habe viele Geschwister. Meine Familie ist mir eigentlich das Wichtigste überhaupt. Sie ist immer da, Freunde aber kommen und gehen. Es gibt vielleicht zwei bis drei Menschen, mit denen man bis an sein Lebensende befreundet ist. Durch das Reisen und Arbeiten in anderen Ländern trifft man mehr Menschen, als wenn man in seinem Dorf bleibt. Aber echte Freundschaft braucht Zeit. Sie sollte Interaktion bedeuten, ein Spiegel sein, durch den man lernen kann. In Zeiten von Facebook sind Freundschaften oftmals unecht. Die Familie aber ist echt und kann auch nicht einfach aus einer Liste gelöscht werden.“